Springe direkt zu Inhalt

Terrorberichterstattung im Fernsehen

Soziologen der Freien Universität vergleichen in einer Studie, wie in den TV-Nachrichten verschiedener Länder über Terroranschläge berichtet wird

09.09.2011

Mit dem Übertragunsgwagen live vor Ort: Auch die Anschläge vom 11. September erlebten Millionen Menschen weltweit praktisch in Echtzeit, da diese von zahlreichen Fernsehsendern direkt übertragen wurden.

Mit dem Übertragunsgwagen live vor Ort: Auch die Anschläge vom 11. September erlebten Millionen Menschen weltweit praktisch in Echtzeit, da diese von zahlreichen Fernsehsendern direkt übertragen wurden.
Bildquelle: morguefile.com

Nachrichtensendungen, die ohne Berichte über Terrorismus oder Krieg auskommen, scheint es heutzutage fast nicht mehr zu geben. Eine zwiespältige Entwicklung, denn häufig zielen die Täter terroristischer Anschläge gerade auch auf die Berichterstattung in den Massenmedien ab, um Angst und Schrecken in der Bevölkerung und bei den Regierungen auszulösen. Wissenschaftler einer Arbeitsgruppe des Exzellenzclusters „Languages of Emotion“ der Freien Universität haben erstmals die Terrorberichterstattung im Fernsehen verschiedener Länder und Weltregionen untersucht ¬– und viele Gemeinsamkeiten entdeckt.

Die Erkennungsmelodie der Abendnachrichten wird eingespielt, auf dem Bildschirm ist eine Weltkarte zu sehen, die Kamera schwenkt auf das Studio, im Hintergrund sitzen Mitarbeiter an Tickern und holen die letzten Nachrichten ein, die Kamera schwenkt auf die schick gekleideten Moderatoren, die an einem Tisch sitzen.

So oder so ähnlich werden die Nachrichtensendungen in Deutschland, Großbritannien, den USA oder dem arabischen Katar eingeleitet. „Die Formate sind enorm standardisiert“, sagt Jürgen Gerhards, Professor am Institut für Soziologie der Freien Universität, „viele Nachrichtensendungen von ARD bis CNN haben denselben Auftakt.“

Im Rahmen des Forschungsprojekts „Die massenmediale Konstruktion der Terrorismusgefahr im interkulturellen Vergleich“ haben Gerhards und sein Team die Berichterstattung über verschiedene Terroranschläge der US-amerikanischen „Evening News“ von CNN, der britischen „Ten O’Clock News“ von BBC 1, der ARD-„Tagesschau“ und von „Hasad Al Yaum“ des arabischen Senders Al Jazeera untersucht.

„Mit einem solchen Design gehen wir über die bisherige Forschung zur Terrorismusberichterstattung hinaus“, sagt Gerhards. „Diese besteht überwiegend aus Fallstudien zu einzelnen Ländern, die von nur wenigen vergleichenden Studien ergänzt werden. Zudem gehen wir, indem wir Al Jazeera einbeziehen, über den oftmals untersuchten ‚westlichen‘ Kontext hinaus.“

Globalisierung versus kulturelle Eigenheiten

Ziel der Untersuchung war es, herauszufinden, ob sich in der Berichterstattung eine globalisierte – also über alle Länder hinweg einheitliche – eine regionalisierte – also nur in einigen Ländern einheitliche – oder eine länderspezifische Darstellung von Terrorismus festmachen lässt. Dazu wurden die äußeren Merkmale der Sendungen, die Inhalte und die Darstellung von Emotionen analysiert – und erstaunlich viele Gemeinsamkeiten gefunden.

Eine globale Medienwelt

Neben dem äußeren Erscheinungsbild beobachteten Gerhards und sein Team auch bei den Inhalten eine hohe Übereinstimmung zwischen den Sendern. Die Bilder von Opfern und Tätern seien zum Teil identisch, teilweise sogar die Interviews. „Das hat mit den internationalen Presseorganisationen zu tun, mit den Institutionen, die die Bilder vermitteln und mit Verkaufsrechten. Es ist interessant zu sehen, dass die Fernsehzuschauer im Hinblick auf Terrorismus gewissermaßen in derselben medialen Welt leben.“

Bei der Darstellung von Emotionen sehe es ähnlich aus. „Egal, ob der Anschlag im jordanischen Amman, im ägyptischen Scharm El-Scheich, in Madrid oder in London stattgefunden hat, finden sich ganz ähnliche Trauerdarstellungen“, sagt Gerhards. Typische Rituale des öffentlichen Trauerns, die in Jordanien ebenso verbreitet seien wie in London oder in Ägypten, seien zum Beispiel die Beflaggung auf Halbmast, Beerdigungsszenen, eine Schweigeminute und das Niederlegen von Blumen am Anschlagsort.

Neben diesen großen Gemeinsamkeiten zwischen den Sendern gibt es aber auch Unterschiede. Zum Beispiel werden bei Al Jazeera die Täter biografisch wesentlich stärker ausgeleuchtet als bei  der BBC, CNN und in der ARD. „Wir erfahren mehr über die Hintergründe, die Motive der Täter und manchmal auch über die Familie, während die Täter in den westlichen Medien eher  holzschnittartig dargestellt werden“, sagt Gerhards.

Auch wenn mit der spezifischen Darstellung der Täter bei Al Jazeera etwas Verständnis für deren Motive erzeugt wird, dürfe man daraus nicht den Schluss ziehen, dass Terrorismus dort als legitime Art des politischen Handelns verstanden werde. Bei allen Sendern – von der ARD bis hin zu Al Jazeera – werde deutlich, dass terroristische Anschläge negativ bewertet werden.

Weltpolitisches Geschehen versus individuelle Schicksale

„Im Hinblick auf den Deutungsrahmen des Konfliktes ergibt sich interessanterweise eine ganz andere Konstellation“, sagt Soziologe Jürgen Gerhards. Hier bildeten CNN und Al Jazeera eine Gruppe: Beide interpretierten jeden Terroranschlag aus der weltpolitischen Perspektive, in der sich kriegführende Parteien gegenüberstünden: die USA mit ihrem „international war on terror“ einerseits und paramilitärische Gruppen in Form von terroristischen Gruppierungen mit Al Qaida im Hintergrund andererseits.

ARD und BBC dagegen setzten andere Akzente. „Hier werden die Tätergruppen eher als kriminelle Organisationen betrachtet, also nicht als politische Organisationen, die gegen intakte Zivilgesellschaften vorgehen“, erklärt Gerhards. Die Sender setzten den Fokus stärker auf das menschliche Leid, auf individuelle Schicksale und die gesellschaftlichen Folgen.

Mit dem Forschungsprojekt wendet sich die Gruppe um Gerhards einem hochaktuellen Thema zu – in wenigen Tagen jähren sich die Anschläge vom 11. September in den USA zum zehnten Mal. „Die Arbeit war kompliziert, weil Fernsehanalysen sehr aufwändig sind“, sagt Gerhards. „Die einzelnen Sendungen müssen sehr oft und sehr genau angesehen werden, um auch kleine Nuancen festzustellen, die entscheidende Unterschiede belegen.“

Die gesamte Studie mit Ergebnissen ist in dem Buch „Terrorismus im Fernsehen“ zusammengefasst, dass kürzlich im VS Verlag erschienen ist.