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Gemeinsame Erklärung zur Berliner Hochschulpolitik

Gemeinsame Erklärung der Präsidenten der Freien Universität, Humboldt-Universität und der Technischen Universität

Nr. 189/2001 vom 17.07.2001

Voller Empörung über den in den letzten Wochen von der Politik angerichteten Scherbenhaufen, der in den Berliner Hochschulen Unsicherheit und Zorn erzeugt und außerhalb Berlins den Zweifel an der Zuverlässigkeit der Berliner Wissenschaftspolitik vertieft hat, haben wir uns im Einvernehmen mit den Vorständen der Charité und des Universitätsklinikums Benjamin Franklin entschlossen, den mühsam ausgehandelten Hochschulverträgen auch für die Universitätsklinika im Interesse einer begrenzten Planungssicherheit für die Jahre 2003 bis 2005 zuzustimmen.

In diesen Verträgen werden die Landeszuschüsse für die Hochschulmedizin erneut massiv reduziert. Nachdem schon früher mehrere Expertenkommissionen zur Struktur der Humanmedizin konsultiert wurden, soll nun erneut eine externe Expertenkommission Vorschläge zur Umsetzung der Kürzungen erarbeiten. Tiefgreifende Verunsicherung statt notwendiger Organisationsruhe in den Klinika ist das Ergebnis der Berliner Politik. Die Vorgaben werden zu Leistungsverlusten führen und wohl nur durch strukturelle Einschnitte umsetzbar sein. Dennoch schien es uns nicht verantwortbar, alle Berliner Hochschulen durch Verweigerung einer Unterschrift in vollständiges Planungschaos zu stürzen. Der Regierende Bürgermeister hat unmissverständlich erklärt, dass es mit ihm und dem neuen Berliner Senat keine Hochschulverträge mehr geben werde, wenn das uns jetzt vorgelegte "Angebot" nicht angenommen würde. In einem vertragslosen Zustand aber wären jederzeit nach Zeitpunkt und Höhe nicht vorhersehbare Einsparauflagen und Besetzungssperren zu erwarten. Damit würden ausgerechnet in der besonders kritischen Phase zahlreicher anstehender Berufungsvorgänge, deren Qualität die Wettbewerbsfähigkeit der Berliner Universitäten langfristig bestimmen werden, alle Bemühungen zunichte gemacht, in Lehre und Forschung den Anschluss an das internationale Leistungsniveau zu halten.

Es ist müßig, darüber zu streiten, ob diese Entscheidung das Ergebnis einer "Erpressung" durch den neuen Senat sei, wie es Mitglieder des Abgeordnetenhauses formuliert haben. Wir erkennen mit unserer Zustimmung den Primat politischer Entscheidung an, aber wir kritisieren eine Politik, deren Desinteresse an Wissenschaft und Forschung durch die anhaltende Vakanz der Position eines Staatssekretärs und die massive Streichung im Zukunftsfonds verdeutlicht wird. Wir kritisieren eine in der Berliner Politik seit Jahren bestehende Ignoranz gegenüber der Wissenschaft, die sich darin ausdrückt, dass für "Wissenschaft, Forschung und Kultur" in den vergangenen 2 Jahren immerhin 4 Senatoren zuständig waren und ihr Amt bisher stets mit deutlicher Schlagseite zugunsten der Kultur und unter Quersubventionierung der Kultur aus dem Budget für Wissenschaft wahrgenommen haben. Wir kritisieren eine Politik, die offensichtlich im Bereich von Bildung und Wissenschaft keine inhaltlichen, sondern nur fiskalische Zielvorstellungen hat: Bis heute haben der Regierende Bürgermeister und andere Vertreter seiner Fraktion die Forderung, in der Hochschulmedizin einen dreistelligen Millionenbetrag einzusparen, weder inhaltlich begründet noch das Argument entkräftet, dass solche Einsparerwartungen ohne sofortige Personalentlassungen völlig unrealistisch sind. Mit willkürlich gegriffenen Zahlen zu operieren, ist unverantwortlich. Wir teilen das allgemeine Entsetzen über die schwierige Haushaltslage Berlins, aber wir erinnern uns, dass der jetzige Regierende Bürgermeister noch vor kurzem Fraktionsvorsitzender und Haushaltsexperte einer Fraktion war, die seit vielen Jahren Regierungsverantwortung hatte.

Vor allem aber halten wir die aus der schwierigen Haushaltslage abgeleiteten Schlussfolgerungen für falsch. Eigentlich müsste Berlin gerade jetzt entschlossen in die Zukunftsaufgabe Bildung und Wissenschaft investieren – dies geschieht in anderen Bundesländern, in denen man verstanden hat, dass Wissenschaftspolitik auch Wirtschaftspolitik ist. Daher wäre geradezu eine verstärkte Förderung insbesondere der leistungsintensiven Wissenschaftsbereiche angezeigt, zu denen die Universitätsklinika von Humboldt- und Freier Universität fraglos gehören. Denn diese Klinika haben ihre Leistungen in den letzten Jahren trotz massiver Um- und Abstrukturierungen in erstaunlichem Maße gesteigert. Mit dem von ihnen eingeworbenen Drittmittelvolumen von insgesamt 150 Millionen DM finanzieren sie heute unmittelbar über 1.500 qualifizierte Arbeitsplätze und stehen im bundesweiten Vergleich in der absoluten Spitzengruppe. Von diesen Universitätsklinika und ihren Kooperationspartnern in der biomedizinischen Forschung gehen Gründerimpulse aus, die zur Erholung der Berliner Wirtschaft von großer Wichtigkeit sind. Ausgerechnet diesen Universitätsklinika kaum bewältigbare Einsparvorgaben zuzumuten, entmutigt alle, die sich konstruktiv bemühen, die erst vor wenigen Jahren von der Politik für die Hochschulmedizin getroffenen Strukturentscheidungen zu bewältigen. Die Lösung der schwierigen Aufgabe, anspruchsvolle Wissenschaft und gute Ausbildung zu ermöglichen und damit entscheidende Zukunftspotentiale für Berlin zu entwickeln, wird durch die Politik nachhaltig behindert.

Mit aller Deutlichkeit widersprechen wir auch der im Berliner Senat offenbar vorherrschenden Ansicht, dass die Hochschulen durch die Hochschulverträge "privilegiert" seien: Die Berliner Hochschulen haben mit dem ersten Hochschulvertrag im Jahre 1997 massiven Einsparungen zugestimmt, die in dieser Höhe keinem anderen öffentlichen Bereich – auch nicht dem der Kultur – zugemutet wurden. Insgesamt wurde auf diese Weise im Wissenschaftshaushalt etwa ein Drittel des Gesamtbudgets der Berliner Hochschulen eingespart. Als Gegenleistung für ihre Bereitschaft zu dieser "Talfahrt" sollten die Hochschulen durch die Verträge Planungssicherheit für vier Jahre im Voraus erhalten. Mitgliedern von Senat oder Abgeordnetenhaus, die dies jetzt als "Privilegierung" bezeichnen, obwohl sie selbst an früheren politischen Entscheidungen beteiligt waren, fehlt es entweder an Gedächtnis oder an Verantwortung oder an beidem. Entscheidungsträger in der Politik müssen endlich verstehen, dass die Berliner Hochschulen zu den bedeutendsten Quellen der internationalen Reputation und Attraktivität Berlins gehören und dass niemand einer Berufung nach Berlin folgen wird, wenn von hier weiterhin solche abschreckenden Signale ausgehen, wie sie die Politik in den vergangenen Wochen produziert hat, selbst wenn der Berliner Senat mit einem zu schmal bemessenen Professurenerneuerungsprogramm der bevorstehenden Berufungswelle zu entsprechen versucht hat.

Wir verbinden unsere Entscheidung daher mit der dringlichen Forderung nach einer Politik in Berlin, die begreifen muss, dass Bildung und Wissenschaft die Motoren der Zukunft Berlins sind und ihnen daher nicht nur rhetorisch Priorität einräumt, sondern dies auch für politische Entscheidungen handlungsleitend wird.

Univ.-Prof. Dr. Peter Gaehtgens

Univ.-Prof. Dr. Jürgen Mlynek

Univ.-Prof. Dr. Hans-Jürgen Ewers