Springe direkt zu Inhalt

„Die Zeichen der Zeit richtig gedeutet“

Die Graduate School of North American Studies der Freien Universität feiert mit der Konferenz „The Fault Lines of Democracy“ am 20. und 21. Oktober ihr zehnjähriges Bestehen / Interview mit Professorin Ulla Haselstein

18.10.2017

Am 20. und 21. Oktober findet in der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften eine Konferenz aus Anlass des zehnjährigen Bestehens der Graduiertenschule statt.

Am 20. und 21. Oktober findet in der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften eine Konferenz aus Anlass des zehnjährigen Bestehens der Graduiertenschule statt.
Bildquelle: Heilmeyer und Sernau

Nordamerika aus allen Blickwinkeln zu betrachten – von der Politik, der Wirtschaft, Soziologie und Geschichte bis hin zur Kultur, hier speziell Literatur: Das ist das Ziel der Graduate School of North American Studies (GSNAS) am John-F.-Kennedy-Institut für Nordamerikastudien der Freien Universität Berlin. Aus der Graduiertenschule, die seit 2006 von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert wird und 2007 die ersten Doktorandinnen und Doktoranden aufgenommen hat, sind inzwischen 61 Dissertationen hervorgegangen, weitere etwa 40 sind in Arbeit. Ein Gespräch mit Ulla Haselstein, Professorin für amerikanische Literatur und Kultur und bis 2017 Sprecherin der GSNAS.

Frau Professorin Haselstein, vor zehn Jahren haben die ersten Doktorandinnen und Doktoranden an der GSNAS angefangen. Was zeichnet die Promotion an der Graduiertenschule aus?

Im klassischen individuellen Promotionsmodell besteht eine starke Bindung zu einer Doktormutter oder einem Doktorvater. Die Studierenden an unserer Graduiertenschule werden stattdessen von jeweils drei Mentorinnen oder Mentoren betreut. Wir erwarten von ihnen viel Selbstständigkeit – und gewähren sie auch. Jeder Jahrgang organisiert zum Beispiel eine Konferenz, bei der er völlig frei darin ist, welche Themen gesetzt werden und wer eingeladen wird. Diese Graduiertenkonferenzen haben unsere Schule international bekannt gemacht. Darüber hinaus zeichnet uns unsere interdisziplinäre Ausrichtung aus. Das John-F.-Kennedy-Institut für Nordamerikastudien umfasst sechs Disziplinen, drei aus den Geistes- und drei aus den Sozialwissenschaften: Geschichte, Kultur, Literatur, Politik, Wirtschaft und Soziologie. Das ist einmalig in Deutschland und auch in Europa. Von unseren Doktorandinnen und Doktoranden fordern wir daher nicht nur, dass sie in ihrem Fach hervorragend sind, sondern auch das Interesse, interdisziplinär zu arbeiten: Sie müssen bereit sein, über den Tellerrand hinauszublicken.

Ulla Haselstein ist Professorin für amerikanische Kultur und Literatur am John-F.-Kennedy-Institut der Freien Universität. Sie war zehn Jahre lang Sprecherin der Graduiertenschule für Nordamerikastudien.

Ulla Haselstein ist Professorin für amerikanische Kultur und Literatur am John-F.-Kennedy-Institut der Freien Universität. Sie war zehn Jahre lang Sprecherin der Graduiertenschule für Nordamerikastudien.
Bildquelle: Catharina Tews

Warum ist diese weite Sicht auf ein Thema so wichtig?

Das hat mit der Geschichte Berlins zu tun. Das John-F.-Kennedy-Institut ist 1963 von Ernst Fraenkel gegründet worden, einem deutsch-jüdischen Emigranten und einem der Begründer der westdeutschen Politikwissenschaft. Es gibt in Deutschland eine lange antiamerikanische Tradition, die die amerikanische Kultur im Vergleich zur deutschen abgewertet hat. Fraenkel wollte das ändern. Er wollte, dass das amerikanische politische System, aber eben auch die pluralistische amerikanische Kultur studiert wird, damit daraus Lehren für Deutschland nach dem Nationalsozialismus gezogen werden können – und die Demokratie hierzulande Fuß fassen kann.

Was ist aus Ihrer Sicht der größte Erfolg der Graduiertenschule?

Wir sind in beiden Runden der Exzellenzinitiative ausgezeichnet worden (2006/2007 und 2012) – daran misst sich die Qualität unserer Ausbildung. Wir sind auch auf die Internationalität unserer Graduierten stolz: Ein Drittel kommt aus dem Ausland, aus 38 Nationen insgesamt. Wir haben die Graduiertenschule aber auch stets als ein gemeinsames Forschungsprojekt verstanden. Dabei ist es uns von Anfang an gelungen, die Forschung auf die absolut zentralen Themen in Kultur und Gesellschaft auszurichten: die Globalisierung, die damit einhergehende Veränderung der globalen Sicherheitsarchitektur, Migration und Multikulturalismus und die sogenannten Culture Wars der 1990er-Jahre, in denen die Spaltung Amerikas in ein liberales und ein konservatives Lager offenbar wurdeIch glaube, dass wir die Zeichen der Zeit immer richtig gedeutet haben.

Als die GSNAS gegründet wurde, war George W. Bush Präsident, auf ihn folgte Barack Obama und in diesem Jahr Donald Trump. Haben sich die USA in den vergangenen zehn Jahren stark verändert?

Ehrlich gesagt: nein. Das Krisengefühl hat sich immer weiter verstärkt, aber die Spaltung der amerikanischen Gesellschaft besteht schon lange. In der Wissenschaft denken wir in längeren historischen Zeiträumen als das die Medien tun. Deshalb ist die GSNAS so wichtig: Phänomene wie die Wahl Trumps kann man nicht aus sich heraus verstehen. Man muss die langfristigen und strukturellen Zusammenhänge begreifen, in denen sie sich herausgebildet haben. Und genau für diese Analyse bilden wir aus.

Aus der Exzellenzinitiative wird nun die Exzellenzstrategie. Darin ist keine spezifische Förderung von Graduiertenschulen mehr vorgesehen. Wie geht es mit der GSNAS weiter?

Wir werden die erfolgreiche Arbeit unserer Graduiertenschule natürlich weiterführen. Die Freie Universität und das John-F.-Kennedy-Institut haben sich hierfür bereiterklärt, die Graduiertenschule auch über die erste Zeit der Exzellenzförderung hinaus zu unterstützen. Zudem ist die Freie Universität im Rahmen der Exzellenzstrategie aufgefordert worden, fünf Forschungscluster zu Vollanträgen auszuarbeiten, darunter zwei, an denen das John-F.-Kennedy-Institut beteiligt ist. Ein Erfolg dieser Cluster würde der Graduiertenschule eine neue Forschungsperspektive eröffnen.

Die Fragen stellte Jonas Huggins

Weitere Informationen

Konferenz „The Fault Lines of Democracy - Conversations, Contestations and Cross-Cultural Comparisons“ Zeit und Ort
  • 20. und 21. Oktober 2017
  • Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Markgrafenstraße 38, 10117 Berlin, Leibnizsaal

Weitere Informationen und Programm