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Was weiß ich?

Der US-amerikanische Schriftsteller Joshua Cohen hat seine Antrittsvorlesung als Samuel-Fischer-Gastprofessor für Literatur am Peter Szondi-Institut für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft der Freien Universität gehalten

07.11.2017

Joshua Cohen hielt seine Antrittsvorlesung als Samuel-Fischer-Gastprofessor am 25. Oktober an der Freien Universität.

Joshua Cohen hielt seine Antrittsvorlesung als Samuel-Fischer-Gastprofessor am 25. Oktober an der Freien Universität.
Bildquelle: Privat

Der Titel der Vorlesung und die einführenden Worte des Schriftstellers verrieten, womit sich Joshua Cohen in der folgenden Stunde beschäftigen würde: „WIKI What I Know Is – The Role of Knowledge in the Novel“ ( „Was ich weiß ist – Die Rolle von Wissen im Roman“) war seine Antrittsvorlesung am 25. Oktober überschrieben. Sie befasste sich mit der Bedeutung von Wissen im Roman – was er weit auslegte, wie sich noch zeigen sollte. „Ich habe das online herausausgefunden“, begann Cohen seine Vorlesung und übernahm das Dynamische und Fluide, das die digitale Welt auszeichnet, auch in seinem Vortragsstil.

Der wiederholten rhythmischen Beschwörung „WIKI – what I know is“, mit der er das Publikum in seinen Bann zog, folgten Analysen darüber, auf welche Weise Wissen in der digitalen Welt abrufbar ist, wie sich Wissen verbreitet, wie die Grenzen zwischen Wissen und Nichtwissen verschwinden oder aufgeweicht werden. Dabei schöpfte Cohen aus den eigenen Erfahrungen als Literaturkritiker, als Journalist im amerikanischen Wahlkampf, als Schriftsteller und auch als Privatperson, die plötzlich nicht mehr weiß, ob eine Information aus dem Netz, von einem Freund oder aus dem eigenen Kopf stammt. Das digitale Zeitalter stelle, so beschreibt es Cohen, mit seiner Masse an zugänglichen Informationen im Netz hohe Anforderungen an das Lesen selbst und den Leser, der plötzlich selbst entscheiden müsse, welchen Informationen er Glauben schenke.

Wissen in der Welt und im Roman

Auch für die Literatur und insbesondere im Roman spielt Cohen zufolge Wissen eine bedeutende Rolle — als Gegengewicht zur Fiktion: „Wissen im Roman hat die Aufgabe, dem Träumen einen Kontext und ein Gegengewicht zu geben“, erklärte der Schriftsteller, „die Rolle von Wissen außerhalb des Romans ist es, uns darüber zu informieren, wie viel etwas kostet oder wie spät es ist.“ Faktenwissen also. Cohen machte eine Kunstpause und sah auf seine Uhr: „Es ist jetzt 18 Uhr 40“, sagte er mit ernster Miene — das Publikum lachte. Mit seinen Überlegungen zu den Anforderungen, die ein globales Publikum in einer globalisierten Welt an den Roman stellt, rührte Cohen an Fragen darüber, wie heute gelesen wird, und welche Rolle die digitale Welt dabei spielt.

Im Grunde müssten Texte im Internet genauso gelesen werden wie Romane, sagte der Schriftsteller. Die Leserin oder der Leser müssten dem in einem Internettext verbreiteten Wissen mit demselben Vertrauen oder Misstrauen begegnen, mit dem sie Informationen in einem Roman Glauben schenkten – oder auch nicht. Denn „Wissen kann so stark manipuliert werden, dass es zu etwas anderem wird: zu etwas Unzuverlässigem“, sagte Cohen.

Dem Vortrag folgte eine lebhafte Diskussion über die Rolle, die der Roman heute, aber auch zukünftig haben könnte: Führt die fortschreitende Digitalisierung zum Untergang des gedruckten Romans? Werden in Anbetracht der Entwicklung von digitalen Texterstellungsprogrammen Künstler und Künstlerinnen entbehrlich? Gibt es den „globalen Roman“, der eine globale Geschichte erzählt? Die Gespräche gingen im Anschluss bei Wein und Brezeln weiter.

Cohen hält ein Seminar mit dem Titel „Versions“

Joshua Cohen hält in diesem Semester ein Seminar mit dem Titel „Versions“ (Versionen) am Peter Szondi-Institut für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft der Freien Universität Berlin. Darin erarbeitet er mit den Studierenden Methoden der Textentwicklung, nicht aus literaturtheoretischer Sicht, sondern aus der Perspektive des Schriftstellers, der seine Manuskripte wieder und wieder überarbeitet. Die Veranstaltung findet, wie auch der Vortrag, in englischer Sprache statt.