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Wie sollen Universitäten mit Künstlicher Intelligenz umgehen?

Viele Studierende und Forschende nutzen sie schon – Tools mit Künstlicher Intelligenz wie etwa ChatGPT. Die Technologie wird weitreichende Auswirkungen auf Studium, Forschung und Lehre haben. Wie geht die Freie Universität mit dem Thema um?

11.05.2023

KI eröffnet Universitäten viele Chancen und stellt sie gleichzeitig vor zahlreiche offene Fragen und Herausforderungen.

KI eröffnet Universitäten viele Chancen und stellt sie gleichzeitig vor zahlreiche offene Fragen und Herausforderungen.
Bildquelle: Raphael Rönn

Künstliche Intelligenz (kurz KI) hat das Potenzial, das Studium wie auch die Arbeit in der Forschung und Verwaltung an Hochschulen in vielfacher Hinsicht zu verändern. Umso wichtiger ist es, dass Hochschulen nicht abwarten, sondern sich kritisch-reflektierend mit der neuen technologischen Realität auseinandersetzen. Aber wie? An der Freien Universität Berlin haben Wissenschaftler*innen, Studierende und Mitarbeitende der Hochschulverwaltung in Gesprächsrunden und Kommissionen über den Umgang mit KI in Studium und Lehre diskutiert und beraten. Kernaspekte der Debatte sind in ein Eckpunktepapier eingeflossen, das fortlaufend weiterentwickelt wird.

ChatGPT, BARD und Co. – wie funktionieren eigentlich solche sprachbasierten KI-Tools?
Manche KI-erzeugten Texte klingen schon fast menschlich, sie beruhen aber ausschließlich auf Mathematik: KI-Systeme wie ChatGPT verfassen sprachlich stimmige Texte auf Grundlage statistischer Daten. Die Programme können nicht im herkömmlichen Sinne „verstehen“ und „bewerten“. Sie generieren vielmehr eine Wortfolge – gestützt auf Wahrscheinlichkeitsberechnungen, nicht auf wirklichen Überlegungen. Die Ergebnisse sind in vielen Fällen beeindruckend. Doch auch wenn die durch maschinelles Lernen erstellten Sätze beim flüchtigen Lesen oft plausibel erscheinen, zeigt sich bei genauer Prüfung: Korrekt sind die Aussagen der KI nicht immer. Ihre Qualität hängt vom Algorithmus und den zugrundeliegenden Trainingsdaten ab. So kann es leicht zu inhaltlichen Verzerrungen kommen, etwa in Form von rassistischen oder anderweitig diskriminierenden Aussagen, aber auch zu sogenannten „halluzinierten“ und damit völlig haltlosen Inhalten. Seit Ende 2022 ist das Programm ChatGPT des Tech-Unternehmens OpenAI frei zugänglich. Zahlreiche weitere Akteure im Bereich IT und KI treiben die Entwicklung der Technologie massiv voran.

Welche Herausforderungen ergeben sich durch den Einsatz von KI an Universitäten?

Ein Thema wird von der internationalen wissenschaftlichen Gemeinschaft mit Blick auf KI besonders lebhaft diskutiert: akademisches Fehlverhalten. Die Sorge war und ist groß, dass durch KI-Tools generierte Texte ohne entsprechende transparente Kennzeichnung missbräuchlich als geistiges Eigentum ausgegeben werden – ein klarer Verstoß gegen die Grundsätze wissenschaftlicher Integrität. Bei Prüfungen ist dieser Verstoß als Täuschungsversuch zu werten. Da KI-basierte Texte oft plausibel erscheinen, ist es aktuell eine Herausforderung, entsprechende Textpassagen zu identifizieren.

Für die Ausgestaltung von Prüfungen heißt das, über mögliche Anpassungen oder die Weiterentwicklung bisheriger Formate nachzudenken. Das bedeutet aber natürlich nicht, dass nur noch Klausuren mit Stift und Papier oder mündliche Prüfungen stattfinden können. 

Kritik lässt sich aber auch noch an anderer Stelle üben: Nicht alle Studierende und Lehrende wollen einen Account zur Nutzung der Tools anlegen, und nicht alle haben darüber hinaus Zugang zu den teils kostenpflichtigen Premium-Versionen der Programme – es droht quasi eine KI-Zweiklassengesellschaft. Auch Datenschutz-Bedenken und weitere rechtliche Abwägungen sind notwendig.

Und nicht zuletzt muss die Frage nach den ökologischen und ökonomischen Folgen der Technologie gestellt werden. Die eingesetzten Großrechner verbrauchen nicht nur gewaltige Mengen an Strom, ihre inhaltliche Fütterung mit großen Datenmengen – „Klickarbeit“ – sorgt auch für prekäre Beschäftigungs- und Abhängigkeitsverhältnisse, insbesondere im Globalen Süden.


Prof. Dr. Sven Chojnacki, Vizepräsident für Studium und Lehre und Professor für Politikwissenschaft an der Freien Universität Berlin.

Prof. Dr. Sven Chojnacki, Vizepräsident für Studium und Lehre und Professor für Politikwissenschaft an der Freien Universität Berlin.
Bildquelle: Bernd Wannenmacher

„Die Community ist sich mittlerweile weitgehend einig: ein Verbot von KI-Tools in Studium und Lehre erscheint nichtumsetzbar und ist vor allem auch nicht zukunftsfähig. Vielmehr ist ein potenzialorientierter Ansatz nötig, um die aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen kritisch begleiten und bildungssensibel mitgestalten zu können“, erklärt Sven Chojnacki, Vizepräsident für Studium und Lehre und Professor für Politikwissenschaft an der Freien Universität Berlin.

KI als Zukunftschance für Studium, Forschung und Lehre – unter bestimmten Voraussetzungen

Klar ist, KI-basierte Tools bergen trotz aller ungeklärter Fragen für die Hochschullehre vielfältige Chancen. Angesichts der gesellschaftlichen Relevanz von KI ist es ohnehin geboten, über den universitären Bildungsauftrag und relevante Kompetenzen nachzudenken. Die technischen Neuerungen regen zudem zur Weiterentwicklung von didaktischen Ansätzen sowie von Lehr-, Lern- und Prüfungssettings an. Auch eine personalisierte Lernbegleitung durch KI erscheint möglich. Dabei fungiert die KI als ein auf Lerninhalt und Kenntnisstand des Lernenden individuell abgestimmter „Sparringspartner“. 

Es ist zudem absehbar, dass KI einzelne Schritte des wissenschaftlichen Erkenntnisgewinns oder die Aufbereitung von Erkenntnissenin der Lehre begleiten kann. Auch verspricht der Einsatz von KI neue Möglichkeiten, um mehr Chancengerechtigkeitherzustellen. Wichtig: „Die erprobende Nutzung von KI-Tools in Studium und Lehre muss mit einer umfassenden Reflexionder didaktischen, rechtlichen, ethischen und gesellschaftlichen Dimension einhergehen“, betont Sven Chojnacki.

KI in der Lehre an der Freien Universität

Um Potenziale und Risiken in Studium und Lehre auszuloten, sollen sich Lehrende und Studierende mit KI auseinandersetzen können, so das Eckpunktepapier. Wichtig ist dabei, dass Lehrende sorgsam abwägen, ob und inwiefern sie KI-basierte Tools in ihren Seminaren, Vorlesungen und Tutorien einsetzen möchten. Und, dass sie die Studierenden über die Funktionsweise und Risiken der Tools aufklären. 

Zugleich darf für die Studierenden die Nutzung der Tools nicht verpflichtend sein. Lehrende und Studierende sollen gemeinsam fach- und methodenkritisch die Möglichkeiten und Grenzen von KI-Systemen eruieren. „Im Sinne einer zukunftsorientierten Hochschullehre, die Studierende zur Übernahme von Verantwortung in einer globalen, diversen und digitalen Wissensgesellschaft vorbereitet, ist es das Ziel, neue Technologien auf Basis fachlich-methodischer Reflexion zu nutzen, wie auch Risiken und ethische Fragen angemessen zu berücksichtigen“, resümiert Sven Chojnacki. Auch die Abwägung, inwiefern KI-Tools eine wirkliche Hilfe für denwissenschaftlichen Erkenntnisprozess sein können – etwa bei der Literaturrecherche oder Datenanalyse – bedürfe dieser Auseinandersetzung.

Besonders komplex und diffizil: der Umgang mit KI-basierten Tools im Prüfungskontext. Darüber sollte in den Prüfungsausschüssen gründlich beraten und je nach Fach abgewogen werden, heißt es im Eckpunktepapier der Universität. Selbstverständlich müssen die Standards guter wissenschaftlicher Praxis gewahrt werden. Auch im Zeitalter der KI in Wissenschaft, Studium und Lehre ist Transparenz von höchster Bedeutung und ein Gebot wissenschaftlicher Redlichkeit.

Noch sind KI-generierte Texte in vielen Fällen inhaltlich genauso wenig verlässlich wie ihre Quellenangaben zu wünschen übriglassen. Mit den erwartbaren technologischen Entwicklungsschüben wird es aber umso dringlicher werden, verbindliche Regeln aufzustellen. Wie können KI-Tools transparent in den wissenschaftlichen Arbeitsprozessen einbezogen werden? Es braucht Regeln, die zugleich den Anforderungen innerhalb der jeweiligen Fächerkulturen wie auch den übergreifenden Zielen einer kritischen Vermittlung und verantwortungsbewussten Aneignung digitaler Kompetenzen Rechnung tragen. 

Künstliche Intelligenz – und nun?

„So wie wir den Herausforderungen von KI-Systemen durch didaktische Sensibilisierung und kritische Kompetenzbildung begegnen müssen, so müssen zukunftsfähige Lösungen gemeinsam verhandelt werden. Hier stehen wir erst am Anfang und auch in den kommenden Semestern werden wir den Erfahrungsaustausch mit den Lehrenden und Studierenden fortsetzen“, betont Sven Chojnacki. „Die Grundsätze guter wissenschaftlicher Praxis sind jedoch unverhandelbar und werden auch in Zukunft gelten.“

Weitere Informationen

Erste Eckpunkte zum Umgang mit KI-basierten Systemen und Tools in Studium und Lehre: 

www.fu-berlin.de/campusleben/lernen-und-lehren/2023/230511-umgang-mit-ki/Eckpunkte_FUB_KI-in-der-Lehre.pdf 

Informations- und Workshopangebot

ChatGPT: Gamechanger für die universitäre Lehre!?

Der Workshop bietet Lehrenden, Studierenden und Universitätsangehörigen der Freien Universität Berlin im Rahmen der Themenwoche zur Lehre die Möglichkeit, Einsatzmöglichkeiten von ChatGPT und ähnlichen KI-gestützten Chatbots als Tool für die Hochschullehre zu diskutieren. Der Austausch steht dabei im Fokus: Nach kurzen Impulsen aus den Bereichen E-Learning & E-Examinations und Akademische Integrität haben die Teilnehmenden die Möglichkeit, über die Veränderungen in den Bereichen Lernen, Lehren und Prüfen ins Gespräch zu kommen. Die Teilnehmenden werden ermutigt, ihre eigenen Perspektiven und Erfahrungen einzubringen und somit zur zukünftigen Gestaltung der Lehre an der Freien Universität beitragen.

ChatGPT & Co: The FUture of Teaching, Learning and Assessment?

Der Bereich E-Learning und E-Examinations bietet für Lehrende eine offene Sprechstunde an – unter dem Titel „ChatGPT & Co: The FUture of Teaching, Learning and Assessment?“. Lehrende können sich über Anwendungsmöglichkeiten, Vor- und Nachteile sowie potenzielle Herausforderungen von KI-gestützten Chatbots beim Lehren, Lernen und Prüfen informieren und sich miteinander auszutauschen. Falls interessierte Lehrende vorab konkrete Fragen für die Sprechstunde haben, können sie diese an folgende Mailadresse schicken: digitale-lehre@fu-berlin.de

ChatGPT & Co sinnvoll für meine Lehre nutzen

Die neu verfügbaren Angebote KI-basierter Tools haben Auswirkungen auf die Lehre, wenn Studierende für die Bearbeitung von Lese-, Schreib- und Wissenserwerbsaufgaben diese neuen Werkzeuge einsetzen. Aufgabenstellungen müssen in der universitären Lehre überprüft und angepasst werden, sodass sie auch unter Verwendung von KI-Tools wie ChatGPT sinnvoll von den Studierenden bearbeitet werden können und den Kompetenzerwerb unterstützen. In dem dreiteiligen Workshop wird der lernförderliche Einsatz von KI-Tools wie ChatGPT & Co in Lehrveranstaltungen behandelt.

Weitere Angebote werden derzeit entwickelt.