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Exkursion in eine Schatzkiste

Studierende eines geologischen Masterseminars waren im Februar und März – vor den Einschränkungen durch die Corona-Pandemie – zu Forschungszwecken im Sultanat Oman

30.06.2020

Zwischenstopp bei Wadi Ghul. Wegen der Schluchten wird die Region in Reiseführern auch der Grand Canyon Omans genannt.

Zwischenstopp bei Wadi Ghul. Wegen der Schluchten wird die Region in Reiseführern auch der Grand Canyon Omans genannt.
Bildquelle: privat

„Wir haben die Grenze zwischen Erdkruste und Erdmantel gesehen“, erklärt Niklas Kallnik. Der Geologiestudent im siebten Bachelorsemester ist noch immer beeindruckt von der Erkundungsreise nach Oman. „Diese Möglichkeit gibt es nur an ein oder zwei weiteren Orten auf der Welt. In der Regel liegt der Übergang von Kruste zu Mantel unter der ozeanischen oder kontinentalen Platte beziehungsweise der Erdkruste und ist damit nicht zu erreichen.“ 2300 Kilometer in knapp zwei Wochen hat die Gruppe aus 14 Studierenden der Geowissenschaften der Freien Universität mit ihren Exkursionsleitern im Sultanat Oman zurückgelegt.

Ziel der Forschungsreise, in Vor-Corona-Zeiten, war es, die Bestandteile der sogenannten ozeanischen Lithosphäre – so wird die ozeanische Erdkruste bezeichnet – und geologische Prozesse zu untersuchen. „Oman ist ein absoluter Hotspot für geowissenschaftliche Untersuchungen“, berichtet Saskia Weitkamp, die im dritten Semester den Masterstudiengang Geologische Wissenschaften studiert. „Ein Teil der ozeanischen Lithosphäre befindet sich an der Erdoberfläche. Das ist extrem selten, denn normalerweise schiebt sich diese ozeanische Kruste, die dichter ist als die kontinentale, unter die kontinentale Kruste“, erklärt sie.

Forschen und Arbeiten im Gelände

Untersuchungen an der ozeanischen Lithosphäre seien deshalb nur möglich, wenn man tief in die Erde bohre – oder eben beispielsweise nach Oman reise. In dem Land im Südosten der Arabischen Halbinsel haben tektonische Prozesse zu einer Obduktion geführt. Damit bezeichnet man Vorgänge, bei denen sich die ozeanische über die kontinentale Kruste schiebt. Das so an die Oberfläche transportierte Gestein wird als Ophiolit bezeichnet.

Die Verschiebung fand vor etwa 87 bis 76 Millionen Jahren statt, „also noch mehr als zehn Millionen Jahre vor dem Aussterben der Dinosaurier“, erläutert Saskia Weitkamp. Geowissenschaftlerinnen und -wissenschaftler sprechen dennoch von einem „relativ jungen“ Prozess.

Wegen des trockenen Klimas in Oman sind Gesteinsverfaltungen wie bei der "Mutter aller Aufschlüsse" perfekt zu sehen.

Wegen des trockenen Klimas in Oman sind Gesteinsverfaltungen wie bei der "Mutter aller Aufschlüsse" perfekt zu sehen.
Bildquelle: Saskia Weitkamp

Den Blick ins Erdinnere erlauben sogenannte Aufschlüsse: An diesen Stellen ist das sonst im Verborgenen liegende ozeanische Gestein an der Erdoberfläche sichtbar. Dort haben die Studierenden Beobachtungen vorgenommen und Daten etwa über Gesteinsstrukturen und die Mineralogie gesammelt. „Ziel der Exkursion war es, geowissenschaftliche Arbeitsmethoden direkt am Ophiolit in Oman anzuwenden“, sagt Bachelorstudent Niklas. Insgesamt haben die Studierenden mehr als 30 Aufschlüsse gesehen und darüber auch erfahren, wie vielfältig die Arbeit im Gelände ist.

An der „Mutter aller Aufschlüsse“ sind Gesteinsverfaltungen perfekt zu sehen

Ein Schwerpunkt der Forschungsreise lag auf der Mineralogie. „Wenn man sich mit den Eigenschaften und der Entstehung von Mineralen auseinandersetzt, lassen sich die Druck- und Temperaturbedingungen rekonstruieren, unter denen ein Gestein entstanden ist“, erläutert Robert Neumeister, Masterstudent im dritten Fachsemester.

Das Mineral Lawsonit zum Beispiel, das die Gruppe in Eklogiten, einer Gesteinsart, am Strand bei As Sifah gefunden hat: „Lawsonit entsteht bei relativ geringen Temperaturen, unter 500 Grad Celsius, aber bei hohen Drücken von etwa zwei Gigapascal. Die Lawsonite im Gestein haben sich also gebildet, als das Gestein diesen Umgebungsbedingungen im Erdinnern – genauer in der Subduktionszone – ausgesetzt war.“

v.l.n.r.: Die Studierenden Robert Neumeister, Saskia Weitkamp und Niklas Kallnik

v.l.n.r.: Die Studierenden Robert Neumeister, Saskia Weitkamp und Niklas Kallnik
Bildquelle: Anne Stiller

Anhand von Relikten wie etwa Gesteinsverfaltungen lassen sich tektonische Prozesse nachvollziehen. Besonders beeindruckend sei die „Mutter aller Aufschlüsse“ gewesen; so bezeichnen Geologinnen und Geologen einen spektakulären Aufschluss, bei dem die Faltungen in dem Sedimentgestein Radiolarit sehr gut zu sehen sind. „Die Kräfte, die auf das Gestein eingewirkt und die Faltung verursacht haben, sind perfekt als Spuren zu erkennen“, sagt Saskia Weitkamp.

Möglich ist das durch das trockene, warme Klima in der Region. „Es gibt kaum Vegetation. Die Aufschlüsse sind nicht zugewachsen oder durch meteorische Wässer wie Regen verwittert“, erklärt Robert Neumeister.

Für Geowissenschaftlerinnen und -wissenschaftler gleicht Oman deshalb einer Schatzkiste. Wenn auch einer kargen: In der  Landschaft wähnten sich die Studierenden immer wieder in einer anderen Umgebung. „Es fühlte sich an, als liefen wir durch eine Mondlandschaft.“

Abwechslung von der überwiegend kargen Vegetation sind Flussbetten, sogenannte Wadis, wie das Wadi Tiwi.

Abwechslung von der überwiegend kargen Vegetation sind Flussbetten, sogenannte Wadis, wie das Wadi Tiwi.
Bildquelle: Saskia Weitkamp

Den CO2-Gehalt in der Atmosphäre reduzieren – durch Einlagerung im Gestein?

Auf ihrer Exkursion studierte die Gruppe auch die Wechselwirkungen zwischen Kohlendioxid in Wasser und Gestein. „Wir haben gesehen, dass unter bestimmten Bedingungen extrem viel CO2 in bestimmten Gesteinen lagern kann“, sagt Saskia Weitkamp. Die Frage sei, wie und ob dieser Vorgang industriell nutzbar gemacht werden könnte.

Die Einlagerung von Kohlendioxid in tiefliegenden Gesteinsschichten, die sogenannte CO2-Sequestierung, ist dabei auch in anderer Hinsicht von Bedeutung: „Alle aktuellen Klimamodelle, die an einer Begrenzung der Erderwärmung um maximal zwei Grad Celsius festhalten, beziehen die CO2-Einlagerung als Möglichkeit ein, um den Kohlendioxid-Gehalt in der Atmosphäre zu reduzieren“, erklärt Niklas Kallnik. Die praktische Umsetzung der Kohlendioxid-Einlagerung sei jedoch noch im Entwicklungsstadium.

Durch die Arbeit im Gelände konnten die Studierenden die Sequestierung unter natürlichen Bedingungen studieren – und nicht nur in einer kontrollierbaren Laborumgebung. „Es ist ein Unterschied, ob man die Auswirkungen von Gestein untersucht, das seit fünf Minuten eingelagert ist, oder von solchem, das seit mehreren Millionen Jahren eingeschlossen ist“, sagt Robert Neumeister.

Spazieren auf der Grenze zwischen Erdkruste und Erdmantel

Der mögliche Blick ins Erdinnere, die Aufschlüsse, die tektonische Prozesse sichtbar machen, haben die Geowissenschaftsstudierenden überrascht und fasziniert zugleich. Doch auch andere Teile des Oman haben die Studierenden kennengelernt.

„Wir waren natürlich auch in der Hauptstadt Muscat, in der Oasenstadt Nizwa, am Strand und in der Wüste“, erzählt Saskia Weitkamp. Dabei habe sie einen Einblick in die Lebensweise der Omanis bekommen, die sie als „ganz anders, gelassener“ empfindet als die der Deutschen. Ob zu Studien- und Forschungszwecken oder der Kultur und Natur wegen: wieder einmal in das Sultanat zu reisen, können sich die drei gut vorstellen.