„Gemeinsames Denken, gelöstes Gespräch“
Die Autorin Monika Rinck hielt ihre Antrittsvorlesung als Gastprofessorin an der Freien Universität: „Aquaplaning. So verhalten Sie sich richtig“ / campus.leben-Interview
26.04.2021
Vorausschauendes Fahren in unruhigen Zeiten: Die Schriftstellerin Monika Rinck hat ihrer Antrittsvorlesung an der Freien Universität den Titel „Aquaplaning. So verhalten Sie sich richtig“ gegeben.
Bildquelle: Gene Glover
Monika Rinck, diesjährige Berliner Literaturpreisträgerin, lehrt im laufenden Sommersemester als Gastprofessorin für deutschsprachige Poetik der Stiftung Preußische Seehandlung am Peter-Szondi-Institut der Freien Universität Berlin. Im campus.leben-Interview berichtet die Schriftstellerin von den Herausforderungen digitaler Lehre, beschreibt die für sie größte Veränderung in der Pandemie und erklärt, warum sie sich die Erfindung unhörbarer Musik wünscht.
Frau Rinck, die Verleihung des Berliner Literaturpreises im Februar und die damit verbundene Berufung auf die Gastprofessur an der Freien Universität musste wegen der Pandemie digital stattfinden. Wie haben Sie die Veranstaltung erlebt? Ärgert es Sie, dass gerade in „Ihrem“ Jahr vieles anders ablaufen musste als sonst?
Nein, ich ärgere mich nicht. Ich beziehe die Pandemie auch nicht auf mich. Es stimmt, dass Rituale nur schwer in den digitalen Raum zu übersetzen sind, da sie mit bestimmten Formen der Verkörperung zu tun haben, mit einer Feierlichkeit, zu der auch die Freude des gemeinsamen Feierns gehört.
Es klingt vielleicht eigenartig zu sagen: „Die Laudatio von Angelika Meier war sehr gut", wenn sie sich doch auf mich bezieht: Aber sie war wirklich sehr gut. Darüber habe ich mich sehr gefreut.
Mit dem Berliner Literaturpreis einher geht die Berufung an die Freie Universität auf die Gastprofessur für deutschsprachige Poetik der Stiftung Preußische Seehandlung. Was erwartet Ihre Studierenden?
Mal schauen. Infrage kämen zum Beispiel Texte von Etal Adnan, Sonja vom Brocke, Elke Erb, Anne Dufourmantelle, Daniel Falb, Mara Genschel, Klaus Heinrich, Anja Utler… Und natürlich die Besprechung der entstehenden Texte.
Was erhoffen Sie sich für die Arbeit mit den Studierenden?
Austausch, Anregung, Entdeckung, Arbeit am Text, gemeinsames Denken, gelöstes Gespräch, neue Lektüren, neue Verbindungen.
Ihre Antrittsvorlesung am 27. April trägt den Titel „Aquaplaning. So verhalten Sie sich richtig.“ Verraten Sie vorab schon mehr dazu?
Es geht um vorausschauendes Fahren, stabile Straßenlage, um die Übertragung von Kräften, um Vorahnungen sowie um das, was diesen Vorahnungen vorausgeht.
Momentan finden Seminare und Vorlesungen fast ausschließlich online statt. Von wo aus werden Sie mit den Berliner Studierenden arbeiten?
Ich werde von Wien aus unterrichten, aus meiner Wohnung.
Beschreiben Sie uns Ihren Arbeitsplatz?
Momentan ist das Gluckern der Therme zu hören, der dumpfe Fernsehton des Mieters unter mir und die Musik eines französischen Radiosenders, mit der ich versuche, dem etwas entgegenzusetzen. Das wird an einem Sommermorgen zwischen 8 und 11 Uhr gewiss anders sein. Aufschauend kann ich ein Stück Himmel sehen, und zwei Bäume, die nun wieder im Laub stehen.
Inwiefern beeinflusst das digitale Arbeiten Ihre Zusammenarbeit mit den Studierenden?
Der gemeinsame Denkraum ist nur sehr schwer zu errichten. Pausen sind wichtig. Ich denke Pausen unter diesen Bedingungen nicht als Unterbrechung des Seminars, sondern als eine Form des Weiterdenkens, ohne dabei an den Bildschirm gebannt zu sein.
Funktioniert Poetik auch digital?
Poetik – hm, wie soll sie überhaupt funktionieren? Was ist überhaupt „funktionieren" in Bezug auf Poetik? Wenn es sich dabei um die konzentrierte Lektüre von Gedichten handelt, dann funktioniert das sowohl im E-Book wie am Bildschirm und auch im Buch.
Sehen Sie im digitalen Austausch Vorteile?
Ich weiß es nicht. Wirklich nicht. Mal so, mal so. Ohne digitalen Austausch wären wir verloren. Ist das ein Vorteil? Ich denke schon.
Inwieweit hat sich Ihre schriftstellerische Tätigkeit in der Pandemie verändert?
Da sehr viele Erwerbsmöglichkeiten weggebrochen sind, habe ich mich um eine Professur am Institut für Sprachkunst in Wien beworben. Insofern hat sich viel verändert für mich, in der neuen Stadt.
Was die Arbeitsbedingungen von Autorinnen und Autoren angeht, befürchte ich eine frappante Verschlechterung, die sich bereits abzuzeichnen beginnt. Das gilt auch für viele andere Kunstformen.
Aber ich will nicht pessimistisch sein. Ich versuche, insbesondere im Sinne der Studierenden, die ja gerade erst beginnen, aufmerksam zu sein, auf Mittel und Wege, mit denen sich dem entgegenwirken lässt.
Was inspiriert Sie in Ihrer Tätigkeit?
Gute neue Texte zu entdecken. Gespräche mit Freundinnen und Freunden. Korrespondenzen.
Worauf freuen Sie sich am meisten, wenn wir wieder in so etwas wie einer „öffentlichen Normalität“ leben dürfen?
Endlich wieder Freunde und Freundinnen im Ausland besuchen zu können. Überhaupt: Leute besuchen zu können und Besuch zu empfangen. Das wäre schön. Und auszugehen. Bibliotheken vermisse ich auch immens.
Die Fragen stellte Anne Kostrzewa
Weitere Informationen
Monika Rinck, geboren 1969 in Zweibrücken (Rheinland-Pfalz) studierte Religionswissenschaft, Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft, Anglistik und Germanistik an der Ruhr Universität Bochum, der Freien Universität Berlin und an der Yale University in New Haven. Seit 1998 erscheinen diverse Veröffentlichungen in vielen Verlagen. Sie übersetzt, kooperiert mit Musikerinnen und Musikern, Komponistinnen und Komponisten und lehrt seit Oktober 2020 als Professorin am Institut für Sprachkunst der Universität für Angewandte Kunst in Wien.
Am 9. Februar 2021 wurde sie mit dem Berliner Literaturpreis ausgezeichnet. Damit verbunden ist die Berufung auf die Gastprofessur für deutschsprachige Poetik der Stiftung Preußische Seehandlung am Peter-Szondi-Institut für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft der Freien Universität.