„Das böse Gespenst vom OSI"
Studierende organisieren Ausstellung und Filmvorführung zur Vergangenheit des Gebäudes in der Ihnestraße 22
13.11.2013
Eine Gedenktafel ist nicht genug, dachten sich Studierende der Politikwissenschaft der Freien Universität und handelten: Sie wollten die Geschichte des ehemaligen „Kaiser-Wilhelm-Instituts für Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik“ (KWI-A) und vor allem der dortigen Schädelsammlung aufarbeiten und die Ergebnisse einem breiten Publikum zugänglich machen. In der multimedialen Ausstellung „Manufacturing Race: Contemporary Memories of a Building’s Colonial Past“ wird noch bis zum 16. November über die Kolonisationsbestrebungen des Deutschen Kaiserreichs informiert, den Völkermord an den Herero und Nama in „Deutsch-Südwestafrika“ und den damit verbundenen Raub der Gebeine – auch zu Forschungszwecken im KWI-A. Am 14. November wird um 18 Uhr der Dokumentarfilm „Deutsch-Südwas?!“ gezeigt.
„Als ich zur geschäftsführenden Direktorin des Otto-Suhr-Instituts ernannt wurde, schenkte mir eine Kollegin eine kleine Lego-Figur, ein Gespenst“, sagt die Professorin für Politikwissenschaft Tanja Börzel. „Damit wollte sie – zu Recht – auf die Vergangenheit des Gebäudes an der Ihnestraße 22 aufmerksam machen.“ Zwar erinnert seit 1988 eine Gedenktafel am Eingang an die dortige Forschung vor und während der NS-Diktatur; dass bei dieser Forschung jedoch auch eine Sammlung von fast 5.000 Schädeln und Knochen von Ermordeten aus den ehemaligen deutschen Kolonien in Afrika eine Rolle spielte, ist nur den Wenigsten bekannt.
„Die Geschichte des Gebäudes und der Schädelsammlung hat mich empört und nachdenklich gemacht“, erklärt die Politikwissenschaftsstudentin Julia Scheurer. Darum habe sie an der Organisation der Ausstellung mitgewirkt. „Ich konnte es nicht fassen, als wir Dokumente ausgegraben haben, von denen bis heute niemand – nicht einmal dort arbeitende Wissenschaftler – etwas wusste.“
„Großes Interesse am Thema Postkolonialismus“
Solche praktische Forschung zu betreiben und das Ergebnis für ein interessiertes Publikum aufzuarbeiten, war der Grund, warum fünf Teilnehmer des Seminars „Postcolonialism in International Relations“ sich für die arbeitsintensive Organisation der Ausstellung als Abschlussleistung entschieden. Die Politikwissenschaftlerin Dr. Bilgin Ayata, Dozentin des Seminars und wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Arbeitsstelle Transnationale Beziehungen, Außen- und Sicherheitspolitik, beschreibt die Atmosphäre in ihrer Lehrveranstaltung: „Obwohl der Postkolonialismus in Deutschland nur marginal präsent ist, besteht unter den Studierenden großes Interesse an diesem Thema. Das Seminar war so gut besucht, dass manche auf dem Boden saßen. Jede Woche gab es sehr rege und engagierte Diskussionen.“
Material für die Seminargespräche und die Exponate war genügend vorhanden: Die Ausstellung spannt einen Bogen von der Forschung des Kaiser-Wilhelm-Instituts für Anthropologie an aus deutschen Kolonien geraubten Gebeinen Einheimischer über die Verbrechen des Deutschen Kaiserreichs an den Völkern der Herero und Nama bis hin zu der rassistisch geprägten anthropologischen Forschung in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Im heutigen Namibia wurden zwischen 1904 und 1911 etwa 65.000 Herero und 10.000 Nama im Zuge von Zwangsarbeit, Strafaktionen nach Aufständen und Kriegen getötet und ihre Volksgruppen dadurch fast ausgelöscht.
Kleine Schritte für große Veränderungen
Bei einer Podiumsdiskussion zur Eröffnung der Ausstellung sprachen Bilgin Ayata, die das Ausstellungsprojekt der Studierenden betreut hat, der Politikwissenschaftler Joshua Kwesi Aikins von der Universität Bielefeld, der Historiker Ben Zachariah, derzeit Gastprofessor an der Martin-Luther-Universität Halle, sowie der Zeitzeuge Israel Kaunatjike, der sowohl deutsche als auch Herero-Vorfahren hat, über die Haltung der Bundesrepublik Deutschland zu ihrer Kolonialvergangenheit.
Außerdem ging es darum, welche Möglichkeiten es gibt, die Erinnerung an diese Epoche in der deutschen Öffentlichkeit wachzuhalten und erlebbar zu machen. Owen Brown, Mitorganisator und Student des Masterstudiengangs Internationale Beziehungen sagt: „Dass bis heute noch unzählige Gebeine nicht in ihre Heimat zurückgeführt worden sind, zeigt, dass die Vergangenheit nie ganz abgeschlossen ist, sondern die Gegenwart beeinflusst. Wir wollen mit unserer Ausstellung ‚Manufacturing Race‘ einen Beitrag zur Aufarbeitung leisten.“
Bilgin Ayata bekräftigt: „Auch kleine Schritte können große Veränderungen bewirken. Das zeigt ein Beispiel aus unserem Seminar: Ein Teilnehmer hatte sich beim Auswärtigen Amt über einen Pressetext beschwert, in dem der Völkermord an den Herero und Nama verharmlost wurde. Das Auswärtige Amt hat tatsächlich reagiert: Die Presseinformation wurde geändert und neu veröffentlicht.“
Ausstellung „Manufacturing Race“ und Filmvorführung „Deutsch-Südwas?!“
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