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Bühne frei für Fairness an Schulen

Studierende des Grundschullehramtes und der Sozialpädagogik lernten in einem Seminar mit dem GRIPS-Theater, wie sich Ausgrenzung und Gewalt an Schulen bekämpfen lassen

26.02.2020

Begleiten den kooperativen Workshop im GRIPS-Theater (von links): Friederike Lorenz (Sozialpädagogik), Marcel Kabaum (Grundschullehramt), Anna-Sophia Fritsche (GRIPS-Theater) und Maksim Hübenthal (Sozialpädagogik).

Begleiten den kooperativen Workshop im GRIPS-Theater (von links): Friederike Lorenz (Sozialpädagogik), Marcel Kabaum (Grundschullehramt), Anna-Sophia Fritsche (GRIPS-Theater) und Maksim Hübenthal (Sozialpädagogik).
Bildquelle: Sören Maahs

Fast alle Berliner Schulen bieten inzwischen Ganztagsbetreuung an. Den Schulen wächst damit eine Fülle neuer Aufgaben zu, die sich am besten bewältigen lassen, wenn Lehrkräfte mit Sozialpädagoginnen und -pädagogen kooperieren. Denn in der offenen Ganztagsschule wirken beide Berufsgruppen zusammen – häufig lernen sie sich allerdings erst im Berufsalltag kennen.

Das hat Nachteile, sagt Maksim Hübenthal vom Arbeitsbereich Sozialpädagogik der Freien Universität: „Es gehen Kooperationspotenziale verloren, da das Handeln schul- und sozialpädagogischer Kräfte zu wenig aufeinander abgestimmt ist.“ Wie aber lassen sich verschiedene Zuständigkeiten und Angebote besser zusammenbringen?

Um einen fachlichen Austausch beider Professionen bereits in der Ausbildung zu ermöglichen, fand in diesem Semester ein kooperatives Lehrprojekt zwischen den Fächern Grundschulpädagogik, Didaktik Deutsch, und Sozialpädagogik statt. Das vom SUPPORT-Programm der Freien Universität geförderte Seminar „Mobbing als Kooperationsherausforderung zwischen Lehrkräften und Fachkräften der Kinder- und Jugendhilfe in der Schule“ haben je fünfzehn Lehramtsstudierende und Sozialpädagogikstudierende besucht. Das Seminar wurde von Maksim Hübenthal (Sozialpädagogik), Marcel Kabaum (Grundschullehramt) und Friederike Lorenz (Sozialpädagogik) angeboten.

Interdisziplinäre Zusammenarbeit

In der Regel fällt Lehrkräften eher die fachbezogene Lehrstoffvermittlung zu, während Sozialpädagoginnen und -pädagogen zum Beispiel dabei helfen, ‚schuldistanzierte‘ Jugendliche, die Konflikte mit Lehrern, Eltern oder Mitschülern haben, wieder in den Unterricht zu integrieren. Beide Gruppen bilden durch die unterschiedlichen Ausbildungen eigene pädagogische Berufsprofile heraus.

„Die Idee hinter dem Seminar war, bereits im Studium interdisziplinär zu kooperieren und sich gemeinsam mit fachlichen Herausforderungen zu beschäftigen, die beide Disziplinen betreffen“, sagt Friederike Lorenz, die am Arbeitsbereich Sozialpädagogik lehrt. Dazu zähle besonders der Umgang mit Diskriminierung, Ausgrenzung und Gewalt an Schulen. „Zugleich lernen die Studierenden dabei zwei verschiedene Professionsverständnisse und fachliche Perspektiven kennen“, sagt Friederike Lorenz.

Bäumchen, wechsle dich: Studierende des Grundschullehramtes und der Sozialpädagogik beim Projekttag am GRIPS-Theater.

Bäumchen, wechsle dich: Studierende des Grundschullehramtes und der Sozialpädagogik beim Projekttag am GRIPS-Theater.
Bildquelle: privat

Projekttag im Grips-Theater

Neben Beiträgen externer Referenten gehörte auch ein Projekttag im GRIPS-Theater zum Seminar. Dort hatten die Studierenden die Möglichkeit, theaterpädagogische Arbeitsweisen kennenzulernen. In dem Stück „Alle außer das Einhorn“ geht es um Cybermobbing, Schikane in Chaträumen oder WhatsApp-Gruppen. Gemeinsam mit der Theaterpädagogin Anna-Sophia Fritsche erarbeiteten die Studierenden nach der Aufführung Strategien, um das Gesehene für den Unterricht aufzubereiten. Dazu gehörte etwa, kleine Alternativhandlungen für das Theaterstück zu entwickeln: Wie hätten sich die Figuren in bestimmte Situationen verhalten können, um die Situation zu entschärfen? In weiteren Übungen ging es um Hemmungsabbau und Körperbewusstsein; das kann zu einem kooperativen und partizipativen Klassenklima führen.

Theaterpädagogische Anti-Mobbingstrategien

Theater und Rollenspiel können Mobbingsituationen in Schulklassen sicht- und erfahrbar machen. Und sie können zeigen, dass Mobbing ein Problem der ganzen Klasse ist, bei dem alle – Mobbende, Gemobbte, Zuschauende und Lehrkräfte – eine Rolle spielen, sagte Marcel Kabaum vom Arbeitsbereich Grundschulpädagogik, Didaktik Deutsch. „In dem Stück ‚Alle außer das Einhorn‘ sieht man ein szenisches Gesamtbild vom Sozialgefüge der Klasse. Im echten Leben sieht man immer nur einen Ausschnitt.“ Demzufolge müsse auch jeder Einzelne bei der Lösung des Problems in die Verantwortung genommen werden.

Die Täter zur Rede zu stellen und Gespräche mit der ganzen Klasse zu führen, habe häufig keine anhaltende Wirkung. Von den Mobbenden werde erwartet, dass sie ihr Verhalten ändern, wofür diese oftmals gar keine Notwendigkeit sähen. Die Gemobbten sind per se in der schwächeren Position, was ihnen wenig Spielraum gibt, etwas an ihrer Situation zu ändern. „Übersehen wird häufig die große Menge der scheinbar Unbeteiligten: die Zuschauerinnen und Zuschauer“, so Marcel Kabaum. Gerade sie könnten durch ihr Verhalten das Sozialgefüge der Klasse entscheidend beeinflussen.

Nach der Vorstellung von „Alle außer das Einhorn“ kam das Ensemble mit Schulkindern und Studierenden aus dem Publikum ins Gespräch.

Nach der Vorstellung von „Alle außer das Einhorn“ kam das Ensemble mit Schulkindern und Studierenden aus dem Publikum ins Gespräch.
Bildquelle: privat

An diesem Punkt könne Theater ansetzen, sagt Anna-Sophia Fritsche. „Das Geschehen auf der Bühne macht nicht nur die komplexen Verstrickungen bei Mobbing sichtbar, es fordert die Zuschauer gleichzeitig auf, das eigene Verhalten zu reflektieren.“ Die Theaterpädagogin hat schon mehrfach Projekte mit Studierenden der Erziehungswissenschaft der Freien Universität betreut. Umso größer ist ihre Freude, wenn ihre Arbeit mit den Seminarteilnehmerinnen und -teilnehmern nachwirkt: „Immer wieder besuchen ehemalige Lehramtsstudierende mit ihren Klassen das GRIPS-Theater. Das ist doch ein schöner Langzeiteffekt!“

Theater als Denkanstoß

Natürlich lasse sich ein Mobbingproblem nicht durch einen Theaterbesuch lösen, sagt Maksim Hübenthal: Das Theater könne aber, weil es die vielfältigen Facetten emotionalen Erlebens anspricht, ein erster Schritt hin zum Verstehen sein. Wie fühlt sich der andere? Was kann ich tun, damit es ihm besser geht? Und weil sich ein Theatererlebnis stark von den gängigen Lehr-und-Lern-Zusammenhängen der Schule unterscheidet – Schülerinnen und Schüler also weniger das Gefühl hätten, einer ‚pädagogischen‘ Zurichtung unterzogen zu werden –, könnten gerade bei heiklen Themen Schulkinder eher erreicht werden als durch eine Lehreransprache.

Angebot kommt gut an

Bei den Studierenden hat das Kooperationsseminar einen echten Nerv getroffen. Isra Abdou, die Deutsch, Mathe und Kunst im Grundschullehramt studiert, lobte die Praxisnähe. Sie plädierte dafür, das Thema Gewaltprävention zum festen Bestandteil der pädagogischen Ausbildung zu machen. „Wir angehenden Lehrerinnen und Lehrer tragen besondere Verantwortung. Das bedeutet, dass wir Handlungsstrategien gegen Gewalt schon vor dem Berufseinstieg einüben sollten – und nicht erst, wenn der Ernstfall eintritt.“

Ihrer Kommilitonin Lena Herbst gefiel besonders die Kooperation mit dem GRIPS-Theater. „Wir bekommen hier konkrete Hilfestellungen, die sich in der Praxis einsetzen lassen. Wissen über theaterpädagogische Arbeitsweisen sind ein echter Schatz.“