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Weiblich, geflüchtet, fremdbestimmt

Studierende der Sozial- und Kulturanthropologie haben in einer Studie die Lebensumstände von Frauen in Berliner Flüchtlingsunterkünften untersucht

17.01.2017

Keine Privatsphäre, geregelte Tagesabläufe, Angst vor körperlichen und sexuellen Übergriffen – dass sie fremdbestimmt sind und nicht frei entscheiden können, macht Flüchtlingen, die in Sammelunterkünften untergebracht sind, am meisten zu schaffen.

Keine Privatsphäre, geregelte Tagesabläufe, Angst vor körperlichen und sexuellen Übergriffen – dass sie fremdbestimmt sind und nicht frei entscheiden können, macht Flüchtlingen, die in Sammelunterkünften untergebracht sind, am meisten zu schaffen.
Bildquelle: Franz Ferdinand Photography/flickrCC BY-NC 2.0

Geregelte Duschzeiten, ein festgelegtes Essensmenü und von Ämtern zugewiesene Termine – der Alltag in Sammelunterkünften für Geflüchtete ist stark reguliert und verhindert dadurch einen selbstbestimmten Tagesablauf. Eine weitere Belastung ist die fehlende Privatsphäre: Gerade in provisorisch zu Unterkünften umfunktionierten Turnhallen leben viele Geflüchtete nur notdürftig durch einen Sichtschutz voneinander getrennt. Unter diesen Bedingungen leiden alle Bewohnerinnen und Bewohner der Heime. Bachelorstudierende der Freien Universität haben in einem Seminar der Sozial- und Kulturanthropologie nun den Alltag von Frauen in Berliner Sammelunterkünften untersucht.

Ziel der jungen Forscherinnen und Forscher des studentisch organisierten Seminars „On the Situation of Women* in Refugee Camps in Berlin“ war es, mehr über die Situation von geflüchteten Frauen in Sammelunterkünften zu erfahren, um dazu beitragen zu können, Missstände abzubauen. Die Initiatorinnen des Projekts engagierten sich im Sommer 2015 in einer politischen Organisation zu den Themen Migration und Flucht, als sie auf das Forschungsthema stießen: „Die aktivistische Gruppe von Frauen mit Flucht- und Migrationshintergründen International Women Space hatte uns gefragt, ob wir daran interessiert wären, Daten von Frauen in Geflüchteten-Unterkünften zu erheben.“ International Women Space selbst hatte sich in der ehemals von Geflüchteten besetzten Gerhard-Hauptmann-Grundschule in Kreuzberg für die Einrichtung von spezifischen Frauenräumen und die Beachtung ihrer besonderen Bedürfnisse eingesetzt. „Speziell zu Frauen und deren Problemen in den Berliner Sammelunterkünften gab es allerdings kaum Informationen “, erzählt Katharina Epstude, eine der Initiatorinnen des Seminars.

Studentisches Forschungsvorhaben in den Lehrplan aufgenommen

Lena Nahrwold (links) und Katharina Epstude haben das wissenschaftliche Seminar, aus dem schließlich das Buch entstanden ist, initiiert.

Lena Nahrwold (links) und Katharina Epstude haben das wissenschaftliche Seminar, aus dem schließlich das Buch entstanden ist, initiiert.
Bildquelle: Annika Middeldorf

Als Kristina Dohrn, wissenschaftliche Mitarbeiterin, und Professor Hansjörg Dilger vom Institut für Sozial- und Kulturanthropologie von dem Projekt erfuhren, unterstützten sie die Studierenden – und integrierten das studentische Forschungsvorhaben in den Lehrplan des Bachelorstudiums. Ein Semester lang setzten sich die etwa 30 Studierenden mit dem Thema Migration, Flucht und Frauen auseinander, besuchten fünf Sammelunterkünfte in Berlin und befragten mehr als 80 Frauen aus Syrien, dem Irak, Eritrea, Iran, Afghanistan oder Albanien nach ihren persönlichen Hintergründen und ihrer Lebenssituation in den Heimen.

„Wir haben mit den Frauen darüber gesprochen, wie sicher sie sich in den Unterkünften fühlen, ob es Probleme mit der Gesundheitsversorgung gibt und wie sie soziale Beziehungen innerhalb und außerhalb der Unterkünfte aufbauen. Wir haben auch danach gefragt, wie sie sich ihre Zukunft in Deutschland vorstellen und welche Rolle das Asylsystem dabei spielt“, sagt Lena Nahrwold vom studentischen Organisationsteam des Seminars. Einige der Frauen in den Wohnheimen hätten von ihrer Angst vor rassistischen oder sexistischen Übergriffen in den Unterkünften berichtet. Etwa, wenn Duschräume nicht verschließbar waren, berichten die Studentinnen.

Bei der Buchpräsentation von „Living in Refugee Camps in Berlin: Women's Perspectives and Experiences“, das im Weißensee-Verlag erschienen ist.

Bei der Buchpräsentation von „Living in Refugee Camps in Berlin: Women's Perspectives and Experiences“, das im Weißensee-Verlag erschienen ist.
Bildquelle: Privat

Aus dem Forschungsprojekt ist das Buch „Living in Refugee Camps in Berlin: Women's Perspectives and Experiences“ hervorgegangen, erschienen ist es Ende vergangenen Jahres. Aus den erhobenen Daten leiten die Studierenden auch Forderungen ab: Schutzräume für Frauen in den Unterkünften, Übersetzungsdienste für alle Sprachen, die in den Heimen gesprochen werden sowie Unterstützung bei Behördengängen oder Arztbesuchen. Ebenfalls notwendig, so die Studentinnen, sei eine verlässliche Kinderbetreuung während der Deutschsprachkurse, damit Frauen bessere Möglichkeiten hätten, an den Kursen teilzunehmen.

Die Studierenden erfuhren aber auch von Problemen, die alle in Sammelunterkünften betreffen, nicht nur die Frauen unter ihnen: das monate- und manchmal jahrelange Warten auf die Anhörung zum Asylverfahren, fehlende Informationen, die in verschiedenen Sprachen bereitgehalten werden, oder mangelnde ärztliche Versorgung. Nach Ansicht der Studentinnen sollten daher die ursprünglich provisorisch eingerichteten Sammelunterkünfte generell geschlossen werden. Stattdessen sollten Geflüchtete in Wohnungen untergebracht werden. „Die Zivilgesellschaft muss den Druck auf die Politik erhöhen“, sagen die Autorinnen des Buches.

Die Studierenden sind derzeit auf der Suche nach Sponsoren, um die Studie weiter auszubauen und ihre Ergebnisse in die Sprachen der Frauen zu übersetzen. „Wir möchten den Informationskreis schließen. Die Frauen sollen uns nicht nur Daten liefern, sondern selbst Einblick in unsere Forschungsergebnisse nehmen können und so auch davon profitieren“, sagt Katharina Epstude.

Weitere Informationen

Das Buch „Living in Refugee Camps in Berlin: Women's Perspectives and Experiences“ ist im Weißensee-Verlag erschienen.