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„Hypersensible Zeitgenossen“

Der österreichische Schriftsteller Clemens J. Setz ist mit dem Berliner Literaturpreis 2019 ausgezeichnet und auf die Gastprofessur für deutschsprachige Poetik der Stiftung Preußische Seehandlung an der Freien Universität berufen worden

22.02.2019

Mit dem Preisträger Clemens J. Setz (2. v. l.): Walter Rasch (l.), Vorstandsvors. Stiftung Preußische Seehandlung, Regierender Bürgermeister Michael Müller (2. v. r.), und Universitätspräsident Prof. Dr. Günter M. Ziegler

Mit dem Preisträger Clemens J. Setz (2. v. l.): Walter Rasch (l.), Vorstandsvors. Stiftung Preußische Seehandlung, Regierender Bürgermeister Michael Müller (2. v. r.), und Universitätspräsident Prof. Dr. Günter M. Ziegler
Bildquelle: Stephan Töpper

Sie nehmen ihre eigenen Essgeräusche mit dem Handy auf. Wenn sie etwas Aufregendes erleben, schrumpfen oder wachsen sie. Um sich zu beruhigen, betrachten sie runde Dinge. Clemens J. Setz’ literarische Protagonisten sind alles andere als normal. Sie haben merkwürdige Tics und Obsessionen, leiden unter Sinnestäuschungen, Panikattacken, Tinnitus oder Schwindel.

Die Welt durch die Augen dieser „hypersensiblen Zeitgenossen“ wahrzunehmen, sei für den Leser ein „berauschendes Abenteuer“, sagte Daniela Strigl in ihrer Laudatio. Die österreichische Literaturwissenschaftlerin lobte die „maliziöse Fröhlichkeit“ im Werk von Clemens J. Setz, in dem sich Reales mit Fantastischem vermenge. Der Autor sei, „einer, der anscheinend ohne jede Selbstzensur sein Inneres nach außen stülpt, seine privaten Bilder veröffentlicht, schonungsloser als das jedes Facebook-Album könnte“.

Über den Autor

Clemens J. Setz, 1982 in Graz geboren, hat mit 36 Jahren bereits zehn Bücher veröffentlicht und zwölf Auszeichnungen erhalten, darunter den Preis der Leipziger Buchmesse und den Wilhelm-Raabe-Preis. Er hat in Graz Germanistik und Mathematik studiert und arbeitet auch als Übersetzer. 2007 erschien sein Debüt „Söhne und Planeten“, es folgten unter anderem die Romane „Die Frequenzen“ (2009), „Indigo“ (2012) und „Die Stunde zwischen Frau und Gitarre“ (2015). Er veröffentlichte aber auch Theaterstücke wie „Mauerschau“ (2010) oder „Vereinte Nationen“ (2017) sowie Gedichte wie in „Die Vogelstraußtrompete“ (2014). Auch ein Drehbuch hat er geschrieben.

Walter Rasch (M.), im Gespräch mit Universitätspräsident G. M. Ziegler (verdeckt), dem Autor C. J. Setz (l.) und dem Regierenden Bürgermeister M. Müller, wurde an dem Abend als Vorstandsvorsitzender der Stiftung Preußische Seehandlung verabschiedet.

Walter Rasch (M.), im Gespräch mit Universitätspräsident G. M. Ziegler (verdeckt), dem Autor C. J. Setz (l.) und dem Regierenden Bürgermeister M. Müller, wurde an dem Abend als Vorstandsvorsitzender der Stiftung Preußische Seehandlung verabschiedet.
Bildquelle: Stephan Töpper

Gerade in Zeiten großer gesellschaftlicher Umbrüche, in denen vermeintliche Gewissheiten obsolet würden, könne die Literatur „ein Wegweiser sein“ und „dazu anregen, die Realität in einem anderen Licht zu betrachten“, sagte Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller. Er verlieh Clemens J. Setz den Berliner Literaturpreis der Stiftung Preußische Seehandlung.

Der Berliner Literaturpreis wird traditionell im Roten Rathaus verliehen. Das Bild zeigt den Journalisten Jens Jessen, der im Namen von Walter Rasch für die Stiftung Preußische Seehandlung begrüßte.

Der Berliner Literaturpreis wird traditionell im Roten Rathaus verliehen. Das Bild zeigt den Journalisten Jens Jessen, der im Namen von Walter Rasch für die Stiftung Preußische Seehandlung begrüßte.
Bildquelle: Stephan Töpper

Das Werk des österreichischen Schriftstellers habe „in allen Großgattungen originelle Akzente gesetzt“ und sei von einer „unerschöpflichen Fabulierlust und absurder Komik geprägt“, hatte die Jury gelobt, die zudem den „eigenwilligen“ und „musikalischen Schreibstil“ des Autors hervorhob.

Autorenwerkstatt an der Freien Universität Berlin

Im kommenden Sommersemester wird Clemens J. Setz an der Freien Universität eine Autorenwerkstatt für Studierende leiten. Die 14 Teilnehmer aus Berlin und Brandenburg stehen bereits fest und werden mit ihm an eigenen Texten arbeiten. „Durch dieses Forum soll ein Beitrag zum Austausch zwischen Kunst und Wissenschaft geleistet werden“, sagte Professor Günter M. Ziegler, Präsident der Freien Universität Berlin, der den Schriftsteller an diesem Abend im Roten Rathaus auf die Gastprofessur am Peter-Szondi-Institut für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaften berief.

Twitter-Poet: der Autor Clemens J. Setz

Twitter-Poet: der Autor Clemens J. Setz
Bildquelle: Stephan Töpper

Das Alltägliche ins Poetische wenden

Zum Abschluss las Clemens J. Setz nicht nur einen Auszug aus seinem neuen Buch „Der Trost runder Dinge, sondern auch eigens für seinen Twitterkanal verfasste Texte: Dort veröffentlicht er regelmäßig gereimte Gedichte, die im Alltag aufgeschnappte „Ohrwürmer“ – Nachrichten oder andere sprachliche Fundstücke – weiterspinnen:

/ Murmeltiere entzweien Zermatt

Sie nagen es einfach entzwei

Wer deshalb kein eigenes Haus mehr hat

steht vollkommen ratlos dabei /

Man dürfe seinen bevorstehenden Aufenthalt an der Freien Universität deshalb auch als „Gastprofessur für Twitterpoetik“ verstehen, schloss der Autor.