Schalom aus Jerusalem!
Seit Oktober ist Julian Jestadt zum Philosophie-Studium in Israel und schickt Post aus... Jerusalem
05.11.2019
Julian Jestadt auf einem Aussichtspunkt in der Nähe der Rothberg International School auf dem Mount Scopus. Links im Hintergrund ist die Mauer zu sehen, die das Westjordanland von Israel trennt.
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Ich stehe in einer Gruppe von Austauschstudierenden auf der Nancy Reagan Plaza, im Zentrum des Campus der Hebrew University auf dem Mount Scopus in Ost-Jerusalem. Die Sonne brennt, sogar Ende Oktober noch. Gebannt blicken wir auf einen Baum, der seinen Schatten tief auf den Platz wirft. Der Baum steht schief, seine Wurzeln sind fest in roten Beton gegossen. Es sieht aus, als wäre ein überdimensionierter Blumentopf umgekippt und vergessen worden.
Blick von der Nancy Reagan Plaza auf das Mahnmal des Anschlags auf dem Campus der Hebrew University im Juli 2002.
Bildquelle: Privat
Am 31. Juli 2002 habe die Hamas hier einen Anschlag verübt, erklärt uns eine israelische Studentin sichtlich betroffen. Neun Menschen wurden damals in der nahegelegenen Frank Sinatra Cafeteria durch eine Bombe getötet. Die Wucht der Detonation hat den Baum beinahe entwurzelt. Seine Schieflage erinnert noch heute an das Attentat. Es ist nicht das letzte Mal, dass ich in dieser Stadt ein mulmiges Gefühl habe.
Heiliger Ort: Die Klagemauer ist die westliche Mauer des Herodianischen Tempels, der 70 n. Chr. von den Römern zerstört wurde. Der Felsendom markiert laut muslimischer Tradition die Stelle, an der Mohammed in den Himmel aufgefahren ist.
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Angst scheint im Jerusalemer Alltag ein ständiger Begleiter zu sein. Zahlreiche Sicherheitsmaßnahmen lassen einen das nicht vergessen. Die Uni müssen wir durch eine Sicherheitsschleuse betreten. In unserer Wohnheim-WG gibt es einen Panikraum, in dem wir uns bei einem Angriff verschanzen sollen. Per App können wir uns eskortieren lassen, indem unser Standort für eine bestimmte Zeit an die Behörden übermittelt wird und bei einer fehlenden Rückmeldung unsererseits ein SOS-Signal abgesetzt wird. Überall in Jerusalem sieht man hochbewaffnete junge Soldatinnen und Soldaten, vor allem im arabischen Teil der Stadt.
Das Damaskustor ist der Eingang zum muslimischen Viertel der Jerusalemer Altstadt.
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Ein Mann versucht einen Karren voll Brot durch die Gassen der Jerusalemer Altstadt zu schieben, die überfüllt sind mit Touristen, Gläubigen, überall sind kleine Läden.
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Der israelisch-palästinensische Konflikt findet in dem immensen Sicherheitsapparat in Jerusalem wohl seinen sichtbarsten Ausdruck. Wie komplex die Lage darüber hinaus ist, lässt ein Spaziergang über den Mount Scopus erahnen, von dessen Aussichtspunkten man einen weiten Blick hat. Südwestlich überragt die goldene Kuppel des Felsendoms die Jerusalemer Altstadt, die in ein christliches, ein jüdisches, ein muslimisches und ein armenisches Viertel eingeteilt ist. Nordwestlich blickt man auf die Westbank, hauptsächlich bewohnt von Palästinensern und durch eine acht Meter hohe Stahlbetonmauer von Israel getrennt.
Während der Einführungsveranstaltung wird uns empfohlen, nicht hinter die Mauer, in die Westbank, zu reisen. Nur von Weitem lässt sich diese andere Welt erahnen. In den nächsten Wochen möchte ich sie aus der Nähe kennenlernen.
Weitere Informationen
Julian Jestadt schickt uns ein Semester lang „Post aus…Jerusalem“! Er ist einer von elf Autorinnen und Autoren, die von ihren Auslandsstudienaufenthalten für campus.leben berichten.
Hier lesen Sie seine Post auf Englisch.