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„Ich hatte mein Ziel die ganze Zeit vor Augen“ – Ehsanullah Attiq hat über das Welcome-Programm Deutsch gelernt

Am 26. August starten an der Freien Universität Berlin wieder Deutschkurse für Geflüchtete

05.06.2024

Von Kabul nach Berlin: 2021 floh Ehsanullah Attiq vor den Taliban, seit 2024 studiert er Publizistik- und Kommunikationswissenschaft an der Freien Universität

Von Kabul nach Berlin: 2021 floh Ehsanullah Attiq vor den Taliban, seit 2024 studiert er Publizistik- und Kommunikationswissenschaft an der Freien Universität
Bildquelle: Anne Kostrzewa

Ehsanullah Attiq kam 2021 als Student aus Afghanistan nach Deutschland. Er absolvierte im Wintersemester 2023/24 den Welcome-Kurs und studiert heute an der Freien Universität. Mit campus.leben sprach er über seinen weiten Weg zurück in den Hörsaal – und darüber, wie der Deutschkurs an der Freien Universität für ihn alles veränderte.

An den Tag, als er zum allerersten Mal ein deutsches Wort hörte, erinnert sich Ehsanullah Attiq noch genau. Es war im August 2021, kurz nach der Machtübernahme der Taliban in Attiqs Heimatland Afghanistan, in einem überfüllten Flüchtlingscamp in Katar. Vor ihm standen zwei Deutsche, Mitarbeitende einer NGO, die seine Unterlagen durchschauten und sich dabei auf Deutsch unterhielten. „Ich verstand kein Wort und fragte dann irgendwann, welche Sprache sie sprechen“, sagt Ehsanullah Attiq. „Je länger ich ihnen zuhörte, desto komplizierter erschien mir die deutsche Sprache.“ 

Dass er seine Geschichte irgendwann selbst fließend auf Deutsch erzählen würde, konnte er sich damals, auf der Flucht, kaum vorstellen.

Wenige Wochen zuvor war Ehsanullah Attiqs Leben noch ein anderes gewesen: Er war Anfang zwanzig und in seinem letzten Bachelor-Semester an der Universität in Kabul eingeschrieben. Er studierte an der Fakultät für Journalismus, jobbte für einen Radiosender und träumte davon, Reporter zu werden. „In meiner Kindheit waren Journalisten für mich Helden“, erinnert er sich. „Sie gaben Menschen, die selbst nicht gehört wurden, eine Stimme. Das wollte ich auch machen.“ Doch es kam anders.

„Fast unmöglich, sich zu verständigen“

Ehsanullah Attiq musste die Hochschule ohne Abschluss verlassen. Er wurde gemeinsam mit Tausenden anderen Menschen aus Kabul evakuiert. Aus Afghanistan ausgeflogen wurde Attiq von US-Streitkräften, doch seine Flucht endete in Deutschland. „Zunächst kamen wir nach Trier, und dort war ich zehn Tage lang nur von deutschen Worten umgeben, bevor ich nach Berlin weiterreisen konnte“, sagt Attiq und lächelt kurz. „Damals dachte ich: Es wird sehr schwer, in diesem Land zu leben.“ In seiner Heimat sprach er Persisch und Pashto, lernte früh Englisch und beherrschte es später so gut, dass er in Kabul selbst eine Zeit lang Englischkurse gab. Sein Berufswunsch: sprechen, vermitteln, erklären, reden. Und nun saß er in einem fremden Land, in einer Stadt, in der er kein Wort verstand und selbst mit Englisch kaum weiterkam.

„In Berlin ist es viel leichter, Anschluss zu finden, auch wenn man noch kaum Deutsch spricht“, sagt Ehsanullah Attiq. „Die Stadt ist sehr offen, und viele sprechen gut Englisch, das hilft, um das Eis zu brechen.“ Trotzdem sei ihm von Anfang an klar gewesen, dass er nur mit Deutschkenntnissen wirklich in Deutschland ankommen würde. Allein beim Jobcenter hätten alle Mitarbeitenden, mit denen er zu tun hatte, nur Deutsch mit ihm gesprochen, auch ganz zu Anfang, als er noch gar nichts verstand. „Bekannte haben dann für mich übersetzt, doch wenn sie keine Zeit hatten, mich zu begleiten, war es fast unmöglich, sich zu verständigen“, erinnert sich der heute 24-Jährige. Inzwischen übersetzt er für neu ankommende Geflüchtete und sagt nicht ohne Stolz: „Dass ich diese schwierige Sprache erlernen kann, war mir klar. Nur, dass es so lange dauern würde, das habe ich nicht erwartet.“

Deutsch lernen, weiter studieren

Von Sprachlevel A1 bis B1 besucht Ehsanullah Attiq Integrationskurse des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge. Das Level B2 erreicht er durch einen Intensivkurs an einer privaten Sprachschule. Was ihn angetrieben habe, sei sein Wunsch gewesen, endlich wieder studieren zu können: „Dass ich in Afghanistan so kurz vor meinem Bachelor-Abschluss war und nun ganze Jahre damit verbracht habe, nur Deutsch zu lernen, war sehr schwer für mich“, sagt Ehsanullah Attiq. Er spricht leise und bedacht, formuliert seine Sätze sorgfältig. Doch wenn es um die Sprachkurse geht, klingt er plötzlich ungeduldig. 

Im Sommer 2023, nach zwei Jahren in Deutschland und mit Sprachniveau B2 in der Tasche, wendet sich Ehsanullah Attiq an das Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft der Freien Universität Berlin. Er möchte zurück in den Hörsaal, endlich einen Abschluss machen, ins Berufsleben starten. „Ich hatte mein Ziel die ganze Zeit vor Augen, nun wollte ich eine Perspektive.“ An der Freien Universität erfährt er von den Welcome-Kursen, in denen geflüchtete Studierende und Studieninteressierte aller Herkunftsländer Deutschkurse belegen können – von Level B1 bis zum für ein Fachstudium nötigen Level C1 GER (Gemeinsamer Europäischer Referenzrahmen). 

Der Blick nach vorn

Sofort meldet sich Ehsanullah Attiq an, und plötzlich geht alles ganz schnell. In nur drei Monaten absolviert er den Sprachkurs C1, im Sommersemester 2024 kann er sich für ein Studium einschreiben. Nun fehlen ihm nur noch drei Semester bis zu seinem Abschluss, auf den er schon so lange wartet. Er sagt: „Wenn ich früher von den Welcome-Kursen erfahren hätte, wäre ich jetzt sicher schon viel weiter, sprachlich und beruflich.“

Deshalb möchte Ehsanullah Attiq anderen Studierenden helfen, schneller an der Universität anzukommen, will ihnen helfen, Hürden zu überwinden, die er allein bewältigen musste. Als Studentischer Botschafter gehört er zum internationalen weStudents-Teams 2024. Und folgt damit über Umwege doch seinem Ziel, für andere da sein zu wollen. Den Journalismus kann er sich zwar nur noch schwer als Berufsziel vorstellen, nun, da er in einem Land lebt, dessen Sprache er nicht als Muttersprachler beherrscht. Eine Stimme möchte er anderen trotzdem geben, als Menschen- und insbesondere Frauenrechtler. Eine eigene NGO, die sich für diese Werte einsetzt, hat er bereits mit Freunden gegründet und auch schon kleinere Projekte umgesetzt. Doch erst einmal steht nun für Ehsanullah Attiq der Bachelor-Abschluss im Vordergrund – endlich wieder.

Weitere Informationen

Die neuen Deutschkurse des Programms Welcome@FU Berlin starten am 26. August 2024. Der Anmeldezeitraum ist inzwischen leider abgelaufen. Wir bitten um Verständnis.