„Gute Betreuung heißt Dialog“
Die Professorinnen Ulla Haselstein und Sabine Schmidtke werden am Montag mit dem „DRS Award for Excellent Supervision“ ausgezeichnet
02.12.2011
Promovierende aus 20 Promotionsprogrammen der Freien Universität konnten in diesem Jahr erstmals Doktormütter und -väter für besonders gute Betreuung nominieren. Dazu aufgerufen hatte die Dahlem Research School, die Dachorganisation für strukturierte Promotionsprogramme an der Freien Universität. Aus den anonymisierten Einsendungen wurden zwei Preisträgerinnen ausgewählt: Die Islamwissenschaftlerin Sabine Schmidtke und die Amerikanistin Ulla Haselstein werden im Rahmen des Festakts zum Ernst-Reuter-Tag am Montag, 5. Dezember 2011, mit der Auszeichnung geehrt. Die Veranstaltung beginnt um 17.00 Uhr im Max-Kade-Auditorium im Henry-Ford-Bau.
Frau Professorin Schmidtke, Frau Professorin Haselstein, Sie erhalten den erstmals verliehenen „DRS Award for Excellent Supervision“. Was ist für Sie bei der Arbeit mit jungen Doktoranden besonders wichtig?
Sabine Schmidtke: Es geht um die Generationenfrage: Die Promovierenden sind das Glied, das die Verbindung zur aktuellen Forschung herstellt und wissenschaftliche Kontinuität garantiert. Deshalb ist mir die Arbeit mit meinen Doktoranden besonders wichtig: Sie sind die Grundlage für die Entwicklung einer exzellenten Forschung.
Ulla Haselstein: Als Betreuerin kann man hautnah miterleben, wie eine wissenschaftliche Arbeit entsteht. Man berät und ist Zeuge dessen, wie sich im Laufe der Zeit eine konkrete Fragestellung herauskristallisiert. Das ist spannend – und auch für die eigene Forschung eine Bereicherung.
Fühlten Sie sich gut betreut, als Sie Ihren wissenschaftlichen Werdegang begannen?
Ulla Haselstein: Ich bin in Konstanz, an einer kleinen, aber sehr guten Universität promoviert worden und habe mich dort extrem gut betreut gefühlt. Es gab eine wunderbare Offenheit und Fächerdurchlässigkeit. Das prägt mich bis heute. Gegen die Einigelung einzelner Disziplinen arbeiten wir auch an der Graduate School of North American Studies am John-F.-Kennedy-Institut. Wir sind darauf aus, nicht nur das Gespräch zwischen den Studierenden und den Betreuern zu stärken, sondern auch den Dialog der Studierenden untereinander zu forcieren. Hier ergeben sich die innovativsten Fragestellungen. Meine Graduiertenschule verfolgt das Modell: Interdisziplinarität, enge Betreuung, kleine Gruppen.
Wie war es bei Ihnen, Frau Schmidtke? Sie haben ihre Karriere im Ausland begonnen.
Sabine Schmidtke: Ja, ich habe in Jerusalem und in London studiert und wurde in Oxford promoviert. Ich habe also das typische Oxford-System kennengelernt, wo ich meinen Doktorvater jede Woche gesehen und mit ihm über meine Arbeit gesprochen habe. Außerdem gab es einen institutionalisierten Druck, um die Arbeit abzuschließen. Dieses System ist mein Vorbild bei der Betreuung von Promovierenden in der Graduate School Muslim Cultures and Societies, aber auch von Doktoranden, die nicht in die Strukturen der Graduiertenschule eingebunden sind. Die Graduiertenschulen an der Freien Universität ermöglichen einen interdisziplinären Kontext, wobei ein enger Austausch natürlich auch außerhalb der Graduiertenschulen möglich ist. Der entscheidende Unterschied ist – neben dem finanziellen Aspekt – die Betreuungssituation: An unserer Graduiertenschule haben die Promovierenden eine Reihe von Ansprechpartnern. Das ist ein enormer Fortschritt.
Frau Haselstein, ist die strukturierte Promotion, beispielsweise in Graduiertenschulen, die Erfolgsgarantie für gute Betreuung?
Ulla Haselstein: Enge Betreuungsverhältnisse können auch außerhalb von Graduiertenschulen ermöglicht werden, nur erfordert das einen enormen Einsatz von Ressourcen. Momentan verlangt die Politik von uns, dass wir lehren, prüfen, betreuen, forschen und auch noch verwalten. Das kann man auf Dauer nicht leisten.
Sabine Schmidtke: Man muss sich wissenschaftspolitisch entscheiden: Wollen wir exzellente Forschung, und damit sind auch die Doktorandenprogramme sowie die systematische Förderung auf der Postdoktoranden-Ebene gemeint, oder wollen wir einen universitären Massenbetrieb mit ständig steigender Arbeitsbelastung der Professoren in Lehre, Einwerbung von Drittmitteln und Verwaltung? Beides zusammen geht nicht.
Promoviert man heute anders als etwa in den Achtzigerjahren?
Ulla Haselstein: Zu meiner Zeit hat man in der Regel während der Promotionsphase nicht publiziert. Das hat sich geändert. Heute publizieren die Promovierenden sehr viel. Wir werden in Zukunft darüber nachdenken müssen, ob das immer richtig ist. Denn ständiges Veröffentlichen kann vom Promovieren abhalten. Da müssen wir in Zukunft besser beraten, damit sich ein Gleichgewicht einstellen kann. Das Wichtigste ist immer noch die Forschungsarbeit. Und hier stellen sich die gleichen Fragen wie zu meiner Zeit als Doktorandin. Die Wichtigste dabei ist: Trägt das, was ich mache? Als Betreuerin bin ich dafür verantwortlich, auf der inhaltlichen Ebene Feedback zu geben und auf der psychologischen den Studierenden das Gefühl zu vermitteln, dass sie auf dem richtigen Weg sind.
Sabine Schmidtke: Man muss ein Gespür für die individuellen Bedürfnisse entwickeln. Jeder Doktorand ist ein völlig anderer Typus. Dadurch ist der Beratungsbedarf immer anders. Es gibt Promovierende, die gar keine Fragen stellen. Andere wiederum sind extrem gesprächsorientiert. Als Betreuerin muss ich mich auf die unterschiedlichen Persönlichkeiten einlassen – das ist das Allerwichtigste.
Was ist also der Schlüssel zu einem guten Betreuungsverhältnis?
Sabine Schmidtke: Ich versuche, den Doktoranden dabei zu unterstützen, eine eigene Forscherpersönlichkeit zu werden. Viele Dinge würde ich anders machen, als es Leute tun, die bei mir promovieren. Aber das ist ja nicht weiter schlimm. Ich will nicht meinen eigenen Zugang zu einem Thema in den Vordergrund stellen, sondern den Promovierenden dabei unterstützen, eine individuelle wissenschaftliche Perspektive zu entwickeln. Darauf kommt es an.
Ulla Haselstein: Die Betreuer müssen sich in das Projekt hineindenken. Sie müssen versuchen zu verstehen, was das Projekt ausmacht und ob das, was sie im Entstehungsprozess zu lesen bekommen, der Fragestellung wirklich gerecht wird – oder eben nicht.
Die Fragen stellte Leonard Fischl