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Besserer Tierschutz dank alternativer Lehrmethoden

Studierende der Veterinärmedizin üben künftig Eingriffe am Tier zuvor an Modellen / Auch Gespräche mit Tierbesitzern werden trainiert

14.09.2016

Veterinärmedizinerin Laura Schüller demonstriert eine Epiduralanästhesie am Kuh-Modell.

Veterinärmedizinerin Laura Schüller demonstriert eine Epiduralanästhesie am Kuh-Modell.
Bildquelle: Bernd Wannenmacher

Professorin Monika Schäfer-Korting, Erste Vizepräsidentin der Freien Universität und BB3R-Sprecherin, hatte sich gemeinsam mit dem für Tierschutz zuständigen Senator Thomas Heilmann die Präsentation des "Veterinary Skills Net" angesehen.

Professorin Monika Schäfer-Korting, Erste Vizepräsidentin der Freien Universität und BB3R-Sprecherin, hatte sich gemeinsam mit dem für Tierschutz zuständigen Senator Thomas Heilmann die Präsentation des "Veterinary Skills Net" angesehen.
Bildquelle: Bernd Wannenmacher

Professorin Christa Thöne-Reineke, Leiterin des Instituts für Tierschutz, Tierverhalten und Versuchstierkunde, ist eine der Initiatoren des "Veterinary Skills Net".

Professorin Christa Thöne-Reineke, Leiterin des Instituts für Tierschutz, Tierverhalten und Versuchstierkunde, ist eine der Initiatoren des "Veterinary Skills Net".
Bildquelle: Bernd Wannenmacher

An Naht-Pads aus hautähnlichem Silikon können Studierende unterschiedliche Nahttechniken unter realen Bedingungen erproben.

An Naht-Pads aus hautähnlichem Silikon können Studierende unterschiedliche Nahttechniken unter realen Bedingungen erproben.
Bildquelle: Bernd Wannemacher

Mit den Fingern ihrer rechten Hand tastet Laura Schüller sich an der Kuh-Wirbelsäule entlang, bis sie die Delle erfühlt, die den Übergang zwischen Kreuzbein und erstem Schwanzwirbel markiert. Behutsam sticht sie eine Kanüle ein und injiziert ein Betäubungsmittel. Die sogenannte Epiduralanästhesie ist im Vorfeld eines Kaiserschnitts bei Rindern nötig – und Laura Schüller könnte die für die Operation nötigen Handgriffe nun immer wieder von neuem demonstrieren, ohne die trächtige Kuh zu gefährden. Denn die promovierte Veterinärmedizinerin arbeitet gerade nicht am lebenden Tier, sondern an einem Simulationsmodell. Die tierische Nachbildung ist Bestandteil des „Manual Skills Lab“: einem Lernraum für Studierende, in dem sie im Rahmen ihrer praktischen Ausbildung üben können – und dabei lebende Tiere schonen. Vor wenigen Tagen überzeugte sich der für den Tierschutz zuständige Berliner Justiz- und Verbraucherschutzsenator, Thomas Heilmann, von der Übungseinrichtung in Düppel.

Unter der fachkundigen Anleitung von Laura Schüller traut sich auch Senator Thomas Heilmann an die Epiduralanästhesie– undenkbar wäre ein solcher Eingriff eines Ungeübten am lebenden Tier. Eine Station weiter liegen Naht-Pads aus hautähnlichem Silikon bereit. Hier können die Studierenden unterschiedliche Nahttechniken unter realen Bedingungen erproben. „In den ersten zwei Jahren ihres Studiums arbeiten Veterinärmediziner nicht mit lebenden Tieren“, sagt Professorin Christa Thöne-Reineke, Leiterin des Instituts für Tierschutz, Tierverhalten und Versuchstierkunde an der Freien Universität. „Die Studenten sind zu Beginn des Studiums hoch motiviert. Die Simulationsmodelle bieten die Chance, diese hohe Motivation mitzunehmen und die angehenden Veterinärmediziner vom ersten Semester an in den nötigen praktischen Grundfertigkeiten auszubilden, bevor sie diese am lebenden Tier anwenden müssen.“

Tierschutz auf wissenschaftlich fundierter Basis

Das „Manual Skills Lab“ ist eines von drei Modulen, die zum „Veterinary Skills Net“ gehören, einem Netzwerk, mit dem die Freie Universität Praxis und Tierschutz in der Lehre verankern will. So üben die Studierenden im Rahmen des „Manual Skills Lab“ etwa intravenöse Injektionen, Blutentnahmen oder die Geburtshilfe bei einem Kalb - während im „Social Skills Lab“ beispielsweise die gute Kommunikation mit dem Besitzer eines Tieres im Vordergrund steht. „Das ist teilweise in der tierärztlichen Praxis eine größere Herausforderung, als eine Diagnose zu stellen oder das Tier zu behandeln“, sagt Professorin Thöne-Reineke. Im „Scientific Skills Lab“ hingegen sollen Studierende und Promovierende an wissenschaftliche Arbeitsprozesse herangeführt werden und vielfältige Handhabungs- und Verfahrenstechniken im Umgang mit Versuchstieren an Modellen üben.

Tierschutz auf wissenschaftlich fundierter Basis zu betreiben, indem alternative Lehrmethoden zum Einsatz kommen – das ist der Ansatz, den die Initiatoren des „Veterinary Skills Net“ um Professorin Christa Thöne-Reineke und Professor Wolfgang Heuwieser, verfolgen. Mit dem „Scientific Skills Lab“ erfüllt die Einrichtung auch die Ziele der Berlin-Brandenburger Forschungsplattform BB3R, der „Mutter aller Initiativen zur tierschonenden Forschung an der Freien Universität“, wie die Sprecherin des Projekts und Erste Vizepräsidentin der Freien Universität, Professorin Monika Schäfer-Korting, betont. Die 3R stehen für die englischen Begriffe Reduction, Refinement und Replacement und bedeuten die Reduktion, schonendere Gestaltung beziehungsweise den vollständigen Ersatz von Tierversuchen. „Mit BB3R wollen wir Alternativmethoden und weniger belastende Tierversuche entwickeln und die Forschung nachhaltig integrieren“, so die Pharmakologin.

"Resonanz der Studierenden ist durchweg positiv"

Gesetzlicher Hintergrund der Initiative „Veterinary Skills Net“ ist das 2013 auf Bundesebene verschärfte Tierschutzgesetz. Jede Ausbildung am Tier – also auch die von angehenden Tierärzten – gilt seither als genehmigungspflichtiger Tierversuch. Senator Thomas Heilmann lobte die Einrichtung des „Veterinary Skills Net“ als enthusiastische und engagierte Umsetzung dessen, was mit dem neuen Tierschutzgesetz in der Politik begonnen worden sei: „Die Idee ist nicht, dass wir durch die Reduzierung der Tierversuche keine Forschungshauptstadt mehr sein wollen. Vielmehr haben wir uns auf einen Alternativweg begeben, der die Forschungslandschaft nachhaltig verändern könnte.“ Heilmann bekräftigte im Namen des Senats, diesen eingeschlagenen Weg weiter unterstützen zu wollen.

Und Unterstützung – vor allem finanzielle und personelle – haben die Initiatoren des „Veterinary Skills Net“ in Zukunft auch weiterhin nötig: Alle Simulationsmodelle, die die Veterinärmediziner dem Senator präsentierten, wurden von Studierenden und Wissenschaftlern des Fachbereichs selbst hergestellt. Die Anschaffung professioneller Simulationsmodelle würde Geld kosten – wäre aber für eine weitere Verbesserung der Lehre nur konsequent. 30.000 Euro – so schätzt Veterinärmedizinerin Laura Schüller – wären etwa die Kosten für einen Geburtssimulator. „Die Resonanz der Studierenden auf das „Veterinary Skills Net“ ist durchweg positiv“, sagt Schüller. Sie kann es gut verstehen: „Als Studentin wäre ich damals auch froh gewesen, so eine Einrichtung nutzen zu können. “  

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