Springe direkt zu Inhalt

Alles außer gewöhnlich

Der Autor und Musiker Thomas Meinecke wurde mit dem Berliner Literaturpreis 2020 ausgezeichnet und an die Freie Universität auf die Gastprofessur für deutschsprachige Poetik der Stiftung Preußische Seehandlung berufen

27.02.2020

Überreichung des Berliner Literaturpreises 2020 (v.l.n.r.): Hans Gerhard Hannesen (Stiftung Preußische Seehandlung), Michael Müller (Regierender Bürgermeister), Thomas Meinecke und Professor Günter M. Ziegler (Präsident der Freien Universität).

Überreichung des Berliner Literaturpreises 2020 (v.l.n.r.): Hans Gerhard Hannesen (Stiftung Preußische Seehandlung), Michael Müller (Regierender Bürgermeister), Thomas Meinecke und Professor Günter M. Ziegler (Präsident der Freien Universität).
Bildquelle: gezett

Am Montagabend blieb das Berliner Rathaus für die Öffentlichkeit geschlossen – die Stiftung Preußische Seehandlung hatte zur Verleihung des Berliner Literaturpreises 2020 geladen. Der diesjährige Preisträger Thomas Meinecke ist Schriftsteller, Musiker und Diskjockey und hat zuletzt mit seinem schwer in einem Genre zu verortenden Roman „Tomboy“ die Literaturszene aufgerüttelt.

Michael Müller, Regierender Bürgermeister von Berlin, überreichte den Preis, Günter M. Ziegler, Präsident der Freien Universität, gratulierte zur damit verbundenen Berufung auf die Gastprofessur für deutschsprachige Poetik der Stiftung Preußische Seehandlung am Peter-Szondi-Institut für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaftder Freien Universität Berlin.

Thomas Meinecke sei als Schriftsteller und Musiker eine Bereicherung für die Universität und werde die Berliner Wissenschaftler „auf mehreren Ebenen, beziehungsweise Tonspuren, inspirieren“, sagte der Präsident. Und versprach: „Bei uns in Dahlem werden Sie ein großartiges und anregendes Umfeld vorfinden.“ Im Sommersemester wird Thomas Meinecke mit Studierenden der Berliner und Brandenburger Universitäten in einem Autorenkolleg an ihren Texten arbeiten.

Die Laudatio auf den Preisträger hielt Barbara Vinken, Professorin für Allgemeine und Französische Literaturwissenschaft an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Dass sie als Rheinländerin am Rosenmontag auf einem Podium stehen dürfe, noch dazu in Berlin, entbehre nicht einer gewissen Ironie, erklärte Vinken eingangs – und beruhigte das schmunzelnde Publikum: „Ich werde keine Büttenrede halten.“ Vielmehr lobte sie Meinecke als Schriftsteller, der ein „absolutes Gehör für Theorien“ habe. Sie sei verblüfft über das „geradezu irre Weltwissen“, mit dem Meinecke in seinen Büchern aufwarte, sagte die Literaturwissenschaftlerin.

„Er bewegt Texte anderer Autoren in seinem Herzen.“ Auch sich selbst habe sie in einem seiner Bücher wiedergefunden: Ihr 1992 bei Suhrkamp erschienenes Buch „Dekonstruktiver Feminismus“ werde in Meineckes „Tomboy“ zitiert – das sei ihre erste „Begegnung“ mit Thomas Meinecke gewesen: „Er nimmt alles auf, nimmt alles ernst. Nur nicht sich selbst.“

So trete Meinecke etwa in seinem Buch „Lookalikes“ als sein eigener Doppelgänger auf, jedoch nicht als Autor, sondern als Stipendiat – als welcher Meinecke übrigens, wie der Regierende Bürgermeister Michael Müller in seiner Rede bemerkte, im Jahr 1987 bereits länger in Berlin war, wovon sein erster Roman „Holz“ erzählt. Meineckes Art des Schreibens passe sehr gut nach Berlin, sagte Müller weiter. Die Stadt sei, ebenso wie Meineckes Texte, „schnell, flüchtig, belebend und inspirierend“, beide böten „immer wieder neue, spannende und anregende Erfahrungen“.

Tatsächlich versteht sich Meinecke als „postmoderner“ Autor. Seine Texte zu lesen,erfordert stellenweise Geduld, wenn die Handlung durch Gedanken, literarische oder historische Verweise absolut beabsichtigte, aber für den Leser völlig unerwartete Umwege nimmt; einen Absatz weiter kann es dann aber bereits passieren, dass man lesend kaum Schritt halten kann mit dem rasanten Erzähltempo. Nicht grundlos wird sein Schreibstil immer wieder mit dem Samplen verglichen, also dem geschickten Mischen von Musikstücken, wie es DJs in ihren Sets tun – Meineckes Bücher und Texte erinnern in ihren aneinandergereihten Assoziationen, Verweisen auf andere Werke, Autoren und Theoretiker genau daran. Abwegig ist dieser Vergleich sowieso nicht, schließlich ist Meinecke seit Jahrzehnten selbst als Musiker seiner Avantgarde-Rock-Band F.S.K. und als Diskjockey in Clubs und im Bayerischen Rundfunk unterwegs.

Seinen Schreibstil literarisch dingfest zu machen, ist nicht zuletzt deshalb eine Herausforderung, aber gerade das zeichnet ihn aus und hat ihm nun auch die hochdotierte Auszeichnung des Berliner Literaturpreises eingebracht.

Nachdem Meinecke den Preis am Montagabend dankend in Empfang genommen hatte, las er Fragmente aus seinem neuen noch unveröffentlichten Buch, das voraussichtlich im kommenden Jahr erscheinen wird. Wie schon „Tomboy“ spielt auch das neue Werk im Odenwald, einem Ort, mit dem der 64-jährige Meinecke selbst viele Erinnerungen verknüpft. „Mein Vater hat bei BASF in Ludwigshafen gearbeitet“, erzählte er beim Empfang nach der Preisverleihung. „Deshalb habe ich, obwohl ich gebürtiger Hamburger bin, viel Zeit im Odenwald verbracht.“

Auch historisch und literarisch sei die Gegend ein „inspirierender Ort“ für ihn, etwa als Schauplatz des Nibelungenlieds, aber auch als Feriendomizil der Familie Adorno. Letztere findet ebenfalls Eingang in sein neues Buch. Dass die Preisverleihung mit Musikstücken aus der Feder des Philosophen Theodor W. Adorno begleitet wurde, gespielt vom „Kairos Quartett“, war demnach natürlich kein Zufall, sondern ausdrücklicher Wunsch Meineckes. „Viele denken immer, als Musiker und DJ stehe ich nur auf Modernes, Pop, Rock, Jazz. Das höre ich auch gern. Aber Adorno schien mir für den heutigen Abend viel passender.“ Meinecke überrascht eben, nicht nur in seinen Texten.

Meineckes Antrittsvorlesung an der Freien Universität ist für den 29. April geplant. Einen genauen Fahrplan für die Vorlesung habe er noch nicht, sagte der Preisträger. Dass es für die Studierenden mit dem postmodernen Autor alles andere als langweilig werden dürfte, steht aber außer Frage. Zur Eröffnung seiner Gastdozentur in Frankfurt spielte er einen Song auf einem Plattenspieler ab. Anschließend las er aus Rezensionen vor, die über sein Buch „Tomboy“ geschrieben worden waren. „Ich wollte den Studierenden nicht irgendetwas vorbeten, was sie ohnehin in ihren Seminaren lernen können“, sagte Meinecke.

Suhrkamp brachte die ungewöhnlichen Frankfurter Vorlesungen 2012 als Buch heraus, der Titel „Ich als Text“. Vermutlich wird Thomas Meinecke auch seine Gastprofessur an der Freien Universität literarisch verarbeiten. Abwegig wäre das nicht. „Ich will mir beim Schreiben nichts ausdenken“, sagte Meinecke. „Das Leben und die Literatur sind meine Inspiration.“