„Meine Netzwerke tragen mich noch heute“
„Internationale Karrierewege – Alumni der Freien Universität berichten“: Wie Absolventinnen und Absolventen der Freien Universität in den Beruf eingestiegen und auch international erfolgreich sind
27.06.2019
In diesem Jahr stellten Alumni ihre Arbeit vor, die aktuell bei der OSZE, der Europäischen Kommission, dem Auswärtigen Amt, dem UNHCR und der DGAP arbeiten. Über 50 Studierende und Promovierende wollten von den Referentinnen und Referenten erfahren: Wie schaffe ich nach dem Studium den Sprung in internationale Organisationen? Wie bereite ich mich im Bachelor oder Master am besten darauf vor? Wie sieht der Arbeitsalltag in internationalen Organisationen aus? Zu Beginn der Veranstaltung berichteten die Alumni von ihren Strategien, Umwegen und Schlüsselmomenten auf ihrem bisherigen Karriereweg.
Persönliche Erfolgsgeschichten
Für Nikolas Ott war die Entscheidung, sein privates Interesse an Computertüftelei mit seinen Berufszielen zu verbinden, der Schlüssel zum Erfolg. Mit dem Themenschwerpunkt Cyber- und IT Policy bewarb er sich erfolgreich für das Mercator-Kolleg und fand über die absolvierten Programmstationen den Einstieg in seine jetzige Tätigkeit bei der OSZE.
Trotz bester Vorbereitung empfand Denise Kotulla den Übergang von unbezahlten Praktika in ein bezahltes Arbeitsverhältnis als nicht einfach. Letztlich entschied sie sich dafür, als Sozialarbeiterin in einer Erstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge in Brandenburg zu arbeiten – ein Schritt, den nicht alle in ihrem Umfeld nachvollziehen konnten. „Die handfeste Arbeitserfahrung, die ich dort durch die täglichen Herausforderungen gesammelt habe, war jedoch sehr wertvoll.“ In ihrem aktuellen Arbeitskontext beim UNHCR werden solche Erfahrungen hoch angesehen und qualifizierten sie für das JPO-Programm.
Mit einem Bachelor- und zwei Masterabschlüssen sowie internationalen Studienaufenthalten und Arbeitserfahrung im Gepäck, fand Pauline Püschel den Einstieg in die Berufswelt durch eine Empfehlung aus einem früheren Bewerbungsverfahren. Aus ihrer Erfahrung sind es oft „nicht die institutionellen Netzwerke, sondern Arbeitszusammenhänge und informelle Gelegenheiten“, die berufliche Entscheidungen bedingen.
Dies bestätigte auch Victoria Rietig. Sie nutzte Stipendienprogramme wie das Carlo-Schmid-Programm und das McCloy-Stipendium, um sich international auszurichten und ihr Netzwerk auszubauen. Bewusst entschied sie sich nach einem Praktikum bei der UN gegen das UN-System, das sie als hierarchisch und wenig flexibel erlebt hatte. Stattdessen sammelte sie Führungserfahrung in einer kleinen NGO, was ihr wiederum den Sprung nach Harvard und in die Washingtoner Welt der Thinktanks ermöglichte. Die dadurch gesammelten Arbeitserfahrungen und Netzwerke machten es Victoria Rietig möglich, als selbstständige Beraterin für Regierungs- und Nichtregierungsorganisationen tätig zu sein. Im Rahmen ihrer forschenden und beratenden Tätigkeit genieße sie heute ebenfalls die Freiheit, inhaltlich nicht weisungsgebunden zu sein.
Tobias Röcker hatte im Bachelorstudium Politikwissenschaft noch keine konkreten Vorstellungen, in welchem Feld er später tätig sein wollte. Seinen Master in European Studies an der Universität Leuven nutzte er aber, um sich international auszurichten und ergänzte ihn um einen Master in Chinas Internationalen Beziehungen an der Yenching Academy in Peking. Als Praktikant arbeitete er bei der Europäischen Kommission, aber eine weitere Anstellung war keineswegs selbstverständlich. Über eine Elternzeitvertretung schaffte er dann den Einstieg.
Ehrliche Einschätzungen
Neben ihren persönlichen Erfolgsgeschichten lieferten die Alumni auch ehrliche Einschätzungen über die Einstiegschancen und den Arbeitsalltag in internationalen Organisationen. Wer herausfinden möchte, wohin man beruflich gehöre, müsse viel ausprobieren und Praktika nutzen, um zu erkennen, wo man hinpasse, meinte Victoria Rietig. Große internationale Institutionen hätten oft einen gewissen Nimbus, für junge Berufsanfänger sei es jedoch nicht einfach, dort Fuß zu fassen. Die Arbeit in kleineren Einrichtungen,beispielsweise in NGO oder Thinktanks, könne eine Alternative sein – wobei diese häufig von ihren aktuellen Geldgebern abhängig seien und die inhaltliche Ausrichtung dementsprechend wechsele. Sei man unzufrieden mit seiner Arbeitssituation, könne man daraus für die berufliche Weiterentwicklung aber wichtige Erkenntnisse gewinnen und entsprechende Konsequenzen ziehen. Auch als Berufseinsteiger habe man Alternativen, so das Plädoyer von Victoria Rietig.
Teilten ihre Erfahrungen mit den Studierenden: Die Alumni Denise Kotulla, Nikolas Ott, Tobias Röcker, Victoria Rietig und Pauline Püschel (v.l.n.r.)
Bildquelle: Tobias Rücker
Auch wer bereits weiß, wo es beruflich hingehen soll, hat unter Umständen noch hohe Hürden zu nehmen. Alle Referentinnen und Referenten bestätigten, dass befristete Arbeitsverträge – bis hin zu Wochen- und Tagesverträgen – keine Seltenheit in internationalen Organisationen seien. Großes Engagement und eine gute Beziehung zum Praktikums- bzw. Arbeitgeber garantieren noch nicht die Festanstellung, so Tobias Röcker: „Es gibt immer jemanden, der besser qualifiziert ist, mehr Sprachen spricht oder promoviert hat.“ Letztlich gehöre ein langer Atem und eine ganze Portion Glück dazu. Victoria Rietig plädierte außerdem dafür, diesen oft zermürbenden Prozess nicht ungefragt hinzunehmen. Auch wer bereits Erfolg bei der Stellensuche hatte, müsse sich für die Stelle nicht aufopfern, bekräftigte Pauline Püschel: „Der Arbeitgeber muss nicht dein Freund sein, du darfst Rechte haben und dafür einstehen.“
Nicht nur befristete Arbeitsverhältnisse, sondern auch die Arbeit im Rotationssystem und Entsendungen in entfernte Weltregionen und Krisengebiete sind in vielen internationalen Organisationen an der Tagesordnung. Für das Privatleben – eine Partnerschaft oder Familie – bedeutet dies eine große Belastung. Wenngleich es in einigen Institutionen, etwa auf EU-Ebene, bereits gute Beurlaubungsregelungen und Fördermöglichkeiten für Beschäftigte mit Familien gibt, waren sich die Alumni einig, dass für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf in internationalen Organisation noch viel getan werden muss. Oftmals werde doch noch der traditionelle Familienentwurf gelebt, bei dem die Frau letztendlich beruflich zurücktritt.
Auf persönlicher Ebene müsse man sich intensiv mit den Konsequenzen der eigenen Karriereentscheidungen auseinandersetzen, ermutigte Victoria Rietig: „Mein Appell geht besonders an die Männer, sich ernsthaft mit Fragen zu beschäftigen, wie: Wenn ich Kinder will, was bin ich tatsächlich bereit für sie und die berufliche Zukunft meiner Partnerin aufzugeben? Welche Kompromisse bin ich bereit einzugehen? Frauen beschäftigen sich seit 30 Jahren mit diesen Fragen – es ist an der Zeit, dass die Männer es ihnen gleichtun.“
Ein grober Fahrplan
Gibt es also ein allgemeingültiges Erfolgsrezept für eine Karriere im internationalen Kontext? „Rückwirkend ist es natürlich immer einfach, den roten Faden zu sehen. Tatsächlich habe ich aber immer überlegt, wo sind Punkte, die mich interessieren, habe mich wie verrückt auf Stipendien beworben und habe mal links und rechts geguckt und Arbeitserfahrungen gesammelt“, resümierte Nikolas Ott.
Einen Masterplan gibt es also nicht, aber durchaus wichtige Schritte, die die Erfolgschancen auf eine Anstellung in internationalen Organisationen erhöhen können:
- Vor und im Studium sollte man sich breit über Stipendienprogramme, Praktikumsmöglichkeiten und Einstiegsformate in internationalen Organisationen informieren.
- Neben dem Studium dann Auslands- und Arbeitserfahrung zu sammeln ist wichtig, aber nicht nur für den Lebenslauf. „Geht dorthin, wo es spannend ist, wählt vielleicht Ziele, die noch nicht jeder auf dem Schirm hat“, riet Tobias Röcker. Gerade aus ungewöhnlichen Praktika, Nebenjobs oder Ehrenämtern entwickeln sich oft berufliche Perspektiven, die man nicht erwartet. Aber Obacht: Bei Stellen, die berufliche Erfahrungen voraussetzen, wie etwa im JPO-Programm, zählen Praktika im Bachelorstudium oft nicht, erklärte Denise Kotulla. Frühestens ab dem Master oder nach dem Masterabschluss gelten diese auch als Berufserfahrung. Zudem würden die Mindestanforderungen von den meisten Bewerberinnen und Bewerbern weit übertroffen, sodass oft erst mehrere Jahre Berufserfahrung für die Einstiegsprogramme in internationalen Organisationen qualifizierten.
- Spätestens im Master kann man mit der Studienwahl eine gewisse Grundlage für die Arbeit im internationalen Kontext schaffen. Auch Masterprogramme im Ausland sollte man dabei mitbedenken, denn sie bieten oft interessante Abschlüsse. Ein Master mit völkerrechtlichen Ausbildungsanteilen oder ein LLM können hilfreich sein, denn juristische Grundkenntnisse werden oft geschätzt. Entscheidend ist letztendlich natürlich immer das inhaltliche Interesse.
- Während des Studiums sind Stipendienprogramme eine tolle Chance, informelle Netzwerke aufzubauen. „Meine Netzwerke tragen mich noch heute. Überall wo ich in meinen späteren beruflichen Stationen hinkam, saß schon ein Carlo-Schmidler oder ein McCloy-Alumnus“, bestätigte Victoria Rietig. Sie ermutigte Studierende, sich bei Stiftungen und renommierten Programmen zu bewerben, denn sie seien weit weniger elitär, als von Studierenden oft angenommen. Über Stipendien, wie etwa das Carlo-Schmid-Programm, öffnen sich die Türen in internationale Organisationen vergleichsweise leicht, denn die Hürden sind hier viel niedriger als bei Stellenausschreibungen.
- Was den Ausbau von Sprachkenntnissen angeht, rieten die Alumni dazu, besser Kenntnisse einer Sprache gezielt zu vertiefen, als sich Grundkenntnisse in weiteren Sprachen anzueignen. Bei der späteren Stellensuche können besondere Sprachkenntnisse ein Alleinstellungsmerkmal sein. Dabei gilt natürlich: Die Sprachwahl sollte sich an den eigenen Interessen orientieren und man sollte sich vorstellen können, in der entsprechenden Weltregion später auch zu leben und arbeiten.
Denise Kotulla studierte Sozial- und Kulturanthropologie und Politikwissenschaft an der Freien Universität und in Chile. Sie absolvierte einen Master in Global Studies mit Stationen in Freiburg, Bangkok und Kapstadt. Nach dem Studium war sie für die GIZ in Äthiopien und als Sozialarbeiterin in einer Erstaufnahmestelle für Geflüchtete in Brandenburg tätig. Als JPO beim UNHCR arbeitete sie zunächst im Sudan und ist derzeit im Hauptquartier in Genf tätig.
Nikolas Ott studierte im Bachelor Politikwissenschaft an der Freien Universität und schloss einen Master in Law and Diplomacy an der Fletcher School of Law and Diplomacy (Tufts University, USA) ab. Er ist ehemaliger Stipendiat des Mercator-Kollegs und arbeitet aktuell als Projektmanager im Cyber/ICT Security Team der OSZE in Wien.
Tobias Röcker studierte Politikwissenschaft an der Freien Universität und European Studies an der Universität Leuven. Internationale Erfahrung sammelte er mit einem zweiten Master an der Yenching Academy in Peking. Als Praktikant in der Generaldirektion TRADE fand er den Einstieg bei der Europäischen Kommission und ist aktuell als International Relations Officer in der Generaldirektion TAXUD tätig.
Victoria Rietig studierte Nordamerikastudien, Geschichte und Psychologie an der Freien Universität und schloss nach ihrem Magister mithilfe des McCloy-Stipendiums einen zusätzlichen Master in Public Policy an der Harvard University ab. Mit dem Carlo-Schmid-Programm arbeitete sie für UNITAR im UN Hauptquartier. Später arbeitete sie in Thinktanks in Washington, DC, und macht sich als Migrationsexpertin und Beraterin für Regierungs- und Nichtregierungsorganisationen selbständig. Heute leitet sie die Arbeit der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik Berlin (DGAP) zu Flucht und Migration.
Pauline Püschel schloss nach ihrem Bachelorstudium Nordamerikastudien an der Freien Universität zwei Masterstudiengänge in Kultur- und Medienmanagement und Nordamerikastudien an, ebenfalls an der Freien Universität. Während des Studiums arbeitete sie am Goethe-Institut in Neu Delhi und absolvierte mehrere Auslandsaufenthalte. Nach einer Station bei der Berliner Senatsverwaltung für Kultur ist sie momentan als Referentin für Kultur- und Medienbeziehungen zur Türkei, Südkaukasus und Westbalkan im Auswärtigen Amt tätig.
Die Veranstaltung „Internationale Karrierewege" wird regelmäßig vom Alumni-Netzwerk der Freien Universität gemeinsam mit dem Career Service der Freien Universität durchgeführt. Die jährlichen Termine in der Reihe werden u.a. im Terminkalender des Alumni-Netzwerks veröffentlicht.
Das Alumni-Netzwerk der Freien Universität Berlin steht allen Ehemaligen aus dem In- und Ausland offen. Dazu zählen nicht nur Absolventinnen und Absolventen, sondern auch Austauschstudierende, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, Professorinnen und Professoren sowie Gastwissenschaftlerinnen und Gastwissenschaftler. Ziel des Alumni-Netzwerks ist es, die Verbindung zu Ehemaligen weltweit zu pflegen und Alumni und ihre Expertise in die Aktivitäten der Hochschule einzubinden. Weitere Informationen und die Online-Registrierung finden Sie auf den Seiten des Alumni-Netzwerks.
Der Career Service der Freien Universität Berlin unterstützt Studierende umfassend bei der Berufsvorbereitung im Studium, bei der Praktikumssuche im In- und Ausland und beim Berufseinstieg. Das breitgefächerte Angebot beinhaltet Informationsveranstaltungen, Sprechstunden, Mentorings sowie Online-Ressourcen. Weitere Informationen auf der Webseite des Career Service.