Widerstand und Selbstzensur in einem gespaltenen Land
Publizistikstudierende der Freien Universität erkunden Medien und Alltag in den palästinensischen Gebieten
12.07.2013
Deutschsprachige Medien berichten häufig über den Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern, regelmäßig gibt es Schlagzeilen über Krieg und Terror. Wie aber sieht der Alltag eines Palästinensers in demTeil des Stadtzentrums von Hebron im Westjordanland aus, der von Israel kontrolliert wird? Und wie kritisch gehen israelische Journalisten mit der eigenen Regierung um? Solche weniger bekannten Facetten des Nahostkonfliktes haben 16 Studierende der Publizistik- und Kommunikationswissenschaft der Freien Universität kürzlich während einer zehntägigen Studienreise in den Nahen Osten erkundet.
Die Pressesprecherin der palästinensischen Autonomiebehörde, der Chefredakteur der renommierten israelischen Tageszeitung Haaretz, der Leiter des ARD-Studios in Tel Aviv Richard C. Schneider und die bekannte israelische Reporterin Amira Hass, die aus dem Westjordanland berichtet, sind nur einige der hochrangigen Medienvertreter, die die Delegation der Freien Universität empfingen. Geleitet wurde die Reise von Juniorprofessorin Carola Richter, deren Forschungsschwerpunkt die Medien im arabischen Raum sind. Die Studierenden hatten im Wintersemester im Rahmen ihres Master-Seminars „Der Nahostkonflikt und die Medien“ Einblick in das israelische und palästinensische Mediensystem erhalten und sich auch mit der internationalen Berichterstattung über die Krisenregion befasst.
Berichterstattung in der politischen Dauerkrise
Ein Thema der Gespräche sei die Rolle von Journalisten innerhalb der israelischen Demokratie gewesen, sagt Exkursionsteilnehmer Ingo Dachwitz. In Israel gebe es eine Zensurbehörde, der Beiträge zu militärischen oder geheimdienstlichen Themen vorgelegt werden müssen. Israelische Journalisten zeigten aber auch einen Hang zur Selbstzensur, denn eine stark regierungskritische Berichterstattung verkaufe sich nicht gut. Bei den jungen Deutschen sei nach den Gesprächen eine gewisse Ratlosigkeit zurückgeblieben. „Natürlich passt die Selbstzensur nicht zu unserem Verständnis von Pressefreiheit, andererseits kann man das Verhalten der Journalisten angesichts der politischen Dauerkrise und der ökonomischen Zwänge nachvollziehen“, sagt Dachwitz.
Wenig Bewegungfreiheit
Besonderen Eindruck hinterließ bei den Studierenden die Begegnung mit dem palästinensischen Aktivisten Hashim Al-Azza in Hebron. Im Zentrum der arabischen Altstadt leben rund 800 jüdische Siedler, die von 4000 israelischen Soldaten bewacht werden – Palästinenser haben hier wenig Bewegungsfreiheit. „Hashim Al-Azza durfte beispielsweise die Straße, die zu seinem Haus führt, nicht betreten und musste immer hinten über eine Mauer klettern“, sagt die Publizistikstudentin Amelie Hipp. Mithilfe eines belgischen Anwalts habe er sein Recht durchgesetzt, die Straße zu benutzen. „Es ist Hashims Form von Widerstand, dort zu bleiben, obwohl er im Alltag häufig Erniedrigungen hinnehmen muss,“ sagt Hipp. Der Aktivist dokumentiert seine Erlebnisse in Youtube-Videos und auf Facebook.
Gespräche mit Studenten zweier Universitäten
Auch an zwei Universitäten wurde die Delegation empfangen: In Jerusalem diskutierten die Berliner mit israelischen Studenten der Hebrew University – mit der die Freie Universität eine strategische Partnerschaft verbindet – über Forschungsprojekte. Geplant sind unter anderem eine Untersuchung der Rolle, die Social Media im israelischen und palästinensischen Bürgerjournalismus spielen, eine Inhaltsanalyse der kostenlos verteilten Zeitung Israel Hayom, die Israels Premierminister Benjamin Netanjahu nahesteht, und eine Analyse des Konzeptes von Pressefreiheit in Israel anhand von Interviews mit Journalisten. An der Birzeit University in der Nähe von Ramallah sprachen die Studierenden der Freien Universität mit palästinensischen Studenten über Probleme durch die Besatzung und die Nutzung von sozialen Medien als Kommunikationsmittel.
Ein Ergebnis der Reise: sich breiter informieren
Den palästinensischen Studierenden sei es wichtig gewesen, ihre Situation zu vermitteln, sagt Ingo Dachwitz. „Von uns wollten sie wissen, wie wir uns über den Nahostkonflikt informieren. Da mussten wir zugeben, dass wir eigentlich nur die deutschen Medien rezipieren.“ In dieser Hinsicht habe die Reise aber wohl bei vielen etwas bewirkt: „Das, was man in deutschsprachigen Medien zu hören und zu sehen bekommt, reicht einem jetzt nicht mehr. Künftig werden sich viele von uns sicherlich breiter informieren, zum Beispiel über ausländische Zeitungen oder über Blogs aus Israel und Palästina.“