Frat oder lieber nicht Frat?
Post aus... Kalifornien! Louis Potthoff beobachtet das umtriebige Sozialleben in den studentischen Fraternities
30.10.2015
Die ersten beiden Uni-Monate sind um, die Eingewöhnungsphase ist vorbei. Und zu meinem großen Erstaunen stelle ich fest: Es ist machbar! Klar, es ist alles sehr aufwendig, Hausaufgaben, Essays, spontane Tests. Da aber eben alle in der gleichen Lage sind, fühlt es sich gar nicht so schlimm an. Wenn alle lernen, lernt man eben auch. Und auch das Sozialleben nimmt langsam an Fahrt auf. Da das Mindestalter für Alkoholkonsum sowie Bar- und Clubbesuche in den USA bei 21 Jahren liegt und Berkeley auch eher eine kleine Stadt ist, finden die meisten Feiern in den sogenannten Fraternities statt.
Fraternities, kurz Frats, sind die angloamerikanische Form der Studentenverbindung – wobei hier in den USA der Fokus mehr auf Exzess und weniger auf politischer Gesinnung liegt. Die Mitglieder dieser Frats, die „Brüder“, wohnen in einem eigenen Haus, das durch Mitgliederbeiträge von bis zu 3000 Dollar pro Semester und Mitglied finanziert wird.
Frats sind in den USA ein heiß diskutiertes Thema, da es regelmäßig zu Skandalen und Ausschreitungen kommt, über die dann landesweit berichtet wird. Nichtsdestotrotz ziehen die Vereinigungen jedes Semester Scharen von neuen Bewerbern an. Das liegt natürlich zum einen an den regelmäßigen Festen, zum anderen aber auch an der Idee, automatisch Teil einer festen Gruppe zu werden und somit Teil eines Netzwerkes, dessen Mitglieder sich im Idealfall ein Leben lang unterstützen.
Partyhopping
Einer meiner Zimmernachbarn interessiert sich für die Frats. Vater und Großvater waren in Bruderschaften, nun will Sohnemann auch. Er bittet mich, ihn beim Bewerbungsprozess zu begleiten. Eine ganze Woche lang veranstalten die verschiedenen Bruderschaften beinahe jeden Abend eine Party – klingt toll, wird aber schnell stressig. Denn nun ist wahrer Einsatz gefordert: Ausnahmslose Anwesenheit ist für erfolgreiche Bewerber Pflicht, weshalb wir Abend für Abend von einer Party zur nächsten hetzen.
Auf den Feiern selbst sei es enorm wichtig, mit so vielen „Brüdern“ wie möglich zu sprechen und einen guten Eindruck zu hinterlassen, erklärt mir ein anderer Bewerber. Er ist sehr engagiert, schüttelt viele Hände, lacht über schlechte Witze und wird nicht müde, immer neue Leute danach zu fragen, ob sie Mitglieder in dieser Frat seien. Einer der „Brüder“ erklärt mir, er sei damals beigetreten, weil ihm die Uni zu groß war und er einfach fester Teil einer kleineren Gruppe werden wollte. Ob das den Preis wert sei, frage ich, aber da ist er schon im nächsten „Interview“.
Mir gefällt das alles nicht so ganz. Aber am Ende der Woche erhält mein Mitbewohner eine Zusage. Der offizielle Beitrittsprozess wird das ganze Semester über dauern und hauptsächlich darin bestehen, sich von älteren Brüdern schikanieren zu lassen. Im zweiten Semester, wenn mein Mitbewohner ordentliches Mitglied ist, darf er selbst die neuen Bewerber terrorisieren. Und Gäste einladen! Mich zum Beispiel!