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Gedenken, verstehen, aufarbeiten

Im Wettbewerb „Challenge History – Remember Hellas“ setzten sich Schülerinnern und Schüler mit der NS-Okkupation Griechenlands auseinander. Die besten Projekte wurden ausgezeichnet.

05.12.2022

In ihrem Film schlüpfen Schülerinnen und Schüler der Waldorfschule Konstanz in die Rolle von griechischen Jugendlichen im Widerstand.

In ihrem Film schlüpfen Schülerinnen und Schüler der Waldorfschule Konstanz in die Rolle von griechischen Jugendlichen im Widerstand.
Bildquelle: Branka Pavlovic / Freie Universität Berlin - MOG
  

Immer noch viel zu wenig ist in Deutschland über die Verbrechen der Nationalsozialisten während des Zweiten Weltkriegs in Griechenland bekannt. Auf Initiative der Freien Universität setzen sich nun Schülerinnern und Schüler aus ganz Deutschland mit der NS-Okkupation Griechenlands auseinander. Entstanden sind engagierte, multimediale und kreative Projekte, die am 25. November im Dokumentationszentrum Topografie des Terrors ausgezeichnet wurden.

In den Jahren 1941 bis 1944 war Griechenland von Deutschland besetzt. Wie in ganz Europa brachten die Nationalsozialisten auch hier Leid und Tod. Mehr als 100.000 Menschen mussten verhungern. 60.000 jüdische Griechinnen und Griechen wurden deportiert und ermordet. 50.000 Zivilisten fielen sogenannten Vergeltungsmaßnahmen zum Opfer. Im kollektiven Gedächtnis Griechenlands wiegt dieses schreckliche Kapitel der Geschichte noch immer schwer. Doch auf deutscher Seite ist oftmals zu wenig über die deutschen Verbrechen in Griechenland bekannt.

Aus Geschichtsbüchern erfährt man zu wenig

„In den Geschichtsbüchern sind häufig nur Fakten über die Situation in Deutschland und den Befreiungskrieg der Alliierten präsent“, sagt Lydia R., Schülerin am Gymnasium im rheinlandpfälzischen Traben-Trarbach. „Fundiertes Wissen über andere europäische Länder in dieser Zeit lässt sich kaum finden. Das ist aber ebenso wichtig, um das große Ganze zu verstehen.“ Mit ihrer Klasse habe sie daher beschlossen, „sich auch mit einem Land zu beschäftigen, über das man in den Schulbüchern nicht sehr viel erfährt.“ 

Am 25. November wurden Lydia und ihre Klasse 9b als eine von vier Gewinnern des Wettbewerbs „Challenge History – Remember Hellas“ ausgezeichnet. Auf Initiative der Freien Universität Berlin hatten sich Schülerinnen und Schüler aus ganz Deutschland mit der NS-Okkupation Griechenlands auseinandergesetzt. Die besten Arbeiten wurden bei einer feierlichen Preisverleihung gewürdigt, die prämierten Projektgruppen erhielten ein Preisgeld von jeweils 2.500 Euro.

Vier Projektgruppen aus ganz Deutschland wurden ausgezeichnet. Sie teilen sich ein Preisgeld in Höhe von 10.000 Euro.

Vier Projektgruppen aus ganz Deutschland wurden ausgezeichnet. Sie teilen sich ein Preisgeld in Höhe von 10.000 Euro.
Bildquelle: Dennis Yücel

Bei der Veranstaltung im Dokumentationszentrum Topografie des Terrors richteten Andrea Riedle, Direktorin der Stiftung Topografie des Terrors, und Sylvia Groneick, Leiterin des Referats für Kultur- und Medienbeziehungen zu Europa, Türkei, Nordamerika, Russland, Zentralasien Kaukasus, Deutsche Minderheiten des Auswärtigen Amtes, Grußworte an die Gäste und prämierten Schulen.

Der Präsident der Freien Universität Berlin Professor Günter M. Ziegler übersandte ein Videogrußwort, in dem er das Engagement der Schülerinnen und Schüler im Kampf gegen das Vergessen eines noch weitgehend unerforschten Kapitels der deutsch-griechischen Geschichte und ihren Beitrag für die Aufarbeitung und Aufklärung dieses schwierigen Themas an Schulen würdigte. Er ermutigte die Jugendlichen, „Zeugen zu werden für die, die bald nicht mehr Zeugnis geben können“.

Mara Marinaki, Botschafterin der Hellenischen Republik in Deutschland zeichnete als Schirmherrin vier Schulen aus, die sich der Geschichte auf ganz unterschiedliche Weise näherten.

Ausstellung mit Plakaten, Quiz und Hintergrundinfos zur NS-Okkupation

Lydia und ihre Projektgruppe des Gymnasiums Traben-Trarbach setzten sich unter dem Titel „Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß?“ mit Verdrängungsprozessen in der kollektiven Erinnerung auseinander. Sie bereiteten dazu eine Ausstellung mit Plakaten, Quiz- und Hintergrundmaterialien zur NS-Okkupation Griechenlands vor. Außerdem gestalteten sie an ihrer Schule den Europatag am 9. Mai und stellten in diesem Zusammenhang Griechenland vor.

Mit Fakten gegen das Vergessen. Schülerinnen und Schüler des Campus Marienthal Hamburg zeigen ihr YouTube-Video.

Mit Fakten gegen das Vergessen. Schülerinnen und Schüler des Campus Marienthal Hamburg zeigen ihr YouTube-Video.
Bildquelle: Dennis Yücel

Die Schülerinnen und Schüler des Campus Marienthal Hamburg (Max-Schmeling- Stadtteilschule und Gymnasium Marienthal) produzierten ein Erklärvideo, das die historischen Hintergründe des Angriffskrieges auf Griechenland anschaulich und detailliert nachzeichnet.

Eine Gruppe des Franz-Marc-Gymnasiums im bayerischen Markt Schwaben beschäftigte sich in ihrem Podcast „Das Massaker von Mouzakata“ eingehend mit den deutschen Kriegsverbrechen in einem kleinen unbekannten Ort auf der Insel Kefalonia.

Die Waldorfschule Konstanz wählte einen fiktionalisierten Weg: In einem Kurzfilm mit dem Titel „vergessen“ zeichneten die Schülerinnen und Schüler das Leben von Jugendlichen im okkupierten Griechenland nach. Dabei verwoben sie Originalmaterial, etwa historische Briefe von Widerstandskämpferinnen und -kämpfern, zu einer bewegenden Geschichte.

Verantwortungsbewusstsein und Empathie für die Opfer

„Der Schülerwettbewerb markiert eine einmalige Gelegenheit, dieses Kapitel deutsch-griechischer Geschichte zu ergründen und zu gedenken“, sagt Botschafterin Mara Marinaki. „Die Schülerinnen und Schüler tragen mit ihren Projekten dazu bei, dass die Geschichte nicht in Vergessenheit gerät und weiter aufgearbeitet wird.“

Michele Barricelli, Professor für Didaktik der Geschichte und Public History an der Ludwig-Maximilians-Universität, München, würdigte in seiner Laudatio die Offenheit, das Engagement und die Kreativität der Schülerinnen und Schüler. Die hochwertigen Wettbewerbsbeiträge zeugten von Verantwortungsbewusstsein und Empathie für die Opfer. Gesucht und gefunden worden seien neue Wege und Ausdrucksweisen der Erinnerungskultur, die sich besonders dafür eigneten, den Dialog zwischen jungen Menschen beider Länder – Griechenland und Deutschland  – zu fördern.

Teil des Projekts „Erinnerungen an die Okkupation in Griechenland“

Entstanden war der Wettbewerb im Rahmen des deutsch-griechischen Geschichts- und Bildungsprojekts „Erinnerungen an die Okkupation in Griechenland“ / „Memories of the Occupation in Greece“ (MOG), das an der Freien Universität Berlin angesiedelt ist. Das Programm war 2016 von Nicolas Apostolopoulos, Honorarprofessor für Erziehungswissenschaft an der Freien Universität, ins Leben gerufen worden.

Mara Marinaki (Mitte), Botschafterin der Hellenischen Republik in Deutschland, im Gespräch mit Honorarprofessor Nicolas Apostolopoulos (links) und Professor Michele Barricelli (rechts)

Mara Marinaki (Mitte), Botschafterin der Hellenischen Republik in Deutschland, im Gespräch mit Honorarprofessor Nicolas Apostolopoulos (links) und Professor Michele Barricelli (rechts)
Bildquelle: Branka Pavlovic / Freie Universität Berlin - MOG

Es umfasst ein Online-Archiv mit Erinnerungen von 93 Zeitzeuginnen und Zeitzeugen der NS-Okkupation Griechenlands sowie eine Bildungsplattform mit umfangreichem Lehr- und Lernmaterial. Zu Wort kommen griechische Widerstandskämpferinnen und -kämpfer, Überlebende der von den Deutschen verübten Massaker, Personen, die bei Razzien verhaftet und nach Deutschland deportiert wurden, Zwangsarbeiter und -arbeiterinnen, verfolgte Jüdinnen und Juden, sowie Zeuginnen und Zeugen von Bombenangriffen.

Auch die Schülerinnen und Schüler des Wettbewerbs nutzten die Plattform für ihre Recherchen. „Ich bin gerührt, dass wir nach all diesen Jahren der Vorbereitung nun die Jugend hier versammelt sehen“, sagte Nicolas Apostolopoulos auf der Preisverleihung. „Wir haben eine lebhafte, ernsthafte und engagierte Auseinandersetzung mit der Geschichte erlebt.“

Für das kommende Jahr ist eine Fortsetzung des Wettbewerbs geplant: dann Mal mit Schülerinnern und Schülern aus Griechenland.