Mit modernen Methoden die Vergangenheit erforschen
Diskussionsveranstaltung des Berliner Antike-Kollegs über Digitalisierung in den Altertumswissenschaften
19.12.2019
Archäologinnen und Archäologen, so eine landläufige Vorstellung, arbeiten vor allem mit Schaufel und Pinsel in einer Ausgrabungsstätte oder im Museum. Doch das klassische Bild entspricht schon lange nicht mehr der Realität. Längst wird bei Grabungen hochmoderne Technik verwendet. Ehe ein Spaten zum Einsatz kommt, wird der Boden heute digital abgetastet. Die Funde werden anschließend dreidimensional eingescannt und als hochauflösende Digitalmodelle katalogisiert. Friederike Fless, Präsidentin des Deutschen Archäologischen Instituts und Honorarprofessorin am Institut für Klassische Archäologie der Freien Universität, ist eine Pionierin der digitalen Archäologie. „Als man in den 1990er Jahren der Meinung war, Archäologen bräuchten kein Internet“, erzählt sie, „habe ich im Baumarkt eine Schlagbohrmaschine ausgeliehen, um den Zugang selbst zu legen.“
Und wie steht es heute um den Zustand der Digitalisierung in den Altertumswissenschaften? Darüber sprachen Vertreterinnen und Vertreter aus Archäologie, Wissenschaftsforschung und digitalen Geisteswissenschaften kürzlich im Bode-Museum. Unter dem Titel „Research Reformatted – Altertumswissenschaften zwischen technischer Innovation und Aktionismus?“ hatte das Berliner Antike-Kolleg zu einer öffentlichen Podiumsdiskussion eingeladen. Neben Friederike Fless diskutierten Alexandra W. Busch, Generaldirektorin des Römisch-Germanischen Zentralmuseums in Mainz, Gerhard Lauer, Professor für Digital Humanities an der Universität Basel, Monika Trümper, Professorin für Klassische Archäologie an der Freien Universität Berlin, sowie Benedikt Fecher vom Alexander von Humboldt Institut für Internet und Gesellschaft in Berlin.
Griechisch, Münzkunde und Programmieren
Die Diskussion war von der Frage geprägt, wie sich digitale Möglichkeiten mit bewährten Forschungs- und Lehrmethoden in Verbindung bringen lassen. Dabei zeichnete sich ab, dass die Digitalisierung eine Chance und Herausforderung nicht nur für die Forschung, sondern auch für die Lehre darstellt. „Die Anwendungen werden immer komplexer“, sagte Gerhard Lauer. „Es ist ein Problem, wenn Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nicht mehr verstehen, wie die Programme arbeiten, die sie einsetzen.“ Friederike Fless stimmte zu: „Wenn man etwa antike Straßenverläufe digital simulieren will, braucht man ein tieferes technisches Verständnis.“ Doch wie qualifiziert man zukünftige Generationen? „Komplexe Algorithmen zu verstehen, das lernt man nicht einfach nebenbei“, sagte der Professor für Digital Humanities. Das Lehrangebot müsste dringend erweitert werden – doch gleichzeitig würde die Organisation der Studiengänge immer straffer, ließe immer weniger Freiraum zur individuellen Gestaltung.
„Müssen wir also die Lehrpläne umschreiben?“, fragte Monika Trümper. „Und sollen wir dann Abstriche machen bei der Vermittlung von traditionellen Grundlagen unseres Faches – etwa Griechisch oder Münzkunde streichen?“ Eine eindeutige Antwort wurde an diesem Abend nicht gefunden. Friederike Fless mahnte, ein gesundes Gleichgewicht zu finden und die analogen Grundlagen des Faches nicht zu vergessen: „Wer einmal von Hand einen Raum abgezeichnet hat, der versteht besser, wie Grafikprogramme rechnen.“
Die Reputationsökonomie steht der Demokratisierung des Wissens entgegen
Ein weiterer Schwerpunkt der Diskussion lag in der Frage, wie wissenschaftliche Daten geteilt und öffentlich zugänglich gemacht werden können. Während alle Beteiligten sich für eine Demokratisierung des Wissens aussprachen, stellte sich das Problem der Infrastruktur. Wo könnte man seine Daten überhaupt hochladen? „Die Förderungs- und die Reputationsökonomie von Wissenschaft steht der Entwicklung von Lösungen strukturell eher entgegen“, sagte Benedikt Fecher. „Eine Publikation in einem renommierten Fachmagazin bringt einem jungen Wissenschaftler viel mehr Reputation ein als die Entwicklung einer Plattform für digitale Forschungsarbeit.“
Moderator Marcus Richter ließ bereits während der Diskussion viele Zwischenfragen aus dem Publikum zu. Zahlreiche Wortmeldungen sorgten für einen lebhaften Austausch. Auch eine Archäologie-Studentin meldete sich zu Wort. Sie programmiere in ihrer Freizeit und suche nach einem Weg, ihr privates Hobby mit der Archäologie zu verbinden. „Welche Tipps“, fragte sie, „können Sie mir in Hinblick auf meine Karriere geben?“ Alexandra W. Busch zögerte nicht lange mit ihrer Antwort: „Da würde ich Ihnen vorschlagen, melden Sie sich bei mir — denn wir brauchen genau solche Leute wie Sie.“