Auge in Auge mit dem Wasserbüffel
Post aus Taipeh! Nora Lessing macht einen Ausflug in die Tropen
24.02.2016
Die Prophezeiungen eines ortskundigen Freundes („Wart’s nur ab, bald wird es ganz, ganz schlimm!“) haben sich zwar bislang noch nicht bewahrheitet, wohl aber besticht der Winter in Taipeh seit einigen Wochen durch Dauerregen, relativ hartnäckig anhaltende Gräue und hohe Feinstaubbelastung. An manchen Tagen liegt die Stadt unter einer gelblich-grauen Smogglocke. Dann eilen Fußgänger mit Atemmasken durch die Straßen, und ich muss überlegen, ob es wirklich eine so gute Idee ist, mit dem Fahrrad zur Uni zu fahren. Was das Wetter anbelangt, ist der tropische Süden Taiwans derzeit deutlich verlockender. An einem verlängerten Wochenende mache ich mich daher auf in den Kenting National Park, ein Naturschutzgebiet ganz im Süden der Insel.
Drei Stunden lang rumpelt der Bus ab Kaohsiung über die Dörfer. Schulmädchen grüßen höflich, jede zweite Haltestelle ist nach einer Grundschule benannt. Ich starre gebannt in die Dunkelheit und nehme erleichtert zur Kenntnis, dass die Busstationen in lateinischen Buchstaben angezeigt werden. Mein Hostel liegt in einer Seitengasse. Vor der Eingangstür des fünfzehnstöckigen Gebäudes sitzt eine Gruppe älterer Herren, auf dem Tisch Schnaps und ein Kartenspiel.
Seltene Spezies: Spaziergänger
Am nächsten Tag ist das Mittagslicht so intensiv, dass alle Farben verstärkt erscheinen. Kokospalmen säumen die Straßen und wiegen sich im Wind. Über Hengchun liegt eine gewisse Gelassenheit, selbst in der Nähe der Hauptstraße. Zu Fuß mache ich mich auf den Weg in die Berge. Etwa zwei Stunden lang folge ich der Straße ins Landesinnere. Immer wieder halten Motorräder und Autos neben mir, bedeuten mir offenkundig besorgte Fahrer, mich mitnehmen zu wollen. Spazieren zu gehen, scheint eine ganz und gar merkwürdige Verhaltensweise zu sein.
Wo, bitte, geht's zum Meer?
Auf der Karte ist ein Weg eingezeichnet, der ans Meer führt. Nach wenigen Gehminuten ist vom Straßenlärm nichts mehr zu hören. Dafür begegnet mir eine Herde aufgeregter Ziegen, die über den nächsten Hügel davongaloppiert. Die Schönheit der Landschaft ist seltsam ergreifend. Zu hören ist kaum mehr als das Rascheln der Blätter im Wind. Hin und wieder singt ein Vogel, in der Ferne läuten die Glocken der Ziegen.
Allein das Meer will und will sich nicht einstellen. In einer Talsenke schlage ich mich durch dichten Bewuchs und stehe plötzlich Auge in Auge mit einem Wasserbüffel, der mir, neugierig geworden, eine Zeit lang hinterher trottet. Auf einem Berg entdecke ich eine Informationstafel und lese, ich befände mich auf „Menmalou“. Chinesisch ausgesprochen klingt das wie „kann den Weg nicht finden“. In der Dämmerung schlendere ich zurück.
Tausche Englisch gegen Mandarin
Etwa zwei Stunden Fußmarsch liegen noch vor mir, als ein Wagen abbremst. Auf der Ladefläche des Transporters liegen Kohlköpfe. Das ältere Paar in der Fahrerkabine rückt dicht an dicht, damit wir zu dritt hineinpassen. Während wir durch die Dunkelheit in Richtung nächster Ortschaft zuckeln, tauschen wir Vokabeln. Englisch gegen Mandarin. Der Motor röhrt. Draußen ist es stockfinster. Ich verstehe, dass die beiden in Kenting Kohl verkaufen. Sie verstehen, dass ich studiere und aus Deutschland komme. Wir stellen uns Fragen, rätseln, zucken die Achseln. Lachen.