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Die ironisch-monumentale Republik

Am 2. Mai jährt sich die Schlüsselübergabe des Bundeskanzleramts in Berlin zum 20. Mal. Christian Freigang und Paul Nolte erörtern die Frage, ob sich die Architektur der Berliner Republik bewährt hat

26.04.2021

Das Bundeskanzleramt im vergangenen Frühjahr. Wer nach Gerhard Schröder und Angela Merkel dort als Nächste oder Nächster einziehen wird, entscheiden die Wählerinnen und Wähler bei der Bundestagswahl am 26. September.

Das Bundeskanzleramt im vergangenen Frühjahr. Wer nach Gerhard Schröder und Angela Merkel dort als Nächste oder Nächster einziehen wird, entscheiden die Wählerinnen und Wähler bei der Bundestagswahl am 26. September.
Bildquelle: picture alliance / SULUPRESS.DE

Als im Jahr 1990 die beiden Hälften des geteilten Deutschlands beschlossen, wieder eins zu werden, schuf dies zugleich eine beispiellose Herausforderung. Da Berlin von Neuem Hauptstadt sein sollte, ergab sich die Notwendigkeit – und die seltene Chance –, die repräsentative Architektur eines Staates von Grund auf neu zu entwerfen und zu erschaffen.

Der monumentale Bau ist heute ein vertrauter Anblick

20 Jahre später ist Normalität geworden, was damals noch in den Sternen stand: Wenn in den Fernsehnachrichten das Bundeskanzleramt eingeblendet wird, ein monumentaler Bau aus weißem Sichtbeton und Glas, halb sich mächtig auftürmend, halb sich rundend und von Efeu bewachsen, dann wissen die Zuschauerinnen und Zuschauer: Na klar, jetzt ist von der Exekutive die Rede! Die Architektur des Gebäudes selbst aber und des ganzen Ensembles rundherum nehmen nur die Wenigsten noch bewusst wahr, so vertraut ist sie geworden.

Spötter meinen, es sehe aus wie eine gigantische Waschmaschine: das neue Bundeskanzleramt von Charlotte Frank und Axel Schultes entworfen und am 2. Mai 2001 von SPD-Bundeskanzler Gerhard Schröder bezogen. Hat sich die Architektur der Berliner Republik, deren Herzstück es ist, bewährt? Und wie altert eigentlich ein Kanzleramt, eben noch neu und jetzt schon 20 Jahre lang in Gebrauch?

Wo soll das politische Herz der neuen Haupstadt schlagen?

Für den Architekturhistoriker Christian Freigang trägt die architektonische Antwort auf die Herausforderung der Wiedervereinigung noch heute. Die Fragen damals, Anfang der 1990er Jahre, seien ja mehrere gewesen: Soll man in Berlin einen neuen, zentralen Regierungsbezirk bauen oder eher über die Stadt oder gar die Republik verteilt? Soll man überhaupt neu bauen oder eher bestehende, möglicherweise historisch kontaminierte Gebäude umnutzen? Schließlich: Wo genau soll das politische Herz der neuen Hauptstadt entstehen, wie soll es sich einfügen in eine Stadt, in der wilhelminische Architektur neben Bauten aus dem Dritten Reich und der DDR steht?

Der Ost-West-Riegel aus Kanzleramt, Paul-Löbe-Haus und Marie-Elisabeth-Lüders-Haus verbindet die ehemals getrennten Teile Berlins und Deutschlands. Ein Erweiterungsbau des Kanzleramts über die Spree ist geplant, wegen der Kosten aber umstritten.

Der Ost-West-Riegel aus Kanzleramt, Paul-Löbe-Haus und Marie-Elisabeth-Lüders-Haus verbindet die ehemals getrennten Teile Berlins und Deutschlands. Ein Erweiterungsbau des Kanzleramts über die Spree ist geplant, wegen der Kosten aber umstritten.
Bildquelle: picture alliance / ZB/euroluftbild.de

Die Ost-West-Achse als Symbol der Wiedervereinigung

Die komplexe Antwort auf diese Fragen ist das „Band des Bundes“. Es ist die Gewinneridee des während der Amtszeit von CDU-Kanzler Helmut Kohl ausgeschriebenen städtebaulichen Ideenwettbewerbs Spreebogen von Axel Schultes und Charlotte Frank. Sie entwarfen ein langes Band, an dem das Bundeskanzleramt und die Bundestagsgebäude Paul-Löbe-Haus und Marie-Elisabeth-Lüders-Haus – beide von Stephan Braunfels entworfen – sich reihen.

Das Band des Bundes verschiebt den Regierungsschwerpunkt der Stadt nach Westen hin und bindet wie eine Klammer die ehemals getrennten Teile Berlins wie Deutschlands zusammen. „Aus dem Zusammenspiel von Helmut Kohls Wunsch nach einer kraftvollen architektonischen Repräsentation und einer postmodernen Architektur ist eine Gesamtlösung entstanden, die durch ihre Vielschichtigkeit überzeugt“, erläutert Christian Freigang: weil sie an die demokratische Architektur der Weimarer Republik anknüpfe, weil sie als gerader Riegel sich von der mäandernden Spree zweimal umwickeln lasse.

Außerdem greife sie mit ihrer Ost-West-Achse nicht nur die Wiedervereinigung symbolisch auf, sondern durchkreuze auch die Hitler’sche Nord-Süd- Achse, die von Albert Speer als Teil einer „Reichshauptstadt Germania“ in demselben Bereich zwischen Tiergarten und Moabit geplant war.

Architekturhistoriker: Professor Christian Freigang vom Kunsthistorischen Institut der Freien Universität Berlin.

Architekturhistoriker: Professor Christian Freigang vom Kunsthistorischen Institut der Freien Universität Berlin.
Bildquelle: Bernd Wannenmacher

Architektur, Macht und Ironie

Christian Freigang kann vor allem auch dem Bundeskanzleramt architektonisch einiges abgewinnen: Es sei ein imposanter Bau, „dessen Größe aber von Schultes und Frank auf vielfältige und intelligente Weise gebrochen wurde“, indem eine Architektur der Macht fast ironisch interpretiert werde: „Es ist eine Dreiflügelanlage mit einem Ehrenhof, fast wie bei einem barocken Schloss. Aber über dem Hof thront kein imposanter Balkon oder großer Giebel, sondern ein luftiges Segel. Das Machtmotiv ist da, aber es ist ins Leichte und Ephemere überführt.“

Dasselbe gelte für die ondulierenden Stützen: Von ferne erinnerten sie an Säulen, also Zeichen der Würde, seien aber in Stelen verwandelt, die sich ans Gebäude anzulehnen scheinen, mit kleinen Bäumchen darauf. Bei Christian Freigang wecken schließlich die Materialität und die fast mediterrane Farbgebung des Bundeskanzleramts Assoziationen an den Schweizer Maler Arnold Böcklin, an spätromantische Brechungen, die die Monumentalität des Gebäudes unterlaufen.

Paul Nolte, Professor für Zeitgeschichte und Politische Geschichte am Friedrich-Meinecke-Institut der Freien Universität Berlin.

Paul Nolte, Professor für Zeitgeschichte und Politische Geschichte am Friedrich-Meinecke-Institut der Freien Universität Berlin.
Bildquelle: Bernd Wannenmacher

Architektur mit Haltung: „Das ist hier kein befristetes Projekt mehr“

Wie weit man sich damit von der „Architektur der Bescheidenheit“ der Bonner Republik entfernt hat, werde sofort klar, wenn man sich Helmut Schmidts Charakterisierung des dortigen Kanzleramts in Erinnerung rufe, sagt Paul Nolte, Professor für Neuere Geschichte an der Freien Universität Berlin: Es habe den Charme einer rheinischen Sparkassenzentrale, habe der SPD-Bundeskanzler, der von 1974 bis 1982 amtierte, gesagt.

Für Paul Nolte steht bei dem Berliner Bau eher die Monumentalität als ihre ironische Brechung im Vordergrund. „Gegenüber dem Provisorischen, das in Bonn auch baulich gezeigt wurde, war die Einstellung bei der Entscheidung über die neue repräsentative Architektur in Berlin klar: Das ist hier kein befristetes Projekt mehr.“

In Bonn hingegen sei es darum gegangen, nicht nur für eine junge Demokratie zu bauen, die gerade erst auf die Zerstörung des Dritten Reiches gefolgt war, sondern auch für eine Hauptstadt, die gar nicht alt werden sollte: Weil Bonn und die Bonner Republik eben nur als Provisorium gedacht waren, bis die Teilung Deutschlands überwunden sein würde.

Bezugsbau: das Reichstagsgebäude 

Die Imposanz des Berliner Bundeskanzleramts korrespondiere mit „dem Gravitätischen von Helmut Kohl“ ebenso wie mit der ostentativen Selbstdarstellung seines ersten Bewohners Gerhard Schröder, sagt Paul Nolte.

Der Zeithistoriker bemerkt allerdings, dass für die Berliner Republik – neben den postmodernen Neubauten – ebenso wichtig war, welchen Umgang sie mit der existierenden politischen Architektur Berlins gefunden habe, allem anderen voran mit dem schräg gegenüberliegenden Gebäude des Reichstags. „Das Reichstagsgebäude ist ja so etwas wie der Bezugsbau des Bundeskanzleramts.

Es ist das eigentliche Scharniergebäude, an dem sich die Umpolung zur Berliner Republik vollziehen konnte.“ Der Grund sei, dass sich die Berliner Republik auch architektonisch ein Verhältnis zum Reichstagsgebäude erst schaffen musste: Dazu, wie es da stand, als Erbe, unmittelbar in der Nähe der Mauer, als Erinnerung an die Zeit des Wilhelminismus und kontaminiert von den Nationalsozialisten, zugleich aber auch als Parlament der Weimarer Republik, die ebenfalls eine Berliner Republik war.

Der von Christo verhüllte Reichstag als Symbol

Es habe in den 1990er Jahren auch Ängste gegeben, sagt der Zeithistoriker, vor einem Rückfall der Bundesrepublik in einen selbstgefälligen Nationalismus. Diese Sorgen hätten sich glücklicherweise zerstreut, ein Prozess, der sich architektonisch sowohl in der Verhüllung des Reichstags durch das Künstlerpaar Christo und Jeanne-Claude im Sommer 1995 als auch in seiner gläsernen Überkuppelung durch den Architekten Lord Norman Foster spiegele.

Paul Nolte erinnert sich an den „Wrapped Reichstag“ wie an eine „symbolische, architektonisch-politische Reinigung“, wodurch das Reichstagsgebäude in die Politik der Berliner Republik überführt worden sei: „Hinein in die Verpuppung geht eine hässliche Raupe mit mancher Schlacke wilhelminischen Obrigkeitsstaats, heraus schlüpft, wie ein schöner Schmetterling, die demokratische Berliner Republik.“

Zwanzig Jahre nach Bezug ist die Architektur der Berliner Republik zu dem geworden, was ihrem Widerpart in anderen Ländern entspricht: Sie dient als Hintergrund für Live-Schalten von TV-Medien, sie bietet an Feiertagen die Kulisse für wichtige politische Ereignisse und im Alltag den Tummelplatz für Touristengruppen und Berlinbesucher. Sie stellt den Rahmen für Debatten, aber ist nicht länger selbst Gegenstand von solchen.

Diesen Rang hat ihr in den vergangenen Jahren der Wiederaufbau eines Hohenzollern- Schlosses abgelaufen, das von seinem Zweck her kein Gebäude der offiziellen Politik sein will, sondern ein Gebäude der Kultur: das Humboldt-Forum im Berliner Schloss auf der Spreeinsel.