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Immer am Verhandlungstisch?

80 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs

Historiker Oliver Janz

Historiker Oliver Janz
Bildquelle: Privat

Die Beschäftigung mit der Vergangenheit kann zum Verständnis der Gegenwart beitragen. Aber die Geschichte stellt keine Handlungsanweisungen bereit. Geschichte wird jedoch häufig als Argument benutzt, und eine der wichtigsten Aufgaben der Geschichtswissenschaft ist es, den Umgang mit Geschichte in Politik und Öffentlichkeit kritisch zu begleiten.

Das gilt auch für die Geschichte von Krieg und Frieden. Für viele dienen vor allem die beiden Weltkriege als Beleg dafür, dass Krieg um jeden Preis zu vermeiden, der Frieden um jeden Preis zu bewahren sei: nie wieder Krieg! Andere lenken die Aufmerksamkeit eher auf die Vorgeschichte des Zweiten Weltkriegs, das Appeasement der westlichen Mächte gegenüber Adolf Hitler, und ziehen daraus die Lehre, dass zum Krieg entschlossene Diktatoren durch ständige Verhandlungsbereitschaft und immer neues Einlenken letztlich nicht aufzuhalten sind: nie wieder München! 

Kapitulation versus Verhandlung

Welcher Seite man zuneigt, hängt davon ab, ob man die Gefährlichkeit aktueller Bedrohungen ähnlich einstuft wie die des nationalsozialistischen Regimes, aber auch davon, welchen Wert man letztlich an die erste Stelle setzt, wenn man denn priorisieren muss: die Freiheit oder den Frieden. Sicher unzutreffend ist jedoch eine andere vermeintliche Lehre aus der Geschichte, die heute kursiert: Kriege endeten früher oder später immer am Verhandlungstisch, deshalb solle man auf weitere Waffenlieferungen an die Ukraine verzichten und das Gespräch mit Putin suchen.

Waffenstillstand zwischen Deutschland und den Alliierten im Wald von Compiègne am 11. November 1918.

Waffenstillstand zwischen Deutschland und den Alliierten im Wald von Compiègne am 11. November 1918.
Bildquelle: Picture Alliance / akg images

Der Zweite Weltkrieg ist nicht durch Verhandlungen beendet worden, sondern durch die bedingungslose Kapitulation Deutschlands und Japans. Auf dieses Ziel hatten sich die Alliierten auf der Konferenz von Casablanca 1943 festgelegt. Auch der Vietnamkrieg ist auf diese Weise beendet worden. Und auch der Erste Weltkrieg ist nicht durch wirkliche Verhandlungen beendet worden: Dem Waffenstillstand an der Westfront, der am 11. November 1918 in Kraft trat, gingen keine Verhandlungen voraus. Seine Bedingungen wurden der deutschen Delegation diktiert. Sie liefen auf eine Kapitulation hinaus und machten eine Wiederaufnahme des Krieges durch Deutschland faktisch unmöglich, denn sie sahen den umgehenden Rückzug der deutschen Truppen aus allen besetzten Ländern und aus Elsass-Lothringen vor, sowie die französische Besetzung der linksrheinischen Gebiete des Reiches und die Übergabe einer großen Menge von Waffen und Kriegsgerät, aber nicht die Aufhebung der britischen Seeblockade.

Die im Januar 1919 beginnende Pariser Friedenskonferenz fand unter Ausschluss der Besiegten statt. Mit der deutschen Delegation wurde nicht gesprochen. Ihr wurde im Mai der Friedensvertrag vorgelegt. Einwände der deutschen Seite führten nur zu geringen Änderungen. Im Juni wurde der Vertrag in Versailles unter deutschem Protest unterzeichnet, nachdem die Sieger mit der Wiederaufnahme der Kampfhandlungen gedroht hatten. 

Vieles spricht dafür, dass Putin auf ein Kriegsende nach diesem Muster hinarbeitet, nicht auf Verhandlungen mit der Ukraine auf Augenhöhe. Und solange er dies tut, sollte sich der Westen nicht der Illusion hingeben, es könne zu einem wirklichen Verhandlungsfrieden kommen.

Oliver Janz ist Professor für Neuere Geschichte am Friedrich-Meinecke-Institut für Geschichtswissenschaft.

Weitere Informationen

Lesen Sie diesen Artikel auch auf Englisch. Alle Beiträge der Reihe „Wie enden Kriege?“ finden Sie hier.