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„Dante fordert uns heraus“

Online-Vorlesungsreihe, nächster Termin: 14. Juni – Interview mit Romanistikprofessor Bernhard Huß anlässlich des 700. Todestages des italienischen Schriftstellers und Philosophen Dante Alighieri

10.06.2021

Vor 700 Jahren gestorben und kein bisschen vergessen: der italienische Nationaldichter Dante Alighieri auf einem Gemälde von Sandro Botticelli

Vor 700 Jahren gestorben und kein bisschen vergessen: der italienische Nationaldichter Dante Alighieri auf einem Gemälde von Sandro Botticelli
Bildquelle: Wikipedia

Ravenna, Italien, 14. September 1321: Dante Alighieri stirbt – aus seiner Heimatstadt Florenz vertrieben – im Alter von 56 Jahren im Exil. Er gilt heute als einer der bedeutendsten Schriftsteller Italiens, dessen Einfluss weit über die Grenzen des Landes reicht. Anlässlich seines 700. Todesjahres veranstaltet das Italienzentrum der Freien Universität in Kooperation mit dem italienischen Kulturinstitut Berlin eine Online-Vorlesungsreihe; der nächste Termin findet am 14. Juni statt, es spricht der Literaturprofessor Marcello Ciccuto aus Pisa, Präsident der italienischen Dante-Gesellschaft, über die von Gott in Form von Reliefs geschaffene Kunst und Dantes Dichtung im „Purgatorio“. Romanistikprofessor Bernhard Huß, der die Reihe konzipiert hat, erläutert im Interview, was Dante Alighieri für die heutige Zeit so besonders macht.

Herr Professor Huß, womit befassen Sie sich in der Veranstaltungsreihe „Salire al Paradiso“?

Wir behandeln den zweiten Teil von Dantes Göttlicher Komödie, das „Purgatorio“, den sogenannten Läuterungsberg. Der Protagonist namens Dante besteigt den Berg, auf dessen Spitze ihn das irdische Paradies erwartet. Auf dem Weg nach oben muss er sieben Zonen überwinden, in denen er seine Sünden – zum Beispiel Wollust – bereuen und aufarbeiten muss. Nur wer alle sieben Bereiche passiert, gelangt ins irdische Paradies und von dort aus später auch in den Himmel zu Gott.

Romanistikprofessor Bernhard Huß: „Dantes Vorstellungen von Werten und Moral sind für die Gegenwart relevant.“

Romanistikprofessor Bernhard Huß: „Dantes Vorstellungen von Werten und Moral sind für die Gegenwart relevant.“
Bildquelle: privat

In den Sitzungen nehme ich mir einzelne Gesänge aus dem „Purgatorio“ vor, die ich mit einem Gast und den Teilnehmerinnen und Teilnehmern interpretiere. Bei der nächsten Veranstaltung am 14. Juni spricht Professor Marcello Ciccuto von der Universität Pisa über Gott als Künstler. Auf dem Läuterungsberg gibt es einen Bereich, in dem Gott Kunstwerke erschaffen hat. Dante setzt diese in Bezug zur Kunst der Menschen und seinem eigenen Schaffen.

Das Interesse an Dante Alighieri ist auch in der heutigen Zeit groß. Deshalb bin ich sehr glücklich darüber, dass wir in seinem 700. Todesjahr gemeinsam mit dem italienischen Kulturinstitut Berlin, einem langjährigen Partner des Italienzentrums, diese Veranstaltungsreihe durchführen können.

Wie aktuell sind Dantes Werke heute?

Sehr aktuell! Der vielleicht spannendste Punkt ist, dass Dante in der „Commedia“, also der Göttlichen Komödie, ein Wertesystem erschaffen hat, anhand dessen er seine Mitmenschen bewertet. Er beschäftigt sich intensiv mit ethisch-moralischen Vorstellungen.

Die Corona-Pandemie hat viele soziale Ungleichheiten aufgedeckt, die wir zuvor nicht wahrgenommen haben. Ich glaube deshalb, dass wir zukünftig verstärkt über Moral und Werte debattieren werden. Dantes Ausführungen über die Hölle und das Paradies fordern uns heraus, unsere Vorstellungen von „gut“ und „böse“ neu zu betrachten und darüber nachzudenken, was eine menschliche Gemeinschaft und die Verantwortung füreinander bedeuten.

Außerdem beschäftigte sich Dante auch mit politischen Fragen. In seiner Schrift „De Monarchia libri tres“ (dt. „Drei Bücher über die Monarchie“) setzt er sich mit dem Verhältnis von kaiserlicher Monarchie und Kirche auseinander. Er plädiert für eine deutliche Trennung staatlicher und kirchlicher Institutionen. Für uns Leserinnen und Leser des 21. Jahrhunderts ist das eine durchaus interessante und bedeutsame Betrachtung.

Ist Dante für Italien das, was Goethe für Deutschland ist?

Ja und nein. Sowohl Dante als auch Goethe haben den Stellenwert eines Nationaldichters. Beide sind von zentraler Bedeutung für die Kultur ihres Landes. Im Fall Dantes hat das auch eine wissenschaftliche Dimension: Er gilt als einer der ersten vergleichenden Sprachwissenschaftler sowie als theoretischer und praktischer Mitbegründer des Italienischen als Alltagssprache und als Sprache der Literatur.

Ich denke aber, dass Dante für die italienische Gesellschaft eine Funktion hat, die wir in Deutschland nicht ohne Weiteres nachvollziehen können. Das hängt mit historischen Umständen zusammen.

So gab es seit Dantes Tod im Jahr 1321 immer wieder Versuche, sein Schaffen für eigene – oft politische – Zwecke zu vereinnahmen. Im 19. Jahrhundert etwa, als Italien begann, sich zu einem Nationalstaat zu entwickeln, diente Dantes Werk als Anknüpfungspunkt für nationale Ideen.

Heutzutage wird diese Nationalisierung deutlich anhand von Porträts, die Dante in den Nationalfarben Italiens grün, weiß, rot darstellen sowie durch Übertragungen von Dante-Lesungen in den öffentlich-rechtlichen Medien.

Hinzukommt, dass das italienische Schulsystem sehr traditionell ausgerichtet ist. Jedes Schulkind muss irgendwann einmal ein Werk von Dante lesen. Hierzulande ist das anders. Man kann im Deutschunterricht Goethes „Faust“ lesen, aber man muss es nicht mehr. Solch eine distanzierte Haltung gegenüber einem Nationaldichter wäre in Italien unvorstellbar.

Die Fragen stellte Anne Stiller

Weitere Informationen

Online-Vortragsreihe „Salire al Paradiso“