Meister im Überzeugen
Die Besten im studentischen Debattieren kommen aus Berlin. Drei von ihnen studieren an der Freien Universität
30.07.2018
„Religion ist die Kette um den Hals der menschlichen Zivilisation. Sie ist das Opium für das Volk und die Wurzel für viele der blutigsten Konflikte in der Menschheitsgeschichte.“ Mit diesen Worten begann die Finaldebatte der Deutschsprachigen Debattiermeisterschaft 2018 in Jena. Wäre eine Welt ohne Religion besser? Vor rund 350 Zuschauern fochten die vier talentiertesten Teams des Turniers diese Streitfrage mit Argumenten aus, darunter auch zwei Teams aus Berlin. Eines davon – das Duo Stefan Torges und Julian Stastny – konnte die Kritik an der Religion nach der Beurteilung der Jury erfolgreich erwidern. Damit gewannen die beiden die Meisterschaft – und ein weiteres Team aus Berlin, Lara Tarbuk und Christof Kebschull, erhielt für den Einzug in das Finale den Vizemeistertitel.
Dass beide Berliner Teams die Seite der Opposition vertraten, also eine Welt mit Religion verteidigten, war Zufall. Denn beim Hochschuldebattieren werden die Positionen in der Debatte stets ausgelost. Die Debatte als Wettbewerb hat ihren Ursprung an den englischen Universitäten und ist der Streitkultur des britischen Unterhauses nachempfunden. Pro- und Kontraseite heißen „Regierung“ und „Opposition“ und sind mit jeweils zwei Teams doppelt besetzt. In der religionskritischen „Regierung“ des Meisterschaftsfinals sprachen Teams aus Heidelberg und Münster, darunter ein Theologiestudent. „Es gibt nichts Besseres als gezwungen zu sein, gegen die eigene Überzeugung zu argumentieren“, sagt Christof Kebschull. Man hinterfrage so die Prämissen, die dem eigenen Standpunkt zugrunde liegen, und entwickle Empathie für andere politische Ausrichtungen.
Christof Kebschull erhielt im Meisterschaftsfinale einen Sonderpreis für die beste Einzelrede im Finale. Er studiert Politikwissenschaft an der Freien Universität, seine Teampartnerin Lara Tarbuk Literaturwissenschaft. Vor der deutschsprachigen Meisterschaft haben sie viele Monate lang mehrmals wöchentlich trainiert, ebenso wie Julian Stastny, der an der Freien Universität Informatik studiert, und Stefan Torges, Mathematikstudent an der Technischen Universität Berlin. Auf einzelne Themen konnten sie sich aber nicht vorbereiten: Erst 15 Minuten vor Beginn der Debatte erfahren die Teilnehmer, um welche Streitfrage es geht. Umso wichtiger ist es deshalb, ein eingespieltes Team zu sein. „Als das Finalthema verkündet wurde, habe ich mir keine Gedanken gemacht, wie ich das Thema finde, sondern gleich über Argumente für beide Seiten nachgedacht“, sagt Lara Tarbuk. Ideen zu sammeln, sie streng zu hinterfragen und daran zu arbeiten, jede logische Verbindung noch schlüssiger zu machen – darauf liege der Fokus, erklärt Christof Kebschull: „Vieles, was in der Vorbereitungszeit passiert, ist beinahe reflexartig.“
Bis zu dem Finale war es ein langer Weg. In sieben Vorrunden konnten die knapp 150 Rednerinnen und Redner aus Deutschland, Österreich und der Schweiz Punkte sammeln; anschließend mussten sich die Erfolgreichsten in einem Viertel- und einem Halbfinale durchsetzen. Jede dieser Runden hatte eine andere Streitfrage. „Die große Bandbreite an Themen ist das, was mir am Debattieren besonders gefällt“, sagt Lara Tarbuk. Bei der Meisterschaft ging es zum Beispiel um illegale Downloads, das Nuklearabkommen mit dem Iran, polygame Beziehungsmodelle und um die Frage, ob Deutschland eine Leitkultur definieren sollte. Man lerne sehr viel und komme mit vielen unterschiedlichen Perspektiven anderer Teilnehmer in Berührung, sagt die Literaturwissenschaftsstudentin. „Gerade vor dem Hintergrund eines auf zunehmende Spezialisierung ausgelegten Studiums bietet das Debattieren einen Ausgleich und eine Gelegenheit, die eigene Neugier zu stillen.“
Bevor die Finalisten bekanntgegeben wurden, sei er sehr nervös gewesen, sagt Julian Stastny. Im Finale sei die Nervosität aber schnell verflogen. Er und sein Teampartner Stefan Torges bestritten, dass nur religiöse Ideologien Konflikte schüren oder fortschrittsfeindlich sein könnten. Was Religionen hingegen besonders mache, sei ihre Beständigkeit über Zeit und Raum hinweg, die vielen Menschen Halt gebe. Außerdem gebe es in jeder Religion einen moralischen Kern, der ein wichtiges Korrektiv sein könne – so wie Mitglieder der bekennenden Kirche in der Zeit des Nationalsozialismus aus christlichen Grundwerten heraus Widerstand geleistet haben.
Julian Stastny sieht im Debattieren eine große Herausforderung.. Nicht nur, weil es eine schwierige Aufgabe sei, sich schnell in fremde Positionen hineinzudenken, sondern auch, weil man bereit sein müsse, angesichts eines guten Arguments die eigene Meinung zu ändern. „Ich würde das Debattieren allen empfehlen, die ihre Argumentationsfähigkeit verbessern und eine analytischere Sicht auf die Welt entwickeln wollen“, sagt der Informatikstudent. „Man muss aber auch in Kauf nehmen, dass dabei vielleicht einige der eigenen tiefsten Überzeugungen verloren gehen.“
Das Finale der Debattiermeisterschaft 2018 in voller Länge
Weitere Informationen
Die Berlin Debating Union e.V. ist der Debattierclub der Berliner Hochschulen. Wer das Debattieren selbst miterleben oder ausprobieren möchte, ist eingeladen, zum wöchentlichen Clubabend zu kommen. Er findet jeden Dienstag um 18.00 Uhr (in der Vorlesungszeit 19.00 Uhr) im Universitätsgebäude der Humboldt-Universität zu Berlin am Hegelplatz statt (Dorotheenstraße 24, S- und U-Bahnhof Friedrichstraße).