Aus Fehlern der Großen lernen
Studierende des Fachbereichs Wirtschaftswissenschaft der Freien Universität untersuchen den Einfluss von Medien, Parteien, Experten und Bürgerinitiativen auf das Flughafenprojekt BER / Vorstellung der Ergebnisse: 29. Juni von 10 bis 12.30 Uhr
29.06.2018
Es gilt als Musterbeispiel für schlechtes Management: Sechs Jahre ist es inzwischen her, dass kurz vor der damals geplanten Eröffnung des Berliner Flughafens Berlin-Brandenburg (BER) zahlreiche Probleme offenbar wurden. Probleme, an denen das Projekt heute noch leidet.
Die Krise als Chance zu nehmen, aus der etwas Gutes erwachsen kann – so ließe sich der Ansatz der Lehrveranstaltung beschreiben, die Timo Braun, Juniorprofessor für Projektmanagement an der Freien Universität, konzipiert hat: In einem innovativen Unterrichtsformat – eine Vorlesung wird mit Projektgruppen kombiniert – sollen Studierende der Betriebswirtschaftslehre aus dem Negativbeispiel BER lernen. Sie zeichnen nach, in welcher Form damals bis heute zahlreiche Interessengruppen – politische Parteien, Bürgerinitiativen, Medien, Flughafenplaner und Fluggesellschaften – Einfluss auf das Projekt genommen haben – und weiterhin nehmen.
Projektmanagement am praktischen Beispiel lernen
Nele Heik und Cosima Gulde waren noch in der Schule, in der zehnten und elften Klasse, als der Flughafen im Juni 2012 hätte eröffnet werden sollen. Heute studieren sie Betriebswirtschaftslehre an der Freien Universität und lernen am Fall BER die Tücken des Projektmanagements kennen. Das Studium sei oft theorielastig, sagt Nele Heik, doch dieser Kurs biete einen direkten Praxisbezug. „Auch wenn die Teilnahme mit großem Aufwand verbunden ist: Es ist sehr gut, theoretisches Wissen anwenden zu können“, sagt die 23-jährige Studentin.
Das ist vermutlich ein Grund, warum der Kurs auf so große Resonanz stößt: Als Timo Braun gemeinsam mit Stephan Bohn, promovierter Mitarbeiter am Fachbereich Wirtschaftswissenschaft, das Modul vorbereitete, rechneten sie mit 60 bis 80 Studierenden. Jetzt besuchen mehr als 340 Studierende die Vorlesung, von denen sich knapp 120 zusätzlich in einer von 20 Projektgruppen engagieren; das innovative Lehrkonzept wird vom „SUPPORT für die Lehre“-Programm finanziell unterstützt.
Ziel: Herausforderungen großer Projekte identifizieren
Jede Projektgruppe nimmt eine der Anspruchsgruppen um den BER unter die Lupe: Während eine Gruppe Experteninterviews mit Sprecherinnen und Sprechern von Bürgerinitiativen führt, befragen andere Bauexperten, Politiker und Politikerinnen verschiedener Parteien oder Journalistinnen und Journalisten. Ihre Ergebnisse veröffentlichen die Projektteams auf einem Blog, der wiederum von einem PR-Team betreut wird. Dort finden sich Videoaufzeichnungen der Interviews und Analysen der Studierenden. Sie dokumentieren dort zum Beispiel, wie der Berliner FDP-Politiker Sebastian Czaja die Intransparenz um den BER mit der Situation in Nordkorea vergleicht und die Journalisten Michael Fabricius von der WELT und Lorenz Maroldt, Chefredakteur des Tagesspiegels, über die richtige Art der Berichterstattung streiten.
Es sei nicht Ziel der Veranstaltung, einen Schuldigen für das Planungsversagen am BER ausfindig zu machen, sagt Cosima Gulde. Vielmehr gehe es darum, die Herausforderungen solch großer Projekte zu identifizieren: Dass es eine Vielzahl von Anspruchsgruppen gibt, die jeweils ihre eigene Agenda verfolgen: „Beim BER hat man nicht an einem Strang gezogen“, sagt die Studentin. „Baufirmen, Anwohner, Kommunalpolitiker, Fluggesellschaften – alle haben ihre eigenen Interessen verfolgt.“ Eine wichtige Aufgabe für gute Projektplanung sei es daher, eine Antwort auf die Frage zu finden: Wie koordiniert man verschiedene Interessen?
Arbeiten wie in großen Unternehmen
Neben der Fehleranalyse haben die Studierenden ganz praktisch die Chance, es besser zu machen: Denn die Projektteams arbeiten so, wie auch in Unternehmen an größeren Projekten gearbeitet wird. Zwischen regelmäßigen Steuerungsmeetings, bei denen sich die Gruppen untereinander austauschen und prüfen, ob die zuvor für den Projektverlauf festgelegten Meilensteine erreicht werden, müssen sich die studentischen Teams selbstständig organisieren. Ein Teamleiter oder eine Teamleiterin koordiniert die Arbeit und erhält dafür zusätzliches Training durch die Unternehmensberatung Peter Knapp – Coaches & Catalysts, um Fähigkeiten in der Moderation und Mediation zu erlangen, die bei der Führung einer Projektgruppe wichtig sind.
Cosima Gulde, die diese Aufgabe für das PR-Team übernommen hat, findet das Training sehr hilfreich. „Ich habe gelernt, wie man Gruppen organisiert, mit Konflikten umgeht und die Teamarbeit fördert“, sagt sie. Das habe sie nicht nur fachlich, sondern auch persönlich weitergebracht. Sie verstehe nun, wie wichtig es sei, dass sich alle Teammitglieder mit dem Projekt identifizieren, um motiviert mitzuarbeiten. „Als Projektleiter sollte man nicht versuchen, über alles die Kontrolle zu behalten, sondern Aufgaben und Entscheidungskompetenz auch auf andere übertragen“, sagt die 21-Jährige. „Dann merkt das Team, dass es nicht bloß Hilfskräfte sind, sondern ein wichtiger Teil des Projektes.“
Öffentliche Vorstellung der Ergebnisse
Die Ergebnisse ihrer Arbeit präsentieren die Projektgruppen bei einer öffentlichen „Vernissage“. In einer Poster-Ausstellung werden sie die vielfältigen Standpunkte der Anspruchsgruppen mit Blick auf den BER zeigen. Damit ist die Lehrveranstaltung für die Studierenden noch nicht abgeschlossen. Um den Lernerfolg auch bei Bewerbungen für den Einstieg ins Berufsleben zu unterstreichen, wird den Teilnehmerinnen und Teilnehmern optional die Möglichkeit geboten, eine international anerkannte Zertifizierung durch die GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e.V. zu erlangen.
Wenn die Projektveranstaltung und das Semester zuende gehen, bleibt der BER weiterhin geschlossen. Neuer Eröffnungstermin ist Ende 2020. Werden die Arbeiten diesmal rechtzeitig fertig werden? „Die meisten Experten, mit denen wir gesprochen haben, sind sich sicher, dass der BER eröffnen wird – 2020 halten sie allerdings nicht für realistisch“, sagt Nele Heik. Ihr bleibe besonders die Aussage des Berliner CDU-Politikers Stefan Evers in Erinnerung, der im Interview mit einer Projektgruppe gesagt habe, dass man aus heutiger Perspektive den BER gleich 2012 hätte abreißen sollen. „Ich bin gespannt, wie es 2026 aussehen wird – und ob man dann sagen wird: Schon 2018 hätte man das Projekt aufgeben müssen“, sagt die Studentin. „Es ist so viel Geld versenkt worden, dass die Politiker den Bau unbedingt fertigstellen wollen“, ergänzt Cosima Gulde. „Denn was sollen sie sonst den Steuerzahlern sagen?“
Weitere Informationen
- 29. Juni 2018, 10.00 Uhr bis 12.30 Uhr
- Fachbereich Wirtschaftswissenschaft der Freien Universität Berlin, Garystraße 21, Hörsaal 103, 14195 Berlin, U-Bhf. Freie Universität/Thielplatz (U3)