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Auf der Spur der tödlichen Taumelkrankheit

Das neuartige Rustrelavirus verursacht schwere Hirnhautentzündungen bei Hauskatzen, wie eine Studie unter Beteiligung von Veterinären der Freien Universität ergab

20.04.2023

Gefährlicher Jagdgenuss: Wissenschaftler vermuten, dass Katzen sich über infizierte Mäuse mit dem Rustrelavirus anstecken können.

Gefährlicher Jagdgenuss: Wissenschaftler vermuten, dass Katzen sich über infizierte Mäuse mit dem Rustrelavirus anstecken können.
Bildquelle: pexels-pixabay

Mal ist es ein Löwe aus dem Zoo, mal eine Katze mit „Freigänger-Status“. Hin und wieder wird ein Tier mit seltsamen neurologischen Symptomen in eine Klinik gebracht: taumeliger Gang, Wesensveränderungen, Starrezustand. Eine Therapie gibt es nicht, und die Tiere müssen in der Regel eingeschläfert werden. „Bei der Autopsie sehen wir dann Gehirnläsionen, die zum Bild einer nichteitrigen Hirnhautentzündung passen“, erklärt der promovierte Fachtierarzt Lars Mundhenk vom Institut für Tierpathologie der Freien Universität Berlin. Eine Berliner Hauskatze und ein Rotnackenwallaby – eine Känguruart – aus einem Brandenburger Tierpark hatte es auch getroffen.

Das Hirngewebe der Katze sowie das von 27 Artgenossen mit gleichen Symptomen aus Deutschland, Schweden und Österreich wurde unter Federführung des Friedrich-Loeffler-Instituts (FLI), dem Bundesforschungsinstitut für Tiergesundheit, eingehend untersucht. Das Ergebnis überraschte Mundhenk. „Auslöser waren nicht Borna-Viren, die wir bei ähnlichen Erkrankungen von Pferd, Alpaka und Schaf finden, sondern das neuartige Rustrelavirus“, sagt der Pathologe. In 27 der 29 Proben wurde RusV nachgewiesen.

Erst 2020 wurde RusV entdeckt

Die sogenannte Taumelkrankheit – die englische Bezeichnung lautet „Staggering Disease“ – wurde bei Katzen erstmals in den 1970er-Jahren in Schweden beobachtet, später auch in Österreich. Die Ursache war jedoch unbekannt. Das Rustrelavirus selbst wurde erst 2020 bei Zootieren in Norddeutschland entdeckt, die an tödlich verlaufenden Hirnhautentzündungen gelitten hatten. Bei Gelbhalsmäusen wurde das Virus ebenfalls gefunden.

RusV gehört zu den Rubiviren. Lange war nur ein einziger Vertreter dieser Familie bekannt – das Rubellavirus (RuV), das beim Menschen Röteln auslöst. Nachdem noch ein drittes verwandtes Virus bei Tieren entdeckt worden war – das Ruhuguvirus (RuhV), nachgewiesen bei Zyklopen-Rundblattnasenfledermäusen in Uganda –, lässt sich vermuten, dass das Rötelvirus ebenfalls tierischen Ursprungs sein könnte.

Ob Rustrela zoonotisches Potenzial hat, also vom Tier auf den Menschen überspringen und auch hier Hirnhautentzündungen auslösen kann, ist Gegenstand der aktuellen Forschung am Friedrich-Loeffler-Institut. Klar ist: Alle drei Viren sind genetisch eng verwandt.

Der Übertragungsweg ist unklar

Die Studie zeigte auch, dass das Virus in Europa sehr viel weiter verbreitet ist als bisher angenommen. „Der genaue Infektionsweg ist noch unbekannt, aber wir vermuten, dass sich die Katzen bei der Mäusejagd infiziert haben“, erläutert Mundhenk. „Gelbhalsmäuse sind in Deutschland wohl die Überträger. Die Nager selbst erkranken anscheinend nicht.“

Für den Wissenschaftler der Freien Universität geht nun die Arbeit erst richtig los. Im Archiv der Veterinärmedizin lagern unzählige Gewebeproben von Tieren, die an einer nichteitrigen Enzephalitis unklarer Genese erkrankt waren; die Proben sind luftdicht eingeschlossen in Paraffinblöcke. „Wir wollen nun retrospektiv untersuchen, in wie vielen Fällen und bei welchen Spezies wir das Rustrela-Virus noch finden. Und wann wir im Nachhinein das erste Auftreten nachweisen können“, erklärt Lars Mundhenk. Proben von 160 Tierarten sollen dazu analysiert werden – neben Gewebeproben von Katzen unter anderem auch die von Hunden, Schweinen, Rindern, Schafen, Ziegen und Waschbären.

Soweit bisher bekannt, ist die RusV-Infektion auf das Gehirn beschränkt. Doch es gibt viele offene Fragen, da die Übertragungswege völlig unklar sind. Die Forschenden wollen deshalb untersuchen, ob sie das Virus auch in anderen Organen und Geweben finden. „Ließe es sich im Magen-Darm-Trakt nachweisen, könnte das bedeuten, dass es auch ausgeschieden und über den Kot von anderen Tieren aufgenommen werden kann“, sagt Mundhenk. Das verwandte Rötelvirus wird via Tröpfcheninfektion übertragen. Also wird auch Nasengewebe, soweit vorhanden, unter dem Mikroskop liegen.

Zudem gilt es auch die „Kochschen Postulate“ zu erfüllen: „Das Virus muss aus einem Tier isoliert und dann einem anderen injiziert werden. Erst wenn beide die gleichen Symptome zeigen, ist bewiesen, dass der Erreger tatsächlich der Auslöser der Erkrankung ist“, fasst Lars Mundhenk zusammen.

Das Virus trifft eher Freigänger

Derzeit sieht es so aus, als trete die Krankheit nur sporadisch auf. Alle betroffenen Katzen waren Freigänger. Die Berliner Mieze hatte vermutlich einfach Pech, dass sie eine infizierte Maus gefressen hatte. Artgenossen, die nur im Haus leben, sind wahrscheinlich nicht gefährdet. Lars Mundhenk sieht auch keine Anhaltspunkte dafür, dass sich Tiere in Mehr-Katzen-Haushalten gegenseitig anstecken. Bei den Freigängern lässt sich eine Infektion jedoch nicht zu hundert Prozent verhindern. Vorbeugung wäre nur durch eine umfassende „Schadnager-Bekämpfung“ möglich. Das sei aber unrealistisch, sagt der Pathologe.

Ob das Rustrelavirus auf den Menschen übertragbar ist und eine Gefahr für diesen darstellen könnte, ist noch unbekannt. Ebenfalls ist noch unklar, ob mit der gegen das verwandte Rötelvirus verfügbaren Impfung eine Kreuzimmunität erreicht werden kann.

Dieser Artikel ist am 23.04.2023 in der Tagesspiegel-Beilage der Freien Universität Berlin erschienen.

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