„Wir brauchen Hoffnung in der Krise, um sie zu überwinden“
4 x Wissen, das Hoffnung macht / Teil 1: der Hoffnungsforscher
26.11.2022
Krieg, Klimawandel, Corona, steigende Inflation: Wir leben in einer von Krisen geprägten Zeit, negative Nachrichten beeinflussen unseren Alltag. Doch es ist nicht alles so düster, wie es scheint – in campus.leben stellen wir in der Adventszeit vier Forschungsthemen vor, die Hoffnung machen. Den Anfang macht Andreas Krafft: Der promovierte Sozialpsychologe ist Lehrbeauftragter des Masterstudiengangs „Zukunftsforschung“ an der Freien Universität und der Universität St. Gallen. Er veröffentlicht mit dem „Hoffnungsbarometer“ eine jährliche Studie, die aufzeigt, wie hoffnungsvoll Menschen weltweit in die Zukunft blicken. campus.leben sprach mit dem Wissenschaftler über Hoffnung in Krisenzeiten.
Herr Krafft, wie definieren Sie Hoffnung?
Hoffnung ist zuallererst ein Herzenswunsch. Verbunden damit ist der Glaube, dass die Erfüllung dieses Wunsches zwar möglich, aber nicht unbedingt wahrscheinlich sein muss. Hoffnung ist verknüpft mit dem Bewusstsein, dass es Hindernisse gibt, die die Situation erschweren. Gleichzeitig vertraue ich als hoffender Mensch darauf, dass ich selbst, andere Menschen oder Institutionen den Willen und Fähigkeiten besitzen, um meinen Wunsch zu erfüllen.
Die „Hoffnungsforschung“ ist eine Disziplin der „Positiven Psychologie“. Was genau ist das?
Die Psychologie beschäftigt sich hauptsächlich mit psychischen Erkrankungen und deren Heilung. Die „Positive Psychologie“, die es als Disziplin seit etwa 20 Jahren gibt, beschäftigt sich mit den positiven Aspekten, die einem Menschen helfen, ein erfülltes Leben zu führen – also beispielsweise Vertrauen, Geborgenheit, Hoffnung und Glück.
Was unterscheidet Hoffnung von Optimismus?
Der Optimist würde sagen: „Macht euch keine Sorgen, alles wird gut“. Das kann sehr gefährlich sein. Denn wenn wir davon ausgehen, dass alles gut wird, besteht keine Notwendigkeit, dass wir etwas für oder gegen eine Sache unternehmen.
Als hoffender Mensch hingegen bin ich mir der schwierigen Lage bewusst und weiß, dass es nicht einfach sein wird, etwas zu verändern. Ich glaube und vertraue jedoch darauf, dass sich etwas tun lässt, um die Situation zu verbessern.
Im Moment ist Frieden ein Herzenswunsch vieler Menschen. Warum ist Hoffnung in Krisenzeiten wichtig?
Hoffnung ist in Krisenzeiten nicht nur wichtig – sie ist die Konsequenz, die aus einer Krise folgt. Ohne Krise hätten wir weder die Notwendigkeit noch die Möglichkeit zu hoffen: Nur weil Krieg ist, erhoffe ich mir Frieden. Und während der Corona-Pandemie hoffen Menschen auf Gesundheit.
Hoffnung in einer Krise ist genau das, was wir brauchen, um sie zu überwinden. Der griechische Begriff krisi lässt sich mit „Wendepunkt“ übersetzen: Der Punkt, an dem es entweder nach unten oder nach oben gehen kann. Hoffnung gibt Kraft, aus dieser Krise herauszukommen. Denn Hoffnung führt zu Taten. Hoffnungslosigkeit hingegen ist gleichzusetzen mit Aufgeben.
Die Hoffnung in diesen schwierigen Zeiten aufzugeben, scheint demnach keine Option zu sein ...
Zur Hoffnung gehören immer auch Engagement und Geduld. Die großen Herausforderungen unserer Zeit – dazu zähle ich etwa den Klimawandel, Frieden und Wohlstand – sind keine Umstände, die von heute auf morgen verändert werden können. Da brauchen wir einen langen Atem. Das haben schon große Hoffnungsträger wie Martin Luther King oder Nelson Mandela bewiesen, die jahrzehntelang für ein Ziel gekämpft haben. Hoffnung ist also die Grundhaltung, vor gegebenen Problemen und Krisen nicht zu kapitulieren, sondern sich diesen zu stellen, um etwas zu verbessern.
Zudem hat uns die Vergangenheit gezeigt, dass keine Krise ewig dauert und dass jeder Einzelne von uns sowie die Menschheit als Ganzes immer wieder in der Lage war, Krisen zu bewältigen. Krisen gehören zum Leben. Und sie sind eine enorme Chance, um zu lernen und sich weiterzuentwickeln.
Die aktuelle negative Nachrichtenflut überfordert dennoch viele Menschen.
Zum Glück erlebt ein Großteil der Menschen immer noch mehr positive als negative Dinge im Leben. Wir besitzen jedoch einen sogenannten Negativitätsbias: Damit wird das sozialpsychologische Phänomen beschrieben, dass sich negative Gefühle, Gedanken oder Erlebnisse psychisch stärker bei uns auswirken als positive oder neutrale.
Entwicklungspsychologisch ergibt das durchaus Sinn: Wir haben uns schon immer mehr auf das Negative konzentriert, weil wir darauf reagieren mussten. Diese Negativtendenz hat uns geholfen zu überleben. Es war wichtiger zu wissen, wo Gefahren lauerten, als sich positive Erlebnisse zu merken.
Dieses Phänomen hat uns aber nicht dabei geholfen, uns weiterzuentwickeln. Die Menschheit hat sich vor allem durch konstruktive Taten und positive Emotionen zum Besseren verändert. Diese Gabe, sich über das reine Überleben hinaus weiter zu entfalten, unterscheidet den Menschen vom Tier. Eine solche Entwicklung ist allerdings nur möglich, wenn wir uns nicht nur auf das Negative, sondern bewusst auch auf das Positive fokussieren. Die Weihnachtszeit ist dafür besonders geeignet.
Die Fragen stellte Melanie Hansen