„Dankeschön, vielleicht hilft es ja gegen meine Bauchschmerzen“
Marie Gronwald ist Studentin, Journalistin, Autorin – und seit ihrer Geburt spastisch gelähmt
27.11.2009
Dass sie studieren würde, war für Marie Gronwald immer selbstverständlich: „Ich kann alles tun, was andere auch tun – nur in einem anderen Tempo und manchmal auf etwas andere Weise.“ Vor fünf Jahren begann sie ihr Bachelor-Studium in Deutscher Philologie und Philosophie an der Freien Universität. Momentan schreibt sie an ihrer Abschlussarbeit, nebenbei an zahlreichen Kurzgeschichten. In diesem Jahr veröffentlichte die 27-Jährige ihr erstes Buch: „Der schöne Schein des Lächelns“.
Ein Team von zehn Assistenten steht der Studentin in ihrem privaten und Uni-Alltag zur Seite. Sie helfen ihr beim Ankleiden, Trinken und Essen, gehen einkaufen und schreiben für sie mit. Seit ihrer Geburt ist Marie Gronwald spastisch gelähmt: Sie sitzt im Rollstuhl, ihre Arme und Beine kann sie nicht bewegen. Ihre Gedanken aber sind sehr beweglich: „Ich habe immer Bilder im Kopf, die ich in Sprache umwandle, es ist ein bisschen wie im Film“, sagt sie lächelnd.
Alltag und Phantasie zu Papier bringen
Schreiben ist Marie Gronwalds größte Leidenschaft: Weil sie es langweilig findet, nur über sich selbst zu schreiben, denkt sie sich auch gern Geschichten aus. Angefangen hat sie mit sieben Jahren. Sie schrieb eine kurze Geschichte über eine kleine Hexe, die nicht richtig zaubern kann. Momentan arbeitet sie an einem Erzählband über „Starke Frauen“. Wenn Marie Gronwald nicht schreibt, geht sie gern mit Freunden ins Kino, liest Geschichten von anderen Autoren oder schaut sich in Modeläden um. Manchmal passieren ihr dann seltsame Dinge.
„Es gibt Begegnungen, die mich einfach verdutzen“, sagt die 27-Jährige. „Ärgern“ will sie in diesem Zusammenhang nicht sagen. Dazu sei sie manchmal zu erstaunt, sagt: „Auf dem Weg zur Uni hat mich mal eine Frau angesprochen, die mich gesundbeten wollte – ich denke, sie war in einer Sekte“, erzählt Gronwald. „So etwas ist schon verletzend, aber ich versuche, es mit Humor zu nehmen und dann etwas zu sagen wie: Dankeschön, vielleicht hilft es ja gegen meine Bauchschmerzen.“ Solche Erlebnisse fasst Marie Gronwald dann in Kurzgeschichten zusammen.
Tabu-Themen gibt es nicht
Mit ihrem pfiffigen und selbstbewussten Charakter fällt Marie Gronwald in der Öffentlichkeit auf: Kürzlich drehte der Mitteldeutsche Rundfunk eine Dokumentation über die Studentin und Autorin, die im Frühjahr 2010 ausgestrahlt werden soll. „Ich freue mich über das Interesse an meiner Person“, sagt Gronwald, „aber ich sehe mich nicht als eine Stellvertreterin für alle Behinderten.“ Sie hofft, ein breites Medieninteresse trägt dazu bei, dass Behinderung in der Gesellschaft als etwas Normaleres akzeptiert wird.
Für die 27-Jährige gibt es keine Tabu-Themen. „Man muss ganz offen sprechen, denn Unsicherheit ist das größte Problem der Gesellschaft im Umgang mit Behinderten.“ Ein Mensch im Rollstuhl, der auf Hilfe angewiesen ist, sei für viele Menschen schwer zu ertragen, weil sie den Behinderten in einem Zustand sehen, in den sie selbst nicht kommen wollen, meint Gronwald. „In einer Gesellschaft, in der alle fit und wunderschön sein wollen, in der alles easy sein soll – da weckt jemand wie ich Ängste oder eben Neugier.“
„Ich verstehe gar nicht, dass viele Menschen denken, dass man im Rollstuhl automatisch unglücklich ist“, sagt die 27-Jährige, „ich bin genauso mal glücklich und mal unglücklich wie andere Menschen auch – ich mache das gar nicht so sehr von meinem Rollstuhl abhängig.“