Lernen, weil es Spaß macht
Was hilft gegen Prüfungsangst? Ein Workshop will Studierenden der Veterinärmedizin helfen, Lernstrategien zu entwickeln
10.08.2016
Knapp 30 Prüfungen legen angehende Tierärztinnen und -ärzte im Laufe ihres Studiums ab, bis auf vier sind alle mündlich. Das ist belastend: Im Studiengang Veterinärmedizin erreicht die Nervosität vor Prüfungen Rekordwerte. Mahtab Bahramsoltani, Professorin für Veterinär-Anatomie an der Freien Universität, hat mit Kolleginnen aus der Erziehungswissenschaftlichen Fakultät und dem Zentrum für Lehrerbildung und Schulforschung der Universität Leipzig einen Workshop entwickelt, der Studierenden helfen soll, Strategien gegen Prüfungsangst zu erlernen.
Hund, Katze, Schwein, Rind und Pferd: Die Anatomie von gleich fünf verschiedenen Tierarten müssen angehende Tierärzte beherrschen, und die des Menschen zum Vergleich noch dazu. Der enorme Lernaufwand in diesen und weiteren Fächern macht Veterinärmedizin zu einem der anspruchsvollsten Studiengänge. Das ist für viele Studierende eine Herausforderung: Studien zeigen, dass sie besonders häufig von Prüfungsangst betroffen sind.
Mit der Angst arbeiten
Mahtab Bahramsoltani, seit Anfang des Jahres Professorin am Institut für Veterinär-Anatomie der Freien Universität, hat gemeinsam mit Kolleginnen der Universität Leipzig – Claudia Bade und Nadine Hahm von der Erziehungswissenschaftlichen Fakultät und Diplompsychologin Annett Ammer-Wies vom Zentrum für Lehrerbildung und Schulforschung – einen Workshop entwickelt, der helfen soll, die Prüfungsangst zu lindern.
An zwei Tagen lernt dabei eine Gruppe von etwa einem Dutzend Studierenden, wie man große Lernstoffmengen bewältigt und mit Zeitnot und Prüfungsstress umgeht. Die Teilnehmenden, die am Anfang ihres Studiums stehen, erhalten Ratschläge, was man tun kann, wenn man während einer Prüfung ein „Blackout“ hat und nicht weiter weiß. Sie machen gemeinsam Atemübungen, die helfen sollen, sich vor einer Prüfung zu beruhigen. „Die Angst geht vielleicht nicht ganz weg“, sagt Mahtab Bahramsoltani. „Aber statt darunter zu leiden, versuchen wir, sie als Ressource zu nutzen.“
Erfolgreiche Studierende, hoher Druck
Trotz der hohen Anforderungen – und obwohl Jobs als Tiermediziner nicht zu den bestbezahlten gehören – ist das Studium sehr beliebt. Für die Zulassung sind entweder erstklassige Noten im Abitur nötig oder man muss lange Wartezeiten in Kauf nehmen. Dementsprechend hoch sei der Druck. Und: Erfolgreiche Schüler setzten sich zudem eher unter Leistungsdruck, erklärt Mahtab Bahramsoltani: „In den vielen mündlichen Prüfungen versagen sie vielleicht zum ersten Mal in ihrem Leben.“
Das Studienfach zu wechseln, komme für sie kaum infrage. „Die meisten wissen schon als Teenager, dass sie Tierärzte werden wollen“, sagt Marcus Doherr, Professor am Institut für Veterinär-Epidemiologie und Biometrie und Prodekan für Lehre am Fachbereich Veterinärmedizin der Freien Universität. „Es ist ihr Traumberuf. Wenn sie dann eine Niederlage erleben, weil sie in den Prüfungen schlecht abschneiden, ist das eine besondere Herausforderung.“
Rollenwechsel hilft gegen die Angst
Mehr als 90 Prozent der Studierenden sind weiblich. Ob es einen Zusammenhang zwischen Geschlecht und Prüfungsangst gibt, sei nicht klar, sagt Mahtab Bahramsoltani. Manche Studien wollen festgestellt haben, dass Frauen anfälliger für Prüfungsangst seien. Sie habe bei ihren Studierenden allerdings keine Unterschiede feststellen können, sagt die Wissenschaftlerin.
Im Rahmen des Workshops wird unter anderem eine mündliche Prüfung nachgestellt – und gefilmt. Katja Auerbach, inzwischen Studentin im 7. Semester, hat im 2. Semester an dem Workshop teilgenommen und fand es sehr lehrreich. „Während der Prüfung habe ich mich sicher und selbstbewusst gefühlt, aber auf dem Video konnte ich sehen, wie klein ich mich tatsächlich mache“, erzählt sie.
Für die Teilnehmenden sei es besonders eindrucksvoll, in die Rolle des Prüfenden zu schlüpfen, sagt Mahtab Bahramsoltani. „Wer das macht, sieht die Situation plötzlich ganz anders.“ Indem sich die Studierenden in die Lage der Prüfenden versetzten, könnten sie besser nachvollziehen, dass es auch für die Prüferinnen und Prüfer eine große Herausforderung darstellt, sich stets um Gerechtigkeit und Objektivität zu bemühen.
Vor allem aber würden die Studierenden ein Gefühl dafür gewinnen, dass sich eine Prüfungssituation auch durch einen selbst steuern lässt. „Viele Studentinnen und Studenten glauben, dass die Prüfenden in einer Prüfung gezielt nach deren wundem Punkt suchen“, erzählt Mahtab Bahramsoltani. „Wenn wir die Prüfung aufzeichnen, merken die Studierenden aber, dass sie selbst das Gespräch auf ihre Wissenslücke gelenkt haben.“
Workshop zeigt Wirkung: weniger Angst
Eine Pilotstudie hat bestätigt, dass der Workshop Wirkung zeigt. Studierende im ersten und dritten Semester füllten vor der Teilnahme an dem Workshop sowie einige Monate danach einen Fragebogen aus. Das Ergebnis: Bei den Teilnehmenden des Workshops war die Prüfungsangst signifikant gesunken, während sie in einer Kontrollgruppe im gleichen Zeitraum angestiegen war.
Der Workshop hilft aber nicht nur dabei, Studium und Prüfungen zu bewältigen. Er vermittelt auch Sozialkompetenzen, die in dem lernintensiven Studium zu kurz kommen können. Nicht zuletzt soll den Studierenden das Lernen wieder Freude bereiten – das sei langfristig wichtig, sagt Mahtab Bahramsoltani: Viele Absolventinnen und Absolventen glaubten, nach dem Staatsexamen sei das Lernen vorüber. Dabei müsse man sich ständig fortbilden: „Wir wollen, dass der eigentliche Lerntrieb, die Neugier, erhalten bleibt.“ Das gehe nur auf einem Weg: „Man soll aus Spaß lernen, und nicht, weil man Angst hat.“