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Wiederaufarbeitungsverträge des französischen Staatsunternehmens laufen 2001 aus

Seminar zum Thema "Atomenergie zwischen Politik und Medien" mit Mycle Schneider

Nr. 163/1999 vom 21.07.1999

Der europäische Binnenmarkt für Strom und Gas hat in Frankreich die Bedenken des Stromversorgungsunternehmens Electricité de France (EDF) verstärkt, für den Zeitraum nach dem Jahr 2000 neue Wiederaufarbeitungsverträge für die abgebrannten Brennstäbe aus den französischen Atomkraftwerken abzuschließen. Begründet wird dies damit, daß die teure Wiederaufarbeitung einen Nachteil im europäischen Stromwettbewerb darstellen würde.

Diese brisante Information war eines der Themen, die am vorigen Wochenende bei einem Seminar zum Thema "Atomenergie zwischen Politik und Medien" mit Mycle Schneider, Träger des "Alternativen Nobelpreises" von 1997, am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität Berlin zur Sprache kamen. Wenn die deutschen Stromversorger – wie zuvor schon die Belgier – ihre Verträge kündigen und ohne neue Verträge, die die Kapazitäten nach dem Jahr 2000 angemessen auslasten, wird die COGEMA, die Betreiberfirma der französischen Wiederaufarbeitungsanlage in La Hague, einen Sozialplan aufstellen müssen. Ausländische Kunden nehmen jetzt die Hälfte der Kapazitäten in La Hague in Anspruch. Neben den deutschen gibt es aber z. Z. keine weiteren Kunden für die Zeit nach 2001.

Die Wiederaufarbeitung von Kernbrennstoffen gilt als der teuerste Weg, abgebrannten Brennstoff aus Kernkraftwerken zu behandeln. In der Koalitionsvereinbarung der rot-grünen Bundesregierung ist das Ziel des Verbots der Wiederaufarbeitung festgeschrieben.

Aber auch die preiswerteren Alternativen – etwa die direkte Endlagerung – weisen noch eine Reihe von ungelösten Problemen auf. Darüber berichtete Prof. Walter Franke (Freie Universität Berlin). Nach den Vorstellungen der Industrie soll erst ab dem Jahr 2028 mit der Einlagerung in das Endlager begonnen und diese dann innerhalb von 50 Jahren abgeschlossen werden. Die Auffahrung des Endlagers kostet rund 4 Mrd. DM, die jährlichen Betriebskosten etwa 80 Mio. DM. Für den Abbau sämtlicher Kernkraftwerke kommen weitere 24 Mrd. DM dazu, so daß die Gesamtkosten für den Ausstieg und Abbau mit rund 32 Mrd. DM veranschlagt werden können.

Zu den finanziellen Konsequenzen der Stillegung der Kernkraftwerke referierte Dr. Lutz Mez, Geschäftsführer der Forschungsstelle für Umweltpolitik der Freien Universität Berlin. Die Vorsorgeverpflichtung der Atomindustrie hat zu Rückstellungen für die Entsorgung der Kernkraftwerke in Höhe von 70 Mrd. DM geführt, also weit mehr als voraussichtlich benötigt wird. Rückstellungen werden in der Bilanz gebildet und sind steuerfrei. Normalerweise müssen Gewinne und Erträge mit 50% versteuert werden. Das heißt, dem Staat sind bisher Steuereinnahmen im Umfang von 35 Mrd. DM entgangen. Die Rückstellungsmittel müssen von den Unternehmen sicher und rentabel angelegt werden. Mit dieser Kriegskasse war es der Atomindustrie möglich, ganze Industrieimperien aufzukaufen und in neue Geschäftsfelder wie Telekommunikation, Abfall und Logistik einzusteigen. Angenommen, die Kernkraftwerke dürften weitere 30 Jahre betrieben werden, würden nicht nur weitere Steuermindereinnahmen erfolgen, sondern die Rückstellungen könnten sogar bis zu 500 Mrd. DM weiter anwachsen. Bei einer unterstellten Verzinsung von 7% verdoppeln sich die Rückstellungen in zehn Jahren, in zwanzig Jahren käme es zur Vervierfachung und in dreißig Jahren zur Verachtfachung. Aber auch bei einem Sofortausstieg müssten die Entsorgungskosten erst nach rund 60 Jahren in vollem Umfang geleistet werden. Bei dieser Profitaussicht ist klar, warum die Atomindustrie auf lange Restlaufzeiten drängt.

Weitere Informationen

Dr. Lutz Mez, Forschungsstelle für Umweltpolitik, Ihnestr. 22, 14195 Berlin, Tel.: (030) 838-55 85, Fax: (030) 838-66 86, E-Mail umwelt1@zedat.fu-berlin.de