Springe direkt zu Inhalt

Belastete Orte, pragmatische Weiternutzung

Noch bis Ende Oktober: Eine von Studierenden der Freien Universität Berlin konzipierte Sonderausstellung im denkmalgeschützten Schwerbelastungskörper widmet sich ausgewählten Bauten der NS-Architektur

09.09.2020

Noch bis zum 31. Oktober ist die Ausstellung im Informationsort Schwerbelastungskörper zu sehen.

Noch bis zum 31. Oktober ist die Ausstellung im Informationsort Schwerbelastungskörper zu sehen.
Bildquelle: Patric Sperlich / Museen Tempelhof-Schöneberg

Public-History-Studentinnen Karolína Bukovská (links) und Luise Fakler im Innern des Prüfturms.

Public-History-Studentinnen Karolína Bukovská (links) und Luise Fakler im Innern des Prüfturms.
Bildquelle: Sören Maahs

In Berlin sind erstaunlich viele architektonische Spuren aus der Zeit des Nationalsozialismus erhalten geblieben. Raumgreifende Monumentalbauten wie der Flughafen Tempelhof, das Olympiastadion oder das Reichsluftfahrtministerium gehören fest zum Stadtbild. Weit weniger bekannt als diese einstigen Vorzeigebauten sind NS-Bauwerke wie der Schwerbelastungskörper nahe dem Bahnhof Südkreuz: ein scheinbar funktionsloser, gigantischer Betonzylinder. 1941 mithilfe von Zwangsarbeitern errichtet, sollte der zwölftausend Tonnen schwere Belastungskörper testen, ob der Berliner Boden an dieser Stelle einen 120 Meter hohen Triumphbogen für die geplante „Welthauptstadt Germania“ tragen würde. 

Studierende des Masterstudiengangs „Public History“ der Freien Universität nutzen dieses historisch schwer belastete Bauwerk für ihre Ausstellung „Belastete Orte“. Durch eine schwere Eisentür geht es hinein in die niedrige Messkammer des Betonkolosses. In dem bogenförmigen Raum liegen ausgebreitet auf einer halbrunden Betonbrüstung kurze Texte zu fünf Bauten aus der NS-Zeit im Bezirk Tempelhof-Schöneberg. Baupläne sowie zeitgenössische und aktuelle Fotos illustrieren die prägnanten Baubeschreibungen. 

Projekt der Public History

Die Ausstellung ist chronologisch nach Baujahr geordnet, sodass sich eine Art Zeitstrahl abschreiten lässt. Die ausgewählten Bauten repräsentieren die gestalterische Vielfalt der nationalsozialistischen Architektur, die zu Unrecht auf die maßstablosen Planungen für die „Welthauptstadt Germania“ reduziert worden ist: „Die Hauptstadtplanung von Albert Speer findet sehr viel Beachtung. Umgesetzt wurde von diesen Plänen kaum etwas. Wir wollten uns lieber dem zuwenden, was tatsächlich entstand und bis heute erhalten ist“, sagt Luise Fakler. Sie ist eine von den 13 Studierenden der Freien Universität, die die Ausstellung in einem Praxisseminar des Masterstudiengangs „Public History“ entwickelt haben.

Von der Konzeption bis zur Gestaltung lag alles in den Händen der Studierenden. „Das Schöne an dem Studiengang sind die vielen Veranstaltungen mit Praxis- und Projektbezug“, sagt Public-History-Studentin Karolína Bukovská, die ebenfalls an der Ausstellung beteiligt ist. Gemeinsam recherchierten die Studierenden im Bauaktenarchiv, suchten das Bildmaterial, klärten die Bildrechte und schrieben die Texte. Unterstützt wurden sie von den Museen Tempelhof-Schöneberg. „Für uns war die Zusammenarbeit mit den Studierenden eine tolle Gelegenheit, um einen neuen Blick auf das Thema zu werfen“, sagt Philipp Holt, Ausstellungskurator und stellvertretender Leiter der Museen Tempelhof-Schöneberg, der das Projekt gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen betreut hat.

14 Meter hoch, 18 Meter tief in den Boden getrieben, 21 Meter Durchmesser. Seit 80 Jahren versinkt der Schwerbelastungskörper langsam im Märkischen Sand.

14 Meter hoch, 18 Meter tief in den Boden getrieben, 21 Meter Durchmesser. Seit 80 Jahren versinkt der Schwerbelastungskörper langsam im Märkischen Sand.
Bildquelle: Sören Maahs

Die Ausstellung möchte auf fünf Bauten hinweisen, die im Berliner Stadtbezirk Tempelhof-Schöneberg sichtbaren sind, und Erläuterungen geben, die man an Ort und Stelle vermisst.

Die Ausstellung möchte auf fünf Bauten hinweisen, die im Berliner Stadtbezirk Tempelhof-Schöneberg sichtbaren sind, und Erläuterungen geben, die man an Ort und Stelle vermisst.
Bildquelle: Sören Maahs

Schwieriges Erbe im ständigen Gebrauch

Der Umgang mit dem städtebaulichen Erbe des Nationalsozialismus ist geprägt von pragmatischer Weiternutzung, das macht die Ausstellung sehr deutlich. „Meist begnügte man sich damit, die steinernen Hakenkreuze und Hitlerporträts abzuschlagen“, sagt Karolína Bukovská. Reichsadler und andere NS-Symbole blieben mitunter bestehen. Auch die in der Ausstellung vorgestellten Bauten sind bis heute mit zum Teil geänderten Funktionen im Gebrauch.

Das 1939 fertiggestellte Verwaltungsgebäude für die Bauleitung der Reichsautobahnen in der Potsdamer Straße wurde nach 1945 mehr als 50 Jahre lang von der BVG als Hauptsitz genutzt. Im Rathaus Tempelhof, 1938 eingeweiht, befinden sich heute verschiedene Ämter des Bezirks. „Dass das Rathaus während der nationalsozialistischen Herrschaft entstanden ist, lässt sich auch am Grundriss ablesen: Ein Saal für die demokratisch gewählte Bezirksverordnetenversammlung fehlt und wurde erst 1969 ergänzt“, erklärt Karolína Bukovská.

In der Evangelischen Martin-Luther-Gedächtniskirche in Mariendorf, 1935 erbaut, ist am Taufstein ein Mann in SA-Uniform zu sehen, und an der holzgeschnitzten Kanzel lauscht ein Soldat mit Stahlhelm der Bergpredigt Jesu. Und die ab 1938 gebaute Wohnsiedlung am Grazer Damm ginge bei flüchtiger Betrachtung auch als sozialer Wohnungsbau der 50er Jahre durch – wäre da nicht das Relief mit Hitlerjungen über einem Hauseingang.

Ein architektonischer Sonderling

Der vielleicht markanteste unter den vorgestellten Bauten ist der ehemalige Luftschutzbunker an der Pallasstraße. Trotz Überbauung durch das 13-geschossige Pallasseum, dem 1978 auf Stelzen errichteten „Sozialpalast“, ist der 20 Meter hohe Bunker nicht zu übersehen. Luise Fakler, die in Schöneberg aufgewachsen ist, erinnert sich daran, wie sie schon als Kind den großen, grauen Betonklotz als beklemmenden Fremdkörper wahrgenommen hat. „Ich habe den Bunker immer auf mein Leben bezogen. ‚Müssen wir da auch rein, wenn Krieg ist?‘ soll ich meine Mutter einmal gefragt haben.“ 

Verbliebene Ornamente und Spuren entfernter Symbole machen den nationalsozialistische Vergangenheit der Gebäude sichtbar.

Verbliebene Ornamente und Spuren entfernter Symbole machen den nationalsozialistische Vergangenheit der Gebäude sichtbar.
Bildquelle: Sören Maahs

Errichtet wurde der Hochbunker für das Schöneberger Fernmeldeamt ab 1943 von sowjetischen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern, die mit ihren Familien in der neben dem Baugrundstück gelegenen Augusta-Schule interniert waren. Nach Kriegsende erhielt die Schule den Namen der Widerstandskämpferin Sophie Scholl. „Unter den Kindern der Zwangsarbeiter war auch Maria Derewjanko aus der heutigen Ukraine“, berichtet Luise Fakler. Anfang der 90er Jahre schrieb Derewjanko einen Brief an die Sophie-Scholl-Schule. Aus dem Brief erwuchs dann ein freundschaftlicher Austausch zwischen Schulangehörigen und Menschen in der Ukraine, gegenseitige Besuche eingeschlossen. „Es sind solche Geschichten von unerwarteter Freundschaft, die die Recherche für die Ausstellung so lebendig gemacht haben“, erzählt Luise Fakler. In der Ausstellung ist Maria Derewjanko auf einem 1945 aufgenommenen Foto zu sehen, das sie als junges Mädchen zeigt, verkleidet mit einem Kostüm aus dem Theaterfundus der Augusta-Schule.

Kann Stein und Beton aus sich heraus „böse“ sein?

Die Ausstellung im Schwerbelastungskörper hält sich mit politischen Wertungen zurück, ohne dabei die Problematik in der Auseinandersetzung mit diesem schwierigen Erbe zu verschweigen. Wie schwer der angemessene, weil kritische Umgang mit der Vergangenheit fällt, zeigt sich auch in Kontroversen um die Erhaltung von Gebäuden aus den Jahren zwischen 1933 und 1945. Sollen Bauzeugnisse aus der NS-Zeit denkmalgerecht saniert werden? Kommt das nicht einer Rehabilitierung gleich?

„Das ist eine schwierige Frage, auf die ich keine allgemeingültige Antwort habe“, sagt Karolína Bukovská. „Denke ich aber zum Beispiel an die Menschen, die in der Siedlung am Grazer Damm ihr Leben eingerichtet haben – ihnen ist man es schuldig, die Gebäude zu pflegen, genauso wie bei anderen Wohnhäusern auch.“ Gleichzeitig müsse man jedoch vermeiden, die architektonischen Zeugnisse der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft nachträglich zu verharmlosen oder die mit ihrer Gestaltung vermittelten ideologischen Absichten zu verleugnen. 

Weitere Informationen

Die Sonderausstellung „Belastete Orte“ ist noch bis zum 31. Oktober im Informationsort Schwerbelastungskörper (General-Pape-Straße, Ecke Loewenhardtdamm) zu sehen. Geöffnet ist der Informationsort immer Dienstag bis Donnerstag sowie Sonnabend und Sonntag von 13 bis 18 Uhr. Der Eintritt ist frei.
Termine für Führungen mit Studierenden der Public History finden Sie in Kürze auf der Website der Museen Tempelhof-Schöneberg.