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Xanadu am Wannsee

Die Friedrich Schlegel Graduiertenschule für literaturwissenschaftliche Studien feierte ihr zehnjähriges Bestehen und begrüßte die Doktorandinnen und Doktoranden des neuen Jahrgangs

22.11.2018

„Eine Festrede ist eine notorisch schwierige Gattung": Alumnus Roman Kuhn und die Stipendiatin des aktuellen Jahrgangs Barbara Bausch berichteten über die Friedrich Schlegel Graduiertenschule.

„Eine Festrede ist eine notorisch schwierige Gattung": Alumnus Roman Kuhn und die Stipendiatin des aktuellen Jahrgangs Barbara Bausch berichteten über die Friedrich Schlegel Graduiertenschule.
Bildquelle: Lorenz Becker 

„Störungsfrei geht es nicht“, konstatierte der Schriftsteller Marcel Beyer zu Beginn seiner Festrede im Literarischen Colloquium am Wannsee. Während eines Schreibprozesses gebe es zahlreiche Störenfriede. Beyer erinnerte sich in seinem Vortrag beispielsweise an einen Besuch in einem reizüberflutenden Einkaufszentrum, in dem er den Hit „Xanadu“ von Olivia Newton-John hörte, Popstar der 70er- und 80er-Jahre; das Lied führte ihn assoziativ zu einem Gedicht des britischen Dichters Samuel Taylor Coleridge, das in der chinesischen Stadt Xanadu spielt.

Auch der Schöpfungsprozess dieses Gedichts wurde durch einen ungebetenen Gast unterbrochen, weshalb Coleridge erst Jahre später wieder anknüpfen konnte – dann aber ein berühmtes und viel rezipiertes Stück Dichtung schuf. Sich den Störungsmomenten hinzugeben und auf ihre produktive Kraft zu vertrauen, dafür sprach sich Beyer mit seinem Vortrag aus.

Der Schriftsteller lieferte damit die poetische Bebilderung einer Herausforderung, der vermutlich die meisten Promovierenden während der mehrjährigen Arbeit an ihrer Dissertation begegnen. Ein geeignetes Thema also für die Jubiläumsfeier einer literaturwissenschaftlichen Graduiertenschule und die feierliche Begrüßung der neuen Doktoranden.

Direktorin Jutta Müller-Tamm blickte zufrieden auf die vergangenen zehn Jahre zurück. 113 Promotionsstudierende hätten seit der Gründung der Friedrich Schlegel Graduiertenschule im Jahr 2008 an ihrem Dissertationsvorhaben gearbeitet. Im Laufe der Jahre wurden Kooperationen etwa mit der Humboldt-Universität oder dem Zentrum für Literatur- und Kulturforschung eingegangen; internationale Partnerschaften mit renommierten Universitäten in Europa, Asien, Amerika und neuerdings auch Afrika sind entstanden.

Auch auf den Namenspatron der Schule verwies Jutta Müller-Tamm, verbunden mit der Ermutigung, akademische Ziele trotz Hindernissen zu verfolgen: Friedrich Schlegel sei auf unorthodoxe Weise zu akademischen Ehren gekommen, er habe mit Schulden gekämpft und „keine akademische Bilderbuchkarriere“ vorzuweisen. In seinem Eigensinn, seiner Weigerung, sich vereinnahmen zu lassen und seiner Wandlungsfähigkeit sei er ein gutes Vorbild.

Im Literarischen Colloquium am Wannsee wurden die neuen Doktoranden der Friedrich Schlegel Graduiertenschule feierlich begrüßt.

Im Literarischen Colloquium am Wannsee wurden die neuen Doktoranden der Friedrich Schlegel Graduiertenschule feierlich begrüßt.
Bildquelle: Lorenz Becker 

Phase der Neuorientierung

Seit zwei Jahren befindet sich die Schlegel-Schule in einer Phase der Neuorientierung, denn mit dem Ende der Exzellenzinitiative 2017 lief auch die reguläre finanzielle Förderung der Graduiertenschulen aus. Doch Jutta Müller-Tamm blickte am Ende optimistisch in die Zukunft, unter anderem weil die FSGS mit dem 2017 verliehenen Preis der Einstein Stiftung Berlin für das beste Doktorandenprogramm der Stadt über finanzielle Spielräume zur Umgestaltung der Schule verfügt.

Alumnus Roman Kuhn und die Stipendiatin des aktuellen Jahrgangs Barbara Bausch berichten von ihren Erfahrungen in der Schlegelschule. „Eine Festrede ist eine notorisch schwierige Gattung. Sie muss kurz und kurzweilig sein. Eine literaturwissenschaftliche Dissertation bereitet einen darauf gemeinhin nicht vor.“

Promotionsvorhaben thematisch sehr breit gefächert

Mit Ironie und Humor beschrieben sie die nicht immer einfache Gedanken- und Gefühlswelt Promovierender, das Schwanken zwischen Selbstüberschätzung und der Gefahr der Überintellektualisierung. So war es womöglich auch „das Nebenher“ des Graduiertenprogramms – die Workshops, Summerschools, Blogs und Lesekreise, die die Schule Barbara Bausch und Roman Kuhn zufolge besonders auszeichnen –, das die beiden befähigte, einen solch eloquenten Vortrag zu halten.

Die Promotionsvorhaben der 13 neuen Doktorandinnen und Doktoranden, vorgestellt von Elena Stingl und Max Mengeringhaus, sind thematisch sehr breit gefächert: Sie gehen von Südafrika über Frankreich nach Deutschland, von Fragen der Nation und Identität über das Thema des Findelkindes in der Literatur bis hin zu Dichtung als Ausdruck von Widerstand.

Der stimmungsvolle Abend am Wannsee, musikalisch begleitet von Klezmer-Swing, markierte für den neuen Jahrgang den offiziellen Beginn eines Arbeitsprozesses, bei dem, das lernte man von Marcel Beyer, auch Störungen gewürdigt werden sollten.