"Wer schreibt, bleibt. Und was wird aus dem Leser?"
Schriftsteller Robert Gernhardt begrüßt die Neuimmatrikulierten am 19.4. im FU-Audi-Max
Nr. 63/2000 vom 10.04.2000
"Lesen lohnt. Beweis: Der Vortragende, der es seit Kinderbeinen verstanden hat, das einmal Gelesene – auch das, was er seinerzeit im Germanischen Seminar der FU in sich aufnahm – zu recyclen und für sein eigenes Schreiben fruchtbar zu machen", schrieb der Schriftsteller und Karikaturist Robert Gernhardt an die Dekanin des Fachbereichs Geschichts- und Kulturwissenschaften, die die diesjährige Zentrale Immatrikulationsfeier mit ausrichtet. Neuimmatrikulierte und Freunde des Lyrikers, Romanciers und Kinderbuchillustrators können Robert Gernhardt am Mittwoch, den 19. April 2000 um 10 Uhr im Auditorium Maximum des Henry-Ford-Baus, Garystr., 35 als Festredner während der Immatrikulationsfeier erleben.
Während Gernhardt zu den auflagenstärksten und meistzitiertesten Autoren der Gegenwartsliteratur gehört, bewertete die etablierte Literaturkritik seine Gedichte, Erzählungen, Humoresken und Kinderbücher bis in die achtziger Jahre verkürzend als "Nonsens-Lyrik". Der Durchbruch "zum anerkannten Gegenwartsliteraten" (Gernhardt über Gernhardt) gelang dem Wahl-Frankfurter Anfang der achtziger Jahre. Seither wird der 1937 in Reval geborene Sohn eines Richters in einem Atemzug mit Heinrich Heine, Bert Brecht, Erich Kästner und Kurt Tucholsky genannt. Wie kaum ein anderer Gegenwartslyriker versteht es Gernhardt, Probleme, Ambivalenzen und Ängste deutscher Intellekueller ironisierend in Verse zu formen. Er entfaltet eine große Virtuosität im Umgang mit fremden Texten, indem er Gedichte von Brecht, Kunert, Dante, Fried und Rilke parodiert. Zum anderen erfindet er ständig neue Genres, wie das "Besprechungs- und Tagebuchgedicht".
Dabei wollte der vielseitig begabte Künstler ursprünglich gar nicht Dichter sondern Maler werden. Nach Abschluss seiner Schulausbildung 1956 studiert Gernhardt zunächst an der Akademie für bildende Künste in Stuttgart und Berlin Malerei, später an der Freien Universität Germanistik. 1964 trat Gernhardt in die Redaktion des Satiremagazins "pardon" ein, wo er mit seinen Freunden F.K.Waechter und F.W. Bernstein die Kolumne "Welt im Spiegel" gestaltete. 1979 gründete er die Zeitschrift "Titanic" mit, zählt zum Kreis der Neuen Frankfurter Schule und ist an den Drehbüchern für Otto-Waalkes-Filme beteiligt. Der Satirik-Gedichtband "Wörtersee" (1981) macht Gernhardt zu einem der beliebtesten "Nonsens-Lyriker". Nachdem er in seinen "Drei Kritiken" eine "weit in die erste Hälfte dieses Jahrhunderts zurückreichende Phänomenologie des Komischen in Wort und Schrift ... ebenso unsystematisch wie unterhaltsam" (F.A.Z.) geschrieben hat, wendet er sich Anfang der achtziger Jahre von der Komik ab und "reiht sich in die Reihe der Klassiker (Die ZEIT) ein. Das Theaterstück "Die Toscana-Therapie" (1987), die Anthologie "Achterbahn" (1990), "Wege zum Ruhm" (1995), "Weiche Ziele" (1994) und "Lichte Gedichte" (1997) entstehen. Gleichzeitig hat Gernhardt sein eigenes Werk immer wieder analysiert und kommentiert. Inzwischen wurden dem derzeitigen Fellow am Wissenschaftskolleg zahlreiche Ehrungen zuteil: 1998 erhielt er den Bert-Brecht-Literaturpreis, 1999 den Erich Kästner-Preis.