Und... Action!
Seit 23 Jahren ist die 84-jährige Ursula Schuster Gasthörerin an der Freien Universität – und hat es damit ins Fernsehen (rbb) geschafft
10.02.2012
Am Friedrich-Meinecke-Institut der Freien Universität, an dem sie seit über zehn Jahren studiert, fühlt sich Ursula Schuster zuhause
Bildquelle: Bernd Wannenmacher
Christian Wendt versucht stets, alle interessierten Gasthörer in seinen Seminaren unterzubringen
Bildquelle: Bernd Wannenmacher
Interessant waren die Dreharbeiten auch für Schusters Kommilitonen
Bildquelle: Bernd Wannenmacher
„Die Menschen werden immer älter, doch was fangen sie mit der zusätzlichen Zeit an?“ Das war der Gedanke, der Karin Reiss zu einer Fernseh-Dokumentation anregte. Die rbb-Reporterin traf unter anderem eine 71-jährige Stepptänzerin, einen 90-jährigen Berufsmusiker und begleitete eine 84-jährigen Gasthörerin der Freien Universität. Die Sendung mit dem Titel „Je oller, je doller: Senioren im Unruhestand“ lief in der Reihe „die rbb-reporter“.
Als ob sie das Fernsehteam durch ihr Wohnzimmer führen würde, weist Ursula Schuster dem dreiköpfigen RBB-Fernsehteam den Weg durch das Friedrich-Meinecke-Institut der Freien Universität. Nebenbei erklärt sie, wo die Cafeteria ist, seit wann das Institut in dem Gebäude untergebracht ist – und dass momentan leider der Fahrstuhl außer Betrieb sei. „Ich fühle mich hier wirklich zuhause“, sagt die 84-Jährige.
Gasthörerin seit über 40 Semestern
Angefangen hatte alles 1988. Damals besuchte Ursula Schuster als Gasthörerin ihre erste Vorlesung: am Institut für Altorientalisitk der Freien Universität. „Vier Jahre vor meinem Ruhestand habe ich angefangen, einen Ordner anzulegen mit Ideen und Tipps für Aktivitäten in dieser Zeit, damit ich am ersten Tag in Rente nicht in ein tiefes Loch falle und nicht weiß, was ich machen soll“, sagt Schuster. Damals besorgte sie sich auch ein Vorlesungsverzeichnis der Freien Universität. Und da sie sich immer schon für Geschichte interessiert hatte, begann sie mit der des Vorderen Orients.
„Für mich gilt immer die Frage: Was ist zuerst da gewesen, und was hat sich daraus entwickelt? Wir haben in der Vorlesung 900.000 vor Christus angefangen, waren bei den Babyloniern, Sumerern und Assyrern, und ich habe einfach immer weiter gemacht.“ Nach etwa 20 Semestern wechselte sie zu den Historikern, mit denen sie schließlich vor zehn Jahren gemeinsam aus der sogenannten Rost- und Silberlaube an der Habelschwerdter Allee 45 in die Koserstraße 20 umgezogen ist. Damit ist Ursula Schuster länger am Institut als die meisten der Professoren.
Gasthörer bieten einen vielfältigen Erfahrungsschatz
„Ursula Schuster hat eigentlich alles schon gehört, dadurch erkennt sie immer wieder neue Zusammenhänge“, sagt Christian Wendt, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Friedrich-Meinecke-Institut der Freien Universität. In seinem Seminar zum athenischen Autor Thukydides sitzt Schuster in diesem Semester gemeinsam mit 22 Studierenden und 10 Gasthörern.
Wendt versucht stets, alle interessierten Gasthörer in seinen Seminaren unterzubringen. „Oft sind gerade die älteren Gasthörer eine Bereicherung“, sagt der Dozent. „Es darf natürlich nicht dazu kommen, dass Gasthörer die Studierenden gewissermaßen dominieren, aber das passiert in der Regel auch nicht. Normalerweise lebt ein Seminar von ihnen, ihrem Erfahrungsschatz, ihrem Bildungshintergrund, und die Diskussion kommt durch sie häufig besser in Gang.“
„Geschichte ist kein trockenes Fach“
Bis zum 100. Geburtstag will die Berlinerin auf jeden Fall dabei bleiben. „Für mich ist Geschichte kein trockenes Fach, sondern wirklich dynamisch. Wenn ich mich mit Geschichte befasse, muss ich mich auch mit Philosophie befassen, weil ich die jeweilige Zeitströmung kennen muss. Dann muss ich wiederum Verfassungskunde machen, indem ich mich zum Beispiel mit der berühmten Verfassungsdebatte von Herodot beschäftige, in der die einzelnen Staatsformen gegeneinander abgewogen werden. Dann muss man sich die Religionen anschauen und die Naturphilosophen. Und so geht es immer weiter.“
Wie im echten Leben
Als Ursula Schuster über Bekannte von Bekannten mit Karin Reiss in Kontakt kam und von ihr gefragt wurde, ob sie bei den Dreharbeiten mitmachen wolle, war sie sofort einverstanden. Kurz darauf empfing sie die Redakteurin, den Tontechniker und den Kameramann bei sich zu Hause, um über ihren Alltag zu erzählen: über das Nordic Walking auf den Feldern, das Lesen im Wohnzimmer, das Lernen am Schreibtisch. Natürlich wurde sie auch während eines Seminars an der Freien Universität gefilmt. Ihre Kommilitonen blieben gelassen, als bei den Dreharbeiten am Institut ein großes Mikrofon über ihren Köpfen hing.
Weitere Informationen
Die Reportage „Je oller, je doller: Senioren im Unruhestand“ kann auf der rbb-Internetseite angeschaut werden.