Die Revolution ist noch nicht vorbei
Am 19. Juni um 19 Uhr zu Gast im Institut Français: Der tunesische Autor Abdelwahab Meddeb ist Samuel-Fischer-Gastprofessor an der Freien Universität
19.06.2012
Der tunesische Autor Abdelwahab Meddeb ist in diesem Sommersemester Samuel-Fischer-Gastprofessor am Peter-Szondi-Institut für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft der Freien Universität Berlin. Der Intellektuelle setzt sich für eine säkulare Form des Islam eins und betont die engen Beziehungen zwischen Orient und Okzident. Über die Schnittmengen von Christentum und Islam diskutiert er an der Freien Universität – und am 19. Juni im Institut Français.
Abdelwahab Meddeb klatscht in die Hände. „Revolutionen passieren nicht einfach so, nicht auf einen Schlag. Auch in Deutschland folgte auf die Revolution von 1848 eine Zeit der Verhärtung und Verkrustung. Bismarck kam und der Zweite Weltkrieg. Dieses Szenario droht jetzt auch Tunesien.“ Der Schriftsteller bittet Europa um Geduld. Der Aufbau eines neuen, modernen Staates brauche Zeit. Obwohl auch Meddeb um die Gefahren weiß, auf die das Land zusteuert – etwa um den Einfluss radikaler Islamisten, die seit den Wahlen in Tunesien die Regierungsmehrheit bilden. „Die Situation ist sehr gefährlich“, warnt er. „Es könnte sein, dass die religiösen Kräfte die Revolution an sich reißen werden.“
Arabien stehe vor einem Scheideweg. Der 1946 in Tunis geborene Schriftsteller, der unter anderem mit dem Buch „Die Krankheit des Islam“ berühmt geworden ist, ist davon überzeugt, dass jetzt der richtige Moment gekommen sei, um Tunesien in einen modernen Staat zu verwandeln. „Hier in Europa kennt man den Islam nur als radikale Religion. Doch der Islam ist mehr. Der Islam bedeutet Zivilisation und Kultur.“ Der Intellektuelle kämpft für eine Säkularisierung, wie sie auch europäische Staaten erkämpft haben: Europa, das sich von einem klerikalen hin zu einem säkularen Kontinent entwickelt hat, der sich seines religiösen Erbes durchaus bewusst bleibt. Diesen Wandel wünscht sich der Autor auch für seine Heimat.
Ein Wandel, der nicht ausgeschlossen scheint. Denn wer sich mit der arabischen Geschichte beschäftigt, wird auch im Islam auf eine Vielzahl an religiösen Stimmen treffen, die für ein tolerantes Leitbild stehen. „Der Islam ist widersprüchlich und polyphon, wie auch das Christentum. Es gibt einerseits liberale, andererseits fanatische Positionen. Erst seit der iranischen Revolution von 1979 sind die radikalen Kräfte stärker geworden.“
Wechselseitiger Einfluss von Islam und Christentum
Darauf will der Autor als Samuel-Fischer-Gastprofessor aufmerksam machen, wenn er mit Studierenden der Freien Universität arbeitet. „Ich möchte Texte von Dante mit Texten von Ibn Arabi vergleichen, einem liberalen Theologen des Islam aus dem 12. Jahrhundert. Es gibt viele ganz erstaunliche Gemeinsamkeiten.“ Die Studierenden sollen verstehen, dass der Islam Einfluss auf die europäische Kultur hatte und hat – etwa auf Schriftsteller wie Goethe oder die Philosophen der deutschen Romantik. „Diese Überschneidungen muss man sich erst bewusst machen“, sagt Abdelwahab Meddeb, der 1967 nach Frankreich ausgewandert ist.
Der Intellektuelle will an der Freien Universität auch über die Revolution in Tunesien sprechen, die er vergangenes Jahr selbst miterlebt und in seinem neuesten Buch „Printemps de Tunis“ („Frühling in Tunis“) essayistisch verarbeitet hat. „Ich habe diesen Text im Feuer der Ereignisse geschrieben, als junge Menschen auf die Straße gingen, um für ein freiheitliches Land zu kämpfen.“ Ihr Kampf sei noch nicht vorbei, sagt der Autor. Obwohl sich die Prognosen verschlechtert hätten, sei er überzeugt, dass am Ende die Demokratie siegen werde – im Namen der Vernunft.
Weitere Informationen
Lesung im Institut FrançaisAbdelwahabb Meddeb zu Gast im Institut Français
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