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„Fast wäre ich in Kentucky gelandet“

Aus dem Iran kam Maryam Keshavarz über Südkorea nach Berlin und an die Freie Universität – jetzt erforscht die junge Biologin das Immunsystem des Mehlkäfers, um Alternativen zu herkömmlichen Antibiotika zu finden

11.03.2025

Maryam Keshavarz, dunkle Haaren und Brille, steht im Freien vor einem Schild der Freien Universität Berlin. Sie trägt einen Schal und einen dunklen Mantel. Im Hintergrund sind Bäume mit leichtem Schneefall zu sehen. Sie lächelt und blickt in die Kamera.

Minusgrade lassen sie kalt: Maryam Keshavarz wuchs eine Stunde von Teheran entfernt in den Bergen auf und stapfte dort manchmal durch tiefen Schnee zur Schule. Allein die kurzen Tage machen ihr zu schaffen: „Meine Vitamin D-Kurve ging in den Keller.“
Bildquelle: Marion Kuka

Gegen acht beginnt ihr Arbeitstag. In den Laboren des Instituts für Biologie prüft Maryam Keshavarz zuerst ihre Experimente: Wie haben sich die Bakterienkulturen in den Petrischalen über Nacht entwickelt? Wie aktiv sind die Mehlkäfer heute? Anschließend spricht sie mit Kolleg*innen, ihrer technischen Mitarbeiterin und den Studierenden, deren Abschlussarbeiten sie betreut. Sie stellt Daten für Publikationen zusammen, kontaktiert Kooperationspartner in Polen und den USA, bereitet Präsentationen vor. Die Biologin hat einen vollen Tag – genau so, wie sie es sich schon als Schülerin erträumt hat.

Alternativen zu Antibiotika auf der Spur

„Mich interessiert, wie bestimmte Abwehrmechanismen von Insekten auf bakterielle und pilzartige Infektionen reagieren“, berichtet sie. Als Modellorganismus nutze sie den Mehlkäfer (Tenebrio molitor). Ein großes Problem in der Medizin ist, dass immer mehr Antibiotika gegen resistente Bakterien nicht mehr wirken. Dadurch können selbst harmlose Infektionen lebensgefährlich werden. Forschende suchen deshalb nach Alternativen zu herkömmlichen Antibiotika. Ein vielversprechender Weg sind antimikrobielle Peptide (AMPs) – kleine Eiweißmoleküle, mit denen Insekten sich gegen Bakterien und Pilze wehren.

Im Moment untersucht Maryam Keshavarz, was passiert, wenn die Produktion dieser Peptide in Insekten gezielt ausgeschaltet wird. Sie möchte herausfinden, ob das die Überlebenschancen des Insekts verringert und wie sich das auf die Krankheitserreger auswirkt. „Diese Erkenntnisse sind wichtig, um besser zu verstehen, wie eine Kombination verschiedener Peptide zusammenwirkt“, sagt sie. Langfristig könnten ihre Forschungsergebnisse dabei helfen, neue Behandlungsmethoden zu entwickeln – etwa durch die Kombination von AMPs mit klassischen Antibiotika oder durch den Einsatz von AMPs in der Medizin und Landwirtschaft.

Als Postdoktorandin nach Berlin statt in die USA

Die Biologin forschte bereits während ihrer Promotion in Südkorea an Mehlkäfern. Ihr Doktorvater, Professor an der Universität von Gwangju, leitete nebenbei eine Firma, die Mehlkäfer-Larven als Nahrungsmittel züchtet.

Der Käfer führte sie schließlich nach Berlin: Biologieprofessor Jens Rolff hatte ihre erste Publikation auf Research Gate aufgerufen. Maryam Keshavarz fand heraus, dass seine Arbeitsgruppe an ähnlichen Themen arbeitet, schrieb ihm eine E-Mail und die beiden blieben in Kontakt. Vier Jahre später, 2020, holte Jens Rolff die frisch promovierte Wissenschaftlerin mit dem Rising-Star-Stipendium des Fachbereichs Biologie, Chemie, Pharmazie an die Freie Universität.

Als im August 2023 ihr anschließendes Alexander-von-Humboldt-Stipendium auslief, bewarb sie sich mit Unterstützung der Arbeitsgruppe um ein Teilprojekt im Rahmen der DFG-Forschungsgruppe 5026 „Insektenimmunität, Mikrobiota und Pathogene in einem integrierten Ansatz“, deren Sprecher Jens Rolff ist. Sie erhielt den Zuschlag für die über vier Jahre laufende Stelle. Bis zum Beginn im Februar 2024 musste sie jedoch sechs Monate überbrücken – was die Arbeitsgruppe ermöglichte.

Was im Rückblick so reibungslos klingt, war in Wirklichkeit eine turbulente Zeit voller Unsicherheit und Entscheidungen. Es war keineswegs klar, dass sie die DFG-Stelle bekommen würde. „Ich hatte aber ein sicheres Angebot von der University of Louisville in Kentucky, USA“, erzählt Maryam Keshavarz. Dort hätte sie Zahnbakterien erforschen können, ein für sie spannendes neues Gebiet.

Einen Job in den USA zu finden, gilt für ihre Familie und Bekannten im Iran als das Größte, was man im Leben erreichen kann. Ein Arbeitsvisum zu erhalten und womöglich eine Greencard, ist für Menschen aus dem Iran besonders schwer. „Meine Familie war begeistert, als ich das Angebot bekam“, berichtet sie.

Deutsch lernen für die Staatsbürgerschaft

Andererseits leben einige ihrer Cousins und Cousinen schon in Europa, auch nach Deutschland bestehen familiäre Verbindungen. Auch ihre Schwester möchte gern aus dem Iran nach Deutschland ziehen. Also erstellte Maryam Keshavaraz eine Liste mit Pro- und Contra-Argumenten – wie sie es immer bei schwierigen Entscheidungen macht. Berlin war ihr inzwischen vertraut und gefiel ihr. Was sie in Kentucky erwartete, war ungewiss. Aus ihrer Zeit in Korea wusste sie, dass unerwartete Probleme vor Ort auftauchen können. „Das Rennen verlief am Ende sehr knapp“, sagt sie. Schließlich verzichtete sie auf einen Urlaub und investierte die Zeit in den DFG-Fördermittelantrag.

Eines ihrer Lebensziele ist es, dauerhaft in einem anderen Land als dem Iran zu leben. Um die deutsche Staatsbürgerschaft zu beantragen, muss die Iranerin nun ihr Deutsch weiter verbessern. Der Grammatikkurs im Sprachenzentrum der Freien Universität fiel ihr leicht: „Das ist fast wie Mathematik“, sagt sie. Die größere Herausforderung liegt im Sprechen. „In unserer Arbeitsgruppe sind Menschen aus etwa 20 Nationen – da sprechen wir fast nur Englisch.“ Deutsche Konversation übt sie mit einem Tandempartner, in K-Pop-Tanzkursen des Hochschulsports und mit der 75-jährigen Vermieterin ihres Altbauzimmers in Berlin-Wilmersdorf.

Der Weg in die akademische Forschung war für sie nicht vorgezeichnet. Die Mutter Hausfrau, der Vater Fabrikarbeiter, wuchs Maryam Keshavarz mit zwei Geschwistern eine Stunde von Teheran entfernt auf. „Meine Mutter legte großen Wert darauf, dass wir lernen und eine gute Ausbildung erhalten“, betont sie. „Im Iran sollen Frauen eigentlich vor allem kochen und den Haushalt führen. Aber meine Mutter sagte: Das übernehme ich, Ihr nutzt eure Zeit zum Lernen! Auch mein Vater unterstützte das. Dafür bin ich ihnen ewig dankbar.“

Sie schloss die Schule mit Bestnoten ab, doch für die Universität musste sie eine Aufnahmeprüfung bestehen. Das Ergebnis reichte nicht für ihr damaliges Lieblingsfach Chemie, also wählte sie Meeresbiologie. Für ihren Master an der besten Universität des Landes in Teheran brauchte sie drei Jahre, da Labormaterial und -geräte fehlten. „Wegen der Wirtschaftssanktionen mussten wir auf alles warten“, berichtet sie. „Ich kann mich eigentlich gut anpassen, aber in den Naturwissenschaften funktioniert das so nicht.“

Freunde für’s Leben gefunden

Also suchte sie nach dem Abschluss nach einer Promotionsstelle im Ausland, wie viele ihres Jahrgangs. Um Englisch aufzuholen, lernte sie 14 Stunden täglich am Laptop. Ein Freund, der bereits nach Südkorea gegangen war, machte sie auf eine Stelle an der Chonnam National University in Gwangju aufmerksam. Sie bewarb sich, wurde angenommen – und schwenkte auf Koreanisch um. „Ich bin etwa auf A2-Niveau“, sagt sie. „Nur so konnte ich mit meinen Kollegen kommunizieren, denn dort wurde im Labor kaum Englisch gesprochen.“

Ihre Zeit in Korea hat sie sehr genossen: „Die Stadt ist schön, das Essen fantastisch, die Kultur interessant – Karaoke und so“, sagt sie. „Doch am wichtigsten sind für mich immer die Menschen; bin ich mit netten Leuten zusammen, ist der Rest eigentlich egal.“ In Gwangju hat sie genau wie in Berlin Freunde fürs Leben gefunden.

An Deutschland liebt sie vor allem die kurzen Entfernungen zu Ausflugszielen: „Am Samstag wache ich um fünf Uhr morgens auf und fahre mit dem Zug los.“ Mit dem Deutschlandticket war sie schon in Saßnitz auf Rügen, in Thale im Harz und vielen anderen schönen Orten. Das – und vieles mehr – wäre in Kentucky sicher ganz anders.

Weitere Informationen

Über das Rising Star-Stipendium

Der Fachbereich Biologie, Chemie, Pharmazie der Freien Universität Berlin vergibt seit 2019 Stipendien an herausragende Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler aus aller Welt. Die Stipendienhöhe beträgt 2.500 Euro monatlich für zwei Jahre. Darüber hinaus werden Pauschalbeträge für Reisekosten, Familienmitglieder und Forschungskosten gewährt. Das Programm soll internationale Impulse in die Arbeitsgruppen und Forschungsnetzwerke des Fachbereichs bringen.

Rund 20 Forschende aus Argentinien, der Ukraine, der Tschechischen Republik, Israel, Ägypten, Kamerun, Indien, China, Russland und Brasilien wurden bereits gefördert. Mehrere ehemalige Stipendiat*innen leiten inzwischen eigene Nachwuchsgruppen* an der Freien Universität.

Aufgrund der Haushaltskürzungen, die der Berliner Senat den staatlichen Hochschulen auferlegt hat, kann das Rising-Star-Stipendium bis auf Weiteres leider nicht mehr ausgeschrieben werden.