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Was aus der Vielfalt spricht

Wie die vielen Sprachen Berlins die Stadt prägen, war Thema der Tagung „The Sociolinguistic Economy of Berlin“

20.12.2019

Kiezdeutsch, Hochdeutsch und andere Sozio- und Dialekte sind Varianten des Deutschen. Für viele Sprecherinnen und Sprecher ist der Wechsel zwischen den Varianten leicht möglich. Daneben werden in Berlin zahlreiche andere Sprachen gesprochen.

Kiezdeutsch, Hochdeutsch und andere Sozio- und Dialekte sind Varianten des Deutschen. Für viele Sprecherinnen und Sprecher ist der Wechsel zwischen den Varianten leicht möglich. Daneben werden in Berlin zahlreiche andere Sprachen gesprochen.
Bildquelle: dpa

Es erklingt im Bus, auf den Straßen, in Cafés: Spanisch ist in Berlin mittlerweile weit verbreitet. Das ist auch Philipp Krämer aufgefallen. Als Sprachwissenschaftler an der Freien Universität Berlin hat er die Wahrnehmung des Spanischen in der Hauptstadt untersucht. „Welcher Wert wird dieser Sprache zugemessen?“, fragte er Menschen, die noch Spanisch lernen wollen: Berliner und Berlinerinnen in Schulen und Sprachkursen sowie Berufstätige in der Gastronomie- und Tourismusbranche. „Spanisch hat ein enorm gutes Image“, sagt Krämer. „Es zu sprechen, ist zu einer Art Lifestyle geworden.“

(v. l. n. r.): Theresa Heyd von der Universität Greifswald, Britta Schneider von der Europa-Universität Viadrina Frankfurt/Oder und Ferdinand von Mengden von der Freien Universität Berlin.

(v. l. n. r.): Theresa Heyd von der Universität Greifswald, Britta Schneider von der Europa-Universität Viadrina Frankfurt/Oder und Ferdinand von Mengden von der Freien Universität Berlin.
Bildquelle: Amely Schneider

Nicht nur um das Spanische, sondern um die Vielfalt der Sprachen in der deutschen Hauptstadt ging es bei der Veranstaltung „The Sociolinguistic Economy of Berlin“. In der Heinrich-Böll-Bibliothek in Berlin-Pankow stellten Vertreter und Vertreterinnen der Sprach- und Kulturwissenschaften sowie der Sozialanthropologie die Ergebnisse ihrer Arbeit vor.

Für ihre Forschung hatten sie sich mit unterschiedlichen Sprachpraktiken und Zusammenhängen von Sprachverwendung in Berliner Milieus und sozialen Domänen beschäftigt. Ferdinand von Mengden, Professor für Englische Sprachwissenschaft an der Freien Universität Berlin, organsierte und moderierte die Veranstaltung gemeinsam mit Britta Schneider, Juniorprofessorin für Sprachgebrauch und Migration an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt/Oder, und Theresa Heyd, Professorin für Englische Sprachwissenschaft an der Universität Greifswald.

Für Linguisten sind alle Sprachvarianten erst einmal gleichwertig

So ging es an diesem Abend zum Beispiel um das „Kiezdeutsch“ – ein Soziolekt, der in urbanen multiethnischen Kontexten in Berlin verwendet wird. Fälschlicherweise wird Kiezdeutsch oft als „Migrantendeutsch“ bezeichnet, dabei sprechen es auch deutschstämmige Jugendliche. Die grammatischen Besonderheiten des Soziolekts lassen sich vor allem aus dem Deutschen erklären, dazu kommen arabische und türkische Elemente. Kiezdeutsch wird häufig im Kontrast zu einer bildungsbürgerlichen Symbolik von Hochdeutsch oder Standard-Deutsch genannt.

Doch für Linguisten sind alle Sprachvarianten erst einmal gleichwertig. Eine Bewertung, welche Art von Deutsch besser oder schlechter sei, lehnen sie grundsätzlich ab. Studien ergaben, dass Jugendliche, die Kiezdeutsch sprechen, durchaus in der Lage sind, ins Standard-Deutsche zu wechseln – sie unterhalten sich untereinander aber lieber in diesem Soziolekt.

Verschiedene linguistische Landschaften: Schon benachbarte Kieze unterscheiden sich voneinander

Fatih Özcan, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Englische Philologie der Freien Universität Berlin, berichtete über die Methode der „Linguistic Landscape“, mit deren Hilfe er zwei unterschiedliche Gegenden in Berlin verglichen hat. Im Graefekiez in Kreuzberg und im nahegelegenen Reuterkiez in Neukölln fotografierte und kategorisierte er Beschilderungen, Aushänge und andere Schriftsprachen im öffentlichen Raum. „Soziale Struktur, Stadtentwicklung und sprachliche Vielfalt beeinflussen gleichermaßen die Sprachlandschaft in diesen Gebieten“, sagte Özcan.

So fand er im Graefekiez viele Hinweise darauf, dass sich die Anwohner für soziale Belange, Milieuschutz und die Integration von Minderheiten einsetzten. Im Reuterkiez dagegen entdeckte er eher politische Forderungen von marginalisierten Gruppen selbst.

Das Publikum der Veranstaltung erfuhr außerdem, dass die Kundschaft in Falafel-Restaurants gerne die arabische Sprache hört. So zeigten ethnografische Studien, dass urbane, bildungsorientierte Berliner und Berlinerinnen Falafel-Restaurants vorziehen, in denen diese sehr präsent ist. Sie verbinden dies mit größerer Authentizität. Italienische Restaurantbetreiber nutzen ihre Sprache gezielt, um ein bestimmtes Italienbild zu vermitteln und damit Kunden anzuziehen, wie die Analyse von Restaurantnamen, Speisekarten und narrativen Interviews ergab.

Weitere Informationen

Alle Beiträge der Veranstaltung sind Teil eines Buches mit dem Titel „Sociolinguistic Economy of  Berlin“, das auf einer gleichnamigen Tagung basiert, die im Herbst 2016 an der Freien Universität Berlin stattfand. Das Buch ist im Verlag de Gruyter erschienen.