„Literatur in Aktion“
Vortrag und Performance über „Hip Hop und marginale Literatur in São Paulo“ am 30. Mai am Lateinamerika-Institut
28.05.2013
Sérgio Vaz aus São Paulo gilt als einer der bedeutendsten Vertreter der „marginalen Literatur“ Brasiliens
Bildquelle: Marcelo Mino
Brasilien steht dieses Jahr besonders im kulturellen Fokus – ob als Gastland auf der Frankfurter Buchmesse oder im Rahmen des Deutschlandjahrs „2013-2014. Deutschland + Brasilien. Wo Ideen sich verbinden“, das vergangene Woche durch die brasilianische Präsidentin Dilma Rousseff und Bundespräsident Joachim Gauck in São Paulo eröffnet wurde. Aufgenommen in das offizielle Programm wurde auch das diesjährige „Schwerpunktprogramm Brasilien“ des Lateinamerika-Instituts der Freien Universität (LAI). Am Donnerstag, 30. Mai, veranstaltet das LAI einen Vortrag begleitet von einer Performance mit dem Titel „Literatur in Aktion: Hip Hop und marginale Literatur in São Paulo“. Ein Gespräch mit Professorin Susanne Klengel und Georg Wink vom LAI.
Frau Professorin Klengel, was ist unter „marginaler Literatur“ zu verstehen?
In Brasilien versteht man darunter vorrangig den gegenwärtigen Boom literarischer Werke von Autoren, die aus den sozial problematischen und von Gewalt geprägten Favelas der Metropolen stammen, insbesondere in São Paulo und Rio de Janeiro. Die Autoren machen sich selbst und ihre Erfahrungen zum Subjekt und Objekt ihres Schreibens, indem sie Themen wie Armut, Diskriminierung sowie strukturelle und direkte Gewalt behandeln.
Sie thematisieren dabei auch die Verdrängung einer Geschichte und Kultur, die sie weiterhin eng mit der historischen Erfahrung der Sklaverei verbunden sehen und die von der offiziellen Geschichtsschreibung bisher nicht berücksichtigt worden ist. Gleichzeitig verteidigen sie den Status der Literatur als revolutionäres Potenzial für ihr künstlerisches Schaffen. Die Texte – vor allem Poesie und Kurzprosa, aber auch Romane – sind stark durch mündliche Sprache und Jargon geprägt.
Worin besteht die Verbindung von Hip Hop und „marginaler Literatur“?
„Marginale Literatur“, in ihrer gegenwärtigen Ausprägung, und Hip Hop lassen sich eigentlich kaum voneinander trennen. Die Literatur erfuhr nicht nur wichtige Impulse aus der etwa zeitgleich entstandenen Hip Hop- und Rap-Szene in den Armenvierteln der brasilianischen Metropolen. Vielmehr sind viele Künstler in beiden Sparten aktiv – und darüber hinaus in Filmprojekten oder Videoclips. Die Literatur wird direkt von Rhythmik und Metrik des Hip Hop und Rap inspiriert und greift mit dem gleichen revolutionären Ausdruck aus der Perspektive der Ausgeschlossenen gesellschaftskritische Themen auf.
Was ist das Besondere an der Veranstaltung?
Im Rahmen der Vortrags-Performance werden die eingeladenen Dichter ihre Poesie rezitieren. Dabei handelt es sich nicht um eine reine Lesung, da „marginale Poesie“ die Gleichzeitigkeit von Sprache und Handlung beinhaltet, zum Beispiel durch Elemente wie Bewegung, Stimme, Körperausdruck, Raum und Improvisation. Nach der Performance ist ein ausführliches Publikumsgespräch vorgesehen.
Die Veranstaltung ist öffentlich, der Eintritt frei. Der Dichter Sérgio Vaz und die Moderatorin und Mitorganisatorin Ingrid Hapke übersetzen ins Deutsche. Die Vortrags-Performance steht im Rahmen der „Woche der marginalen Literatur: Über den (Stadt-)Rand geschrieben“, die das Berliner Netzwerk „Urban Attitude“ vom 22. bis 31. Mai in Berlin, Köln und Hamburg organisiert.
An wen richtet sich die Veranstaltung?
An alle, die sich für „marginale Literatur“ interessieren. Das literarische oder auch gegenkulturelle Phänomen ist nicht auf den brasilianischen Kontext beschränkt, sondern auch an anderen Orten und insbesondere in Berlin verbreitet – etwa unter der Bezeichnung „slam poetry“. Der brasilianische Fall ist deshalb so interessant, weil er auf eine besondere gesellschaftliche Konstellation verweist: die kulturellen Emanzipationsbewegungen der Afro-Brasilianer und die in Brasilien besonders ausgeprägten sozialen Gegensätze. Außerdem drücken sich über ihn sehr prägnant die gesellschaftliche Aufbruchsstimmung nach der Rückkehr zur Demokratie in den 1980er Jahren und die gegenwärtigen Debatten und Aktivitäten zu einer neuen inklusiven „Bürgergesellschaft“ aus.
Was macht das Lateinamerika-Institut zum Brasilien-Schwerpunkt in diesem Jahr?
Das „Schwerpunktprogramm“ wird vom Bereich Literaturen und Kulturen des LAI organisiert, doch selbstverständlich gibt es in allen Disziplinen des Instituts regelmäßig Veranstaltungen zu Brasilien. Der Bereich der Literaturen und Kulturen Lateinamerikas hat – vor allem mit Blick auf die diesjährige Frankfurter Buchmesse und das Gastland Brasilien – im Jahr 2013 einen besonderen Wert auf die Präsenz brasilianischer Themen gelegt und dazu mehrere Tagungen und Gastvorträge organisiert.
Hinzu kommt, dass die vom Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) geförderte interdisziplinäre Gastprofessur „Cátedra Sérgio Buarque de Holanda“ im aktuellen Semester von dem bekannten brasilianischen Literaturwissenschaftler Professor Dr. Márcio Seligmann-Silva von der Universidade Estadual de Campinas bekleidet wird. Er ist ausgewiesener Experte für brasilianische und vergleichende Literatur und für Fragen der Vergangenheitsaufarbeitung insbesondere des Holocausts und der lateinamerikanischen Diktaturen.
Auch im kommenden Wintersemester wird ein Literaturwissenschaftler die Professur bekleiden: Professor Dr. Gunter Pressler von der Universidade do Para, Belém. Er hat einen Schwerpunkt in der Literatur Amazoniens.
Die Fragen stellte Marina Kosmalla
Weitere Informationen
- Vortrag & Performance „Literatur in Aktion: Hip Hop und marginale Literatur in São Paulo“ (auf Portugiesisch mit Übersetzung) von Sérgio Vaz (São Paulo) und Kall do Vale (Berlin)
- Moderation: Ingrid Hapke (Univ. Hamburg / Urban Attitude Berlin)
- Donnerstag, 30. Mai, 16.00 - 18.00 Uhr
- Lateinamerika-Institut der Freien Universität Berlin, Rüdesheimer Str. 54-56, 14197 Berlin, Raum 201