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Die vielen Facetten der deutschen Kunst

Auf einem von der Freien Universität mitorganisierten Kolloquium wurde diskutiert, wie Werke der Ästhetischen Moderne aus der Zeit des Nationalsozialismus historisch-kritisch ausgestellt werden können

01.07.2019

Paul Klees Werk „Nordischer Künstler“ als Titelmotiv des Symposiums „Unbewältigt? Ästhetische Moderne und Nationalsozialismus“? Das expressionistische Bild aus dem Jahr 1939 ist ein Porträt des Maler-Kollegen Emil Nolde – es sei deshalb ein guter Anknüpfungspunkt, fand Dieter Scholz, der als Kurator an der Neuen Nationalgalerie tätig ist und das Kolloquium gemeinsam mit der Kunsthistorikerin Meike Hoffmann von der Forschungsstelle „Entartete Kunst“ der Freien Universität Berlin konzipiert hatte: „Klee emigrierte 1933 in die Schweiz. Nolde, der den Nationalsozialismus unterstützte, blieb in Deutschland. Trotz dieser politischen Differenzen verband die beiden eine langjährige Freundschaft – ein Beispiel für die Komplexität der Thematiken des Kolloquiums.“

Wie man Kunst, die zur Zeit des Nationalsozialismus enstanden ist, differenziert ausstellen kann, diskutierten Dieter Scholz, Bernhard Fulda, Meike Hoffmann und Aya Soika (v.l.n.r.).

Wie man Kunst, die zur Zeit des Nationalsozialismus enstanden ist, differenziert ausstellen kann, diskutierten Dieter Scholz, Bernhard Fulda, Meike Hoffmann und Aya Soika (v.l.n.r.).
Bildquelle: Jennifer Gaschler

Wie also lässt sich heute die widersprüchliche Kunstwelt in Deutschland zwischen 1933 und 1945 in einem Kunstmuseum präsentieren? Während der gesamten Tagung fanden Diskussionen statt über innovative Ausstellungsformate und historische Verantwortlichkeiten. Aktueller Anlass waren die beiden Schauen „Emil Nolde – Eine deutsche Legende. Der Künstler im Nationalsozialismus“ im Hamburger Bahnhof – Museum für Gegenwart und „Flucht in die Bilder? Die Künstler der Brücke im Nationalsozialismus“ im Brücke-Museum und Kunsthaus Dahlem, die noch bis 15. September beziehungsweise 11. August zu sehen sind. Meike Hoffmann und Dieter Scholz kooperierten bei der Konzeption des Kolloquiums mit der Kunsthistorikerin Aya Soika, die am Bard College Berlin lehrt, und dem Historiker Bernhard Fulda von der Universität Cambridge. Initiiert und gefördert wurde es von der Ferdinand-Möller-Stiftung.

Dichotomie NS-Kunst und verfolgte Kunst

Über ihre kuratorischen Erfahrungen mit den beiden laufenden Ausstellungen sprachen Meike Hoffmann, Aya Soika und Bernhard Fulda in Impulsreferaten, zu denen mehr als 200 Interessierte kamen. „Die sogenannte entartete und verfolgte Kunst gilt automatisch als widerständig. Den Gegenpol bildet die NS-Kunst, geprägt von Propagandawerken oder dem akademischen Stil der Traditionalisten“, erläuterte Aya Soika, die an beiden Projekten beteiligt war. Dieses Schwarz-Weiß-Denken bremse aber in mehrfacher Hinsicht: Es beschränke das Verständnis des Kunstschaffens im Nationalsozialismus und blockiere die umfassende Erforschung der einzelnen Künstler. Der Vergangenheitsbewältigung seien die Dualismen von ‚Gut‘ und ‚Böse‘ entgegengekommen, konstatierte die Kunsthistorikerin, „der Expressionismus wurde in diesem Zuge als Ausdruckskunst popularisiert“. Eine intensive Erforschung von Werken und Quellen mit historisch-kritischem Blick sei deshalb nötig, bei Nolde und den Brücke-Künstlern sei das bisher aber nur unzureichend passiert, kritisierte sie. „Die aktuellen Ausstellungen sind nun Versuche, kultur- und sozialhistorische Forschungsansätze zu berücksichtigen und die Kunst so zu kontextualisieren.“

Exemplarisch für die Verflechtung von Sympathisantentum und Verfolgung ist Aya Soika zufolge die Geschichte einer Wandbild-Ausschreibung für das „Deutsche Haus der Arbeit“. Ehemaliges Brücke-Mitglied Max Pechstein hatte, wie erst viel später bekannt wurde, daran teilgenommen: mit einem Entwurf, der Schmiede und ein Hakenkreuz zeigt. Untertitelt ist es mit „Symbol der Arbeit“, einem Zitat aus einer frühen Rede Adolf Hitlers. Den Wettbewerb gewann aber Bildhauer Ludwig Gies mit einem Adler, der in abgewandelter Form seit Kriegsende auch als sogenannte Fette Henne den Bundestag ziert. Ein Kruzifix von Gies für den Lübecker Dom wurde dagegen in der Ausstellung von 1937 als ‚entartete Kunst‘ präsentiert.

Paul Klees „Nordischer Künstler“ aus dem Jahr 1939.

Paul Klees „Nordischer Künstler“ aus dem Jahr 1939.
Bildquelle: 673 Kleisterfarbe und Bleistift auf Papier auf Karton 26,9 x 21,4 cm Privatbesitz Schweiz, Depositum im Zentrum Paul Klee, Bern

Absenzen darstellen

Bernhard Fulda, Mit-Kurator von „Emil Nolde – Eine deutsche Legende. Der Künstler im Nationalsozialismus“, sprach über die für ihn neue Erfahrung, sein Wissen als Historiker durch Bilder zu kommunizieren. Ein Hauptanliegen sei dabei gewesen, das Museum als Ort der bewertenden Kunstkommunikation kritisch zu präsentieren. „Nolde wurde bisher vor allem zum Helden stilisiert – was vor allem auch an seiner Selbstdarstellung liegt.“ Quellen – viele davon sind erst jetzt zugänglich – zeigten aber die zunehmende Bedeutung des Antisemitismus für seine Identifikation mit dem Nationalsozialismus.

Bernhard Fulda verdeutlichte die Zwiespältigkeit der Nolde-Rezeption an einem Beispiel: Eine Fotografie, auf der die Besucher der ‚entarteten‘ Kunstausstellung Noldes expressionistisches Werk „Das Leben Christi“ betrachten, gilt als Ikone der Geschichtsschreibung zur NS-Kunstpolitik. Nach 1945 habe sich der Opferstatus des Künstlers so anschaulich illustrieren lassen. „Von 1933 bis 1937 aber wurden noch unzählige seiner Werke von Kunstinstitutionen erstanden.“ Durch die hohe Anzahl der Ankäufe relativiere sich wieder, dass Nolde der meistbeschlagnahmte Künstler des nationalsozialistischen Regimes gewesen sei.

Der Expressionist war auch der Einzige, dem es gelang, seine Gemälde und Zeichnungen wieder aus der Feme-Schau entfernen zu lassen. „Diese Ambivalenzen wollten wir sichtbar machen“, betonte Bernhard Fulda. Sichtbar ist dabei ein gutes Stichwort, denn wie lässt sich das Fehlen der Gemälde in den späteren Ausstellungen der „Entarteten Kunst“ visualisieren? Die Kuratoren entschlossen sich, die Leerstelle in Vitrinen mit verschiedenen Auflagen des Ausstellungskatalogs zu dokumentieren.

Eine zweite Lücke findet sich im Werk Emil Noldes von 1933 an: Der weithin als Meister der religiösen Bilder geschätzte Künstler malte seit der Machtergreifung der Nationalsozialisten konsequent keine jüdisch-biblischen Szenen mehr – andere Motive traten an die Stelle: „Wir können diese Manifestation des Antisemitismus nur durch Gegenbilder sichtbar machen: Nordische Menschen treten an die Stelle jüdischer Figuren“, erklärte der Historiker. Man habe sich zudem für eine sehr reduzierte Raumästhetik entschieden, erläuternde Texte fänden sich vor allem im Ausstellungskatalog. So sollen die Tableaus die Betrachter irritieren und „herausfordern, Kunst und ihre gesellschaftliche Bedeutung neu zu entdecken“.

Werke differenziert betrachten

„Bereits in der unmittelbaren Nachkriegszeit galt das Oeuvre der Brücke-Maler als Symbol des NS-Widerstands und der künstlerischen Freiheit“, sagte Meike Hoffmann, Mit-Kuratorin von „Flucht in die Bilder? Die Künstler der Brücke im Nationalsozialismus“. Obwohl die Gruppenzugehörigkeit nur einen Bruchteil der jeweiligen Künstlerbiografien ausmache, sei ihr Schaffen in der öffentlichen Wahrnehmung oft auf diesen Aspekt beschränkt. Dazu stark beigetragen habe Leopold Reidemeister, Gründer des Berliner Brücke-Museums, der schon früh einen Ausstellungsort der Wiedergutmachung für die von den Nationalsozialisten verfemten Künstler geplant habe. Der Kunsthistoriker habe auch organisiert, dass Leihgaben aus dem Museum im Bundeskanzleramt in Bonn gezeigt wurden. „Die Gruppe wurde so zum Instrument der Vergangenheitsbewältigung mit quasi unantastbarem Status“, erläuterte die Wissenschaftlerin. Dabei hätten die meisten Brücke-Mitglieder anfangs die Hoffnung gehegt, mit ihrer Kunst Anerkennung im Nationalsozialismus zu finden. Jeder hatte sich auf seine Weise mit dem Regime arrangiert. Thematisiert wurde die Zeit in einer Brücke-Ausstellung bisher jedoch nie.

Diese Kriterien habe man bei „Flucht in die Bilder?“ berücksichtigt und dabei fast ausschließlich auf Werke aus dem Sammlungsbestand des Brücke-Museums zurückgegriffen. Die mehrfache Bindung der Künstler sowohl ans Museum als auch an den Sammlungsbestand – als Maler, Mitbegründer und Stifter – habe man für die Schau nutzen wollen, die „explizit aus dem Blickwinkel der Künstler, von ihren Alltagsrealitäten und Handlungsspielräumen im NS-Staat her konzipiert“ ist. Deshalb habe man die Räumlichkeiten des Museums nicht weiter als „Weihestätte“ nutzen wollen: „Stattdessen haben wir uns für eine grafisch auffällige Form entschieden, in der die Werke differenziert betrachtet und nicht weiter nur zelebriert werden.“ So gehört zu der Präsentation ein akzentsetzendes Farbkonzept im Wechsel mit wandflächenübergreifenden Fotografien. Wichtig sei dem Kuratorinnen-Team, die bisher festgelegten Lesarten aufzubrechen, betonte Hoffmann: „Unser Ziel ist es, neue Diskurse zu eröffnen und die Werke dadurch aus der Vergangenheit in die Gegenwart zu holen“.

Weitere Informationen

Videos des Kolloquiums wurden auf dem Wissenschaftsportal der Gerda Henkel Stiftung veröffentlicht.

„Emil Nolde - Eine deutsche Legende. Der Künstler im Nationalsozialismus“ im Hamburger Bahnhof - Museum für Gegenwart - Berlin ist noch bis 15. September zu sehen.

„Flucht in die Bilder? Die Künstler der Brücke im Nationalsozialismus“ im Brücke-Museum und Kunsthaus Dahlem läuft noch bis 11. August.