„Gefälschte Medikamente sind weltweit im Umlauf“
Pharmazieprofessorin Maria Kristina Parr über die Sicherheit von verkauften Medikamenten und Forschungskooperationen dazu mit afrikanischen Ländern
15.11.2019
Der Vorfall in Köln, bei dem kürzlich eine Schwangere und ihr Ungeborenes nach der Einnahme einer in einer Apotheke angemischten Glukoselösung starben, hat das Thema gefälschter Medikamente in die Öffentlichkeit gerückt. Viele haben sich besorgt gefragt: Wie groß ist die Gefahr durch Medikamente, die in Apotheken selbst hergestellt werden? Maria Kristina Parr, Professorin für Pharmazeutische Chemie am Institut für Pharmazie der Freien Universität Berlin, forscht zu Doping, Metabolisierung, Qualitätssicherung und gefälschten Medikamenten. Im September war sie Mitorganisatorin eines internationalen Experten-Workshops in Ägypten zum Thema „Fake Medications“, das vom Verbindungsbüro der Freien Universität in Kairo organisiert wurde.
Frau Professorin Parr, müssen Verbraucherinnen und Verbraucher nach dem Vorfall in Köln Angst haben, wenn sie in einer Apotheke Medikamente kaufen?
Bei einer niedergelassenen Apotheke müssen Verbraucher keine Sorgen haben. Wir haben in Deutschland den Luxus sehr guter Apotheken, in denen sichere, umfassend kontrollierte Medikamente zum Verkauf stehen.
Die verunreinigte Glukosemischung kam auch aus einer niedergelassenen Apotheke.
Es ist schwierig, über den konkreten Fall etwas zu sagen, weil die Ermittlungen noch laufen und zu wenig Details bekannt sind. Bei den Mischungen für den Glukosetoleranztest gibt es aber das generelle Problem, dass die gesetzlichen Krankenkassen für das Fertigprodukt, das die Pharmaindustrie anbietet, nicht zahlen. Sie übernehmen nur die Kosten für Mischungen, die die Apotheken selbst herstellen – und auch daran verdienen die Apotheker fast nichts.
Wie stellen Apotheken die Qualität bei selbst hergestellten Medikamenten sicher?
Jede Apotheke ist verantwortlich für die Qualität der von ihr vertriebenen Produkte. Über die Art der Prüfung entscheidet sie selbst. Sie zahlt aber auch selbst dafür, es ist also eine Kosten-Nutzen-Rechnung. Damit es sich für eine Apotheke lohnt, darf die Herstellung und Kontrolle der Glukoselösung eigentlich keine fünf Minuten dauern. Nach dem Fall in Köln zahlen die Kassen zwar bis Ende des Jahres wieder für das Fertigprodukt. Weil es dafür aber bislang kaum Bedarf gab, kommt es seit dieser Entscheidung bereits zu Lieferverzögerungen.
Dürfen alle Apotheker selbst Pulver, Lösungen und Salben herstellen?
Ja. Sie kaufen die Wirkstoffe im Großhandel und verarbeiten sie in einem kleinen Labor, über das normalerweise jede Apotheke verfügt.
Wie sieht es denn bei der Qualitätskontrolle für Fertig-Arzneimittel aus?
Industriell hergestellte Medikamente sind sehr gut kontrolliert. Während der laufenden Produktion wird jede Produktcharge geprüft.
Durchlaufen importierte Arzneien ähnlich gute Kontrollen?
Die meisten Regularien gelten EU-weit, die Grundlagen des Vertriebs und der Herstellung wurden harmonisiert. Für Produkte, die außerhalb der EU hergestellt werden, gibt es stichpunktartige Importkontrollen, aber natürlich kann nicht jede Packung geprüft werden. Je länger der Weg des Medikamentes ist, desto eher kann etwas schiefgehen.
Sind online bestellte Medikamente Ihrer Ansicht nach sicher?
Deutschland ist bestens versorgt mit Apotheken. Vielleicht hat nicht jedes Dörfchen eine Apotheke, aber doch jedes Dorf. Aus meiner Sicht gibt es deshalb keine Notwendigkeit, Arzneimittel im Internet zu bestellen. Es gibt auch niedergelassene Apotheken, die Arzneien versenden, aber da entgeht dem Kunden meist die Chance, vom Apotheker beraten zu werden und nachzufragen, etwa zu Dosierung oder Unverträglichkeiten. Die Gefahr, an billige Produkte zu geraten, deren Herkunft nicht geklärt ist, ist bei Bestellungen im Internethandel zudem viel größer.
Im September fand in Ägypten ein vom Verbindungsbüro Kairo der Freien Universität in Kooperation mit Ihnen organisierter Workshop zu gefälschten Medikamenten statt. Was sind die wichtigsten Erkenntnisse?
Wir hatten Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus der Wissenschaft, regionalen Kontrollbehörden, der lokalen Privatwirtschaft und auch einen Berater aus dem Office of Drugs and Crimes der Vereinten Nationen. Es war sehr spannend, das Thema aus diesen unterschiedlichen Blickwinkeln zu diskutieren.
Im ersten Schritt ging es darum, sich überhaupt erst einmal bewusst zu machen, dass es ein Problem gibt. Es sind weltweit laut WHO viele gefälschte Medikamente im Umlauf. Das Schlimme ist, dass vor allem arme Menschen häufig Opfer dieser kriminellen Machenschaften werden. Sie können sich keine Fertig-Arzneien leisten, wenn die Vollversorgung durch Versicherungen in ihrem Land nicht gegeben ist. Wenn eine Familie am Essen sparen muss, um Geld für Medizin zu haben, kauft sie natürlich eher preiswerte Arzneien bei Straßenhändlern, die dann oft gefälscht sind.
Aus diesem Grund war es uns auch wichtig, den Workshop interdisziplinär zu konzipieren. So war etwa das Institut für Sozial- und Kulturanthropologie der Freien Universität Berlin beteiligt. Der dortige Mitarbeiter und promovierte Wissenschaftler Mustafa Abdalla gab den Teilnehmerinnen und Teilnehmern einen Einblick in die sozialen aber auch lokalen Hintergründe. In den entstandenen Diskussionen wurde schnell deutlich, dass Pharmazeuten und Medizinische Anthropologen in der Zukunft enger zusammenarbeiten müssen, um das Phänomen gefälschter Medikamente mit einem ganzheitlichen Ansatz zu bekämpfen. Wichtige Partner und Mitbegründer unserer Initiative sind auch Professor David Cowan und die promovierte Wissenschaftlerin Ivana Gavrilovic vom King’s College London.
Inwiefern kann die Forschung helfen, das Problem der fake medications zu bekämpfen?
Das Thema fake medications ist extrem schwer greifbar, vor allem als Wissenschaftler kann man es unmöglich umfassend beleuchten. In solchen Bereichen das Vertrauen der Betroffenen zu gewinnen, ist schwierig. Stellen Sie sich vor, Sie werden vor der Arztpraxis angesprochen und sollen Ihre verschriebenen Medikamente vorzeigen. Ohne lokale, etablierte Partner ist es nahezu unmöglich, in dieses supersensible Feld vorzudringen.
Es ist inzwischen zu einem weiteren Treffen mit Reychad Abdool vom Büro der Vereinten Nationen für Drogen- und Verbrechensbekämpfung (UNODC) in London gekommen. Dabei wurde vereinbart, gemeinsam weitere Länder und dortige Wissenschaftler zu integrieren. In meiner Gruppe forschen wir derzeit gemeinsam mit einer AvH-Stipendiatin aus Thailand und ihrer Doktorandin im Themenfeld fake medications.
Außerdem gibt es schon Vorüberlegungen für Weiterbildungsveranstaltungen, die etwa in Form einer Summer School mit Teilnehmerinnen und Teilnehmern aus afrikanischen Ländern stattfinden könnten. Es geht auch darum, den Austausch mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus Ägypten und anderen afrikanischen Ländern zu intensivieren. So wurde im Rahmen des Kairoer Workshops für das beste Poster ein Forschungsaufenthalt an der Freien Universität Berlin vergeben.
Die Fragen stellte Anne Kostrzewa