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„Big Data verrät uns nicht alles“

BWL-Doktorandinnen und -Doktoranden aus dem deutschsprachigen Raum besuchten an der Freien Universität einen Workshop zum Thema „Forschung mit Umfragedaten“

01.11.2018

Prof. Dr. Sascha Raithel (ganz links) mit den Teilnehmerinnen und Teilnehmern des Seminars.

Prof. Dr. Sascha Raithel (ganz links) mit den Teilnehmerinnen und Teilnehmern des Seminars.
Bildquelle: Peter Schraeder

Auch in Zeiten von Big Data bleibt die Umfrage, also das Interviewen von Stakeholdern und Kunden per Fragebogen, ein wichtiges Forschungsinstrument. Sascha Raithel, Professor für Marketing an der Freien Universität, lehrt dazu, worauf es bei einer Befragung ankommt, welche Fallstricke es gibt und wie die Daten ausgewertet werden können. Gemeinsam mit den Kollegen Christian M. Ringle, Professor für Management an der Technischen Universität Hamburg, und Marko Sarstedt, Professor für Marketing an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg, hat der Wissenschaftler kürzlich einen Methoden-Kurs angeboten, an dem Promovierende der Betriebswirtschaftslehre aus Deutschland, Österreich und der Schweiz teilnahmen.

Herr Professor Raithel, was hat die klassische Umfrage der Analyse per Big Data voraus?

Die durch Algorithmen gewonnenen Daten sagen uns zwar, wie sich Kunden im Internet verhalten und wie sie vorgehen, zum Beispiel beim Online-Shopping. Aber warum sie sich so verhalten, sagen die Daten nicht – für ein Verständnis der psychologischen Faktoren muss man die Kunden immer noch direkt befragen.

Außerdem postet ja nicht jeder in den sozialen Medien, warum er oder sie gerade im Internet etwas gekauft hat oder wie man ein Produkt findet. Und bei anderen Studien, bei denen man zum Beispiel im Unternehmen die Zusammenarbeit von Managern oder Mitarbeitern untersucht, hilft Big Data nicht weiter. Die Angestellten würden es natürlich zu Recht ablehnen, rund um die Uhr digital überwacht zu werden. Eine anonymisierte Umfrage hat hier Vorteile.

Worum ging es in Ihrem Seminar inhaltlich?

Zunächst haben wir die theoretischen Grundlagen der Umfrageforschung vermittelt; dann ging es darum, wie sich die gewonnenen Umfragedaten mithilfe dafür programmierter Software analysieren lassen. Mit dieser können nicht direkt beobachtbare Phänomene wie psychologische Faktoren in Zahlen übersetzt werden. Eine geschäftliche Partnerschaft zwischen zwei Unternehmen besteht rein physisch nur aus einem Vertrag, einem Stück Papier. Möchte man wissen, wie stark das Bündnis ist, erstellt man für die Umfrage unter den Beteiligten eine Bewertungsskala. Die Ergebnisse werden dann in das Programm eingespeist.

In den Bachelor- und Masterstudiengängen der BWL wird die Methodik der Analyse von Umfragedaten nur teilweise gelehrt. Und es ist schwierig, ein solches Verfahren im Selbststudium schnell zu erlernen. Viele Doktoranden brauchen das Verfahren aber für ihre Forschung. Daher bietet unter anderem der Verband der Hochschullehrer für Betriebswirtschaft (VHB) regelmäßig Kurse an.

Wie sieht der Theorie-Teil des Kurses aus?

Noch bis in die 1970er Jahre gab es überhaupt keine Standards für das Erstellen und die Analyse von Umfragen, dann ging es langsam voran. In den vergangenen fünfzehn Jahren hat die Forschung große Fortschritte gemacht. Seither wird zwischen zwei Ansätzen unterschieden. Entweder man fragt nach den Ursachen eines Phänomens wie der Kundenbeziehung: Wie haben Erfahrungen in der Vergangenheit die Beziehung des Kunden zu einer Marke oder einem Unternehmen beeinflusst? Oder man fragt nach den Auswirkungen des Phänomens und schaut sich zum Beispiel an, wie viele Produkte einer Marke ein Kunde zukünftig kaufen würde.

Ein anschauliches Beispiel für die beiden Herangehensweisen ist etwa die Beurteilung einer Person, die Alkohol getrunken hat: Einerseits kann man die Ursache, also die Menge des getrunkenen Alkohols, messen. Oder man schaut sich an, wie stark die Person lallt oder torkelt, also welche Auswirkungen der Alkohol auf sie hat.

Was sind die größten Fallstricke beim Erstellen einer Umfrage?

Das Wichtigste ist, nicht das Ziel aus den Augen zu verlieren. Bevor man mit dem Fragebogen beginnt, sollte man sich genau überlegen, was man wissen möchte. Ein anderer häufiger Fehler ist, innerhalb der Fragen zu häufig Fachbegriffe zu verwenden, die von den Befragten nicht oder anders verstanden werden, als beabsichtigt.

Statt zu fragen: Wie loyal sind Sie gegenüber dem Produkt XY?, sollte man die Frage besser indirekt formulieren. Denn unter dem Begriff loyal versteht jeder etwas anderes. Für die einen bedeutet es, alles zu tun, was ihnen gesagt wird, für die anderen vielleicht nur, über eine bestimmte Person nicht schlecht zu reden. Für ein präzises Ergebnis könnte man stattdessen danach fragen, ob der Kunde das Produkt auch in Zukunft kaufen oder sogar weiterempfehlen würde.

Die Fragen stellte Peter Schraeder