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Pionierinnen der Intersektionalität

Die afrobrasilianische Philosophin Djamila Ribeiro sprach in der „Berlin Southern Theory Lecture“ über die Leerstellen der „democracia racial“ und den Mythos der bunt-fröhlichen post-ethnischen Koexistenz in Brasilien

15.12.2021

In der dritten Southern Theory Lecture spürte die Philosophin, Schriftstellerin und Aktivistin Djamila Ribeiro verschiedenen Mythen über die brasilianische Gesellschaft nach.

In der dritten Southern Theory Lecture spürte die Philosophin, Schriftstellerin und Aktivistin Djamila Ribeiro verschiedenen Mythen über die brasilianische Gesellschaft nach.
Bildquelle: Flavio Teperman

Djamila Ribeiro ist eine Frau, sie ist Brasilianerin, und sie ist Schwarz. Wie war es für sie, Philosophie zu studieren? „Ein Philosophiestudium in Brasilien bedeutet, sieben Jahre Texte von weißen Männern aus Europa zu lesen“, sagt sie. Es ist wohl keine Untertreibung zu sagen: Djamila Ribeiro will genau das ändern.

Ribeiro ist Philosophin, Schriftstellerin und Aktivistin, derzeit unterrichtet sie an der Pontifícia Universidade Católica de São Paulo und ist Fellow an der Johannes Gutenberg-Universität in Mainz. Auf Einladung des Instituts für Sozial- und Kulturanthropologie der Freien Universität Berlin und des Leibniz-Zentrums Moderner Orient (ZMO) hielt Djamila Ribeiro am 9. Dezember die diesjährige „Berlin Southern Theory Lecture“. Ihr Thema: „Myths around Brazilian Racism: A view through the lens of Black feminist theory“.

Verzerrtes Selbstbild der brasilianischen Gesellschaft

Verschiedenen Mythen über die brasilianische Gesellschaft spürte sie dabei nach: Etwa jenem Gründungsmythos des modernen Brasiliens, der behauptet, dass es im Land keinen Rassismus mehr gebe, obwohl die Wirtschaft über Jahrhunderte auf der Sklaverei gründete. Weil auch verschiedene ethnische Gruppen nicht mehr existierten, kein Weiß und kein Schwarz, sondern nur noch „mestizos“: Wo keine „race“, da kein Rassismus.

Ribeiro wählte für dieses verzerrte Selbstbild der brasilianischen Gesellschaft eine Szene, in der weiße und Schwarze Männer an einem Tisch einander zuprosten, während die Schwarze Frau um sie herum Samba tanzt. Alles harmonisch? Nicht, wenn man, wie Ribeiro, die Perspektive der Schwarzen Feministinnen einnimmt.

Die Tänzerin weiß um die Geschichte der Gewalt, die dieses Bild verdecken soll. Und sie weiß um die strukturelle Gewalt, die dazu führt, dass sie nach dem Tanz zurück an ihre Arbeitsstelle gehen muss: Als Dienstmädchen in den Haushalten der Reichen. Als Kindermädchen, um sich um den Nachwuchs der Oberklasse zu kümmern.

Vermeintliche Harmonie

Die Denkerinnen, in deren Nachfolge Ribeiro sich stellt, sind afrobrasilianische Feministinnen wie Lélia Gonzalez (1935-1994) oder Sueli Carneiro (*1950). Gonzalez etwa habe den Mythos der „mãe preta“, der Schwarzen Mutter, aus afrofeministischer Perspektive gedeutet. Ein weiteres Bild, das vermeintliche Harmonie zeigt: Die Schwarze Frau, die das weiße Kind ihrer Herren stillt, ein weiterer brasilianischer Ursprungsmythos. Gonzalez verweist aber nicht nur auf die Realität, die er verdeckt: Nämlich den Umstand, dass es Sklavinnen waren, die, sobald sie selbst ein Kind gebaren, auch den Kindern ihrer Besitzer als Ammen dienen mussten. Sondern auch darauf, dass das nicht die ganze Geschichte ist. Denn anstatt nur Opfer zu sein, haben die „Schwarzen Mütter“ auch gehandelt: indem sie ihre eigene afrobrasilianische Kultur an ihre Schützlinge weitergegeben haben. Sie haben ihre Sprache, das „Pretuguês“, geteilt, mit dem sie das Portugiesisch der Kolonialisten „afrikanisierten“.

Während ihres Philosophiestudiums, sagt Ribeiro, habe sie danach gefragt, ob es neben den kanonisierten Männern aus Europa nicht auch Frauen gegeben habe? Philosophinnen? Die hätten nichts von Bedeutung gedacht, beschied man ihr. Und afrikanische Philosophie? Ebenfalls Fehlanzeige, Derartiges sei nicht bekannt. Djamila Ribeiro arbeitet daran, ihre alten Professoren zu widerlegen.

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