Vom Bauhaus zu den digitalen Geisteswissenschaften
Studierende der Freien Universität sind über das Projekt „Black Mountain Research“ an der Konzeption und der Begleitung einer Ausstellung im Museum Hamburger Bahnhof beteiligt / Öffentlicher Workshop am 3. Mai
02.05.2014
Ein kleiner Ort in den Hügeln North Carolinas – die Keimzelle der US-amerikanischen künstlerischen Neoavantgarde stellt man sich anders vor. Und dennoch: An der Kunsthochschule Black Mountain College wurde von 1933 bis 1957 auf damals revolutionäre Weise – ohne Hierarchien, Bürokratie und Fachgrenzen – gelernt und gelehrt. Die Absolventen und Dozenten des College haben die Kunstwelt nachhaltig beeinflusst. Unter dem Titel „Black Mountain – Lehren und Lernen als Aufführungskünste“ kooperieren nun die Freie Universität und der „Hamburger Bahnhof – Museum für Gegenwart – Berlin“ in Veranstaltungsreihen, Ausstellungen und Tagungen zu der namhaften Bildungsinstitution. Campus.leben sprach mit der Theaterwissenschaftsprofessorin und Projektleiterin Annette Jael Lehmann.
Frau Professorin Lehmann, das Black Mountain College hatte ab den 1930er Jahren einen großen Einfluss auf das künstlerische Schaffen in den USA. Was war das Besondere dort am Lehren und Lernen?
Annette Jael Lehmann: Vor allem in den Anfangsjahren des College prägten Exilanten aus Europa den Lehrbetrieb in der Bauhaus-Tradition. Sie richteten die Lehre experimentell aus und vermittelten jede Theorie durch praktisches Arbeiten. Der deutsche Maler und Kunstpädagoge Josef Albers setzte dieses Konzept mit seinen Studierenden zum Beispiel in seinen Experimenten zur Subjektivität der optischen Wahrnehmung um. Seine Frau Anni stand für ein zweites Prinzip der Lehre nach Bauhaus-Vorbild, nämlich die Enthierarchisierung und Entgrenzung der Künste. Alle Genres wurden gleichwertig sowie durch praktische Erfahrung mit Materialien und Stoffen gelehrt.
Zu diesem praktischen Ansatz kam das „Work-Program“: Die Studierenden arbeiteten 15 Stunden pro Woche auf dem Campus, unter anderem bauten sie Möbel oder bestellten die an das Gelände angeschlossenen Äcker. Sogar die von Walter Gropius entworfenen Häuser bauten sie teilweise selbst. Durch diese starke Bindung an den Universitätsbetrieb und die enge Zusammenarbeit der Studierenden mit europäischen und amerikanischen Wissenschaftlern und Künstlern wuchsen die College-Strukturen organisch, das heißt selbstverwaltet und unbürokratisch. Die Früchte dieser Arbeit konnten aber erst rund zehn Jahre nach Schließung des College geerntet werden: In den 1960er Jahren bildeten ehemalige Dozenten und Studierende des Black Mountain College – wie John Cage, Merce Cunningham und Robert Rauschenberg – die Speerspitze der künstlerischen Neoavantgarde.
Inwiefern dient das Black Mountain College sowohl als Untersuchungsgegenstand ihres Projekts als auch als Modell für die Forschung und Lehre in der heutigen Zeit?
Die Zusammenarbeit von Lehrenden und Lernenden am Black Mountain College war nicht durch Richtlinien bestimmt, sondern durch Handeln – auch ohne konkretes Ziel und ohne Fachausbildung der Projektteilnehmer. Das möchten wir aufgreifen und am Beispiel des College untersuchen, wie das funktioniert, was wir heute Interdisziplinarität nennen. Dieses Prinzip des gemeinschaftlichen Arbeitens und der bedingungslosen Teilhabe ist mittlerweile die Grundlage der kreativen Ökonomie, beispielsweise der Internetkommunikation; in der Kunst oder in den Geisteswissenschaften wird es bisher allerdings nur vereinzelt angewandt. Im Workshop am 3. Mai wollen wir einen Blick darauf werfen, warum das so ist.
Langfristig soll das Projekt – ähnlich wie die Lehrpraxis am Black Mountain College – organisch wachsen. Wir wissen noch nicht, wie die Ausstellung im Frühjahr 2015 im Hamburger Bahnhof aussehen wird – und das soll auch so sein. Wir arbeiten nicht ziel-, sondern prozessorientiert und wollen diesen prozessualen Aspekt der Kreativität in der Ausstellung aufzeigen. Dabei dürfen und sollen auch Dinge misslingen, damit wir den Fehler als wichtiges Element der Erfahrung thematisieren können.
Konkret arbeiteten unsere studentischen Teilnehmer im Seminar Black Mountain – Krativitätsmodelle im Wintersemester 2013/24 an dem Blog www.black-mountain-research.com. Sie erstellen etwa die Texte zu Veranstaltungen oder Porträts von Persönlichkeiten des College und sind später die Experten für die Ausstellung. Ein weiteres Seminar zum Thema ist für das Wintersemester 2014/15 geplant.
Ihr Projekt ist zu einem großen Teil in den sogenannten Digital Humanities angesiedelt. Inwiefern ist das Internet ein wichtiger Bestandteil für Ihre Arbeit?
Wir stellen uns die Frage: Wie kann man mit digitalen Lern- und Lehrmethoden unser Thema gemeinschaftlich erarbeiten? Ein großer Vorteil unseres Blogs liegt auf der Hand: Wir können alle Prozesse aktuell halten und der Öffentlichkeit zugänglich machen. Wir stellen unsere gesamte Seminararbeit online, alle Projektteilnehmer und auch außenstehende Interessierte haben jederzeit Zugriff darauf.
Uns geht es dabei nicht um eine reine Rekonstruktion der Institution Black Mountain College – wir betreiben keine Kulturgeschichtsschreibung, die wir online veröffentlichen. Sondern wir versuchen, uns mit den neuen methodischen Wegen, die das Internet bietet, den Lern- und Lehrprozess des College anzueignen und für die heutige Geistes- und Kulturwissenschaft fruchtbar zu machen.
Die Fragen stellte Juliane Küppers
Weitere Informationen
Öffentlicher Workshop „Black Mountain – Models of Creativity“
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