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Widerstandsgruppe "Europäische Union"

Robert Havemann für Yad Vashem vorgeschlagen

Nr. 119/1999 vom 14.06.1999

Werner Theuer vom Robert-Havemann-Archiv und Professor Dr. Manfred Wilke vom Forschungsverbund SED-Staat an der FU Berlin haben bei der Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem beantragt, Robert Havemann und andere der 1943/44 zum Tode verurteilten Angehörigen der Widerstandsgruppe "Europäische Union", wie z.B. Georg Groscurth, Herbert Richter-Luckian, Paul Rentsch, Kurt Müller, in die Reihe der "Gerechten unter den Völkern" aufzunehmen. In Yad Vashem werden mit diesem Titel Menschen geehrt, die während der NS-Diktatur Juden vor ihren Verfolgern versteckten, was Havemann und seine Mitstreiter taten.

Die Darstellung der "Europäischen Union" in der Widerstandsliteratur der DDR war, solange Robert Havemann als Professor an der Humboldt-Universität ein wichtiger Nomenklaturkader der SED war und für den Kulturbund in der Volkskammer saß, auf ihn als den Überlebenden der Gruppe konzentriert. Sein Name dominiert noch immer unser Bild von der Widerstandsgruppe Europäische Union. Die Geschichte der Gruppe konnte in der DDR nach Havemanns Parteiausschluß 1964 und seinem endgültigen Berufsverbot 1965 erst recht nicht mehr geschrieben werden. Sein Name wurde aus der Geschichte des Widerstandes gegen den Nationalsozialismus gestrichen, er fehlte nach 1965 in den biographischen Artikeln über Groscurth und Rentsch, die weiterhin verbreitet wurden. Die Widerstandsgruppe "Europäische Union" geriet in der DDR aus dem Blick der Historiker, aber auch im Westen konnte die Geschichte der Gruppe aufgrund der Quellenlage nicht geschrieben werden.

Im Fall der "Europäischen Union" hat das MfS die Unterlagen der Gestapo und die Urteile des Volksgerichtshofes gegen Angehörige der Gruppe als "Ermittlungsakten" gegen Robert Havemann genutzt, als die SED ab 1964 nach Material suchen ließ, um den oppositionellen Regimekritiker, der anderthalb Jahre in der Brandenburger Todeszelle verbrachte, zu diskreditieren und seinen Ruf als Widerstandskämpfer gegen die Nationalsozialisten zu zerstören.

Ab 1994 hat Werner Theuer vom Robert-Havemann-Archiv begonnen, die vom MfS über Havemann angelegten Beobachtungs- und Ermittlungsakten, die vom Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR (BStU) und dem Bundesarchiv verwaltet werden, zu sammeln und zu sichten. In diesen ca. 300 Aktenbänden Material fanden sich auch die Aktenüberlieferungen zur "Europäischen Union", und Werner Theuer hat in mühevoller Arbeit erstmals eine Übersicht über die zwölf Prozesse vor dem Volksgerichtshof gegen Angehörige der Widerstandsgruppe "Europäische Union" und eine Liste der fünfzehn Todesurteile zusammengestellt. In diesem Material waren auch die Namen der von der "Europäischen Union" versteckten jüdischen Mitbürger verzeichnet, auf die sich der Antrag an Yad Vashem gründet. Diese Forschungsergebnisse haben Werner Theuer und Manfred Wilke im 29. Arbeitsheft des Forschungsverbundes SED-Staat "Robert Havemann und die Europäische Union" publiziert. Es ist eines der ersten Ergebnisse einer Zusammenarbeit, die seit 1997 besteht. Damals bat Katja Havemann Werner Theuer und Manfred Wilke, die Forschungen zur Biographie ihres Mannes auf der Basis des nunmehr vorliegenden Materials aus dem MfS-Archiv aufzunehmen.

Das Arbeitspapier ist erhältlich beim Forschungsverbund SED-Staat, Malteserstraße 74-100, 12249 Berlin, Tel. (030) 7792 234, oder beim Robert-Havemann-Archiv, Schliemannstraße 23, 10437 Berlin, Tel. (030) 44710810