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„Wissenschaft ist nichts Eingekapseltes“

13. und 14. Juni: Performative Künste und Praktiken in Südostasien und in der westlichen Welt / Gemeinsame Konferenz des Exzellenzclusters Temporal Communities der Freien Universität, des Museums Hamburger Bahnhof und des Goethe-Instituts Südostasien

12.06.2019

Der Performance-Künstler Korakrit Arunanondchai

Der Performance-Künstler Korakrit Arunanondchai
Bildquelle: Benjamin Bechet

Es ist eine in jeder Hinsicht grenzüberschreitende Veranstaltung: Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler diskutieren im Hamburger Bahnhof – Museum für Gegenwart – Berlin mit Kuratorinnen und Kuratoren sowie Künstlerinnen und Künstlern aus Südostasien, die nicht nur über ihr Werk sprechen, sondern zum Teil Performances präsentieren werden. Mit dabei sind etwa Julia Sarisetiati, Mitglied des indonesischen Kollektivs Ruangrupa, das die nächste Documenta in Kassel kuratieren wird, und Performancekünstler Korakrit Arunanondchai, dessen Videos im Internet vielfach geklickt werden.

Für den Exzellenzcluster Temporal Communities: Doing Literature in a Global Perspective ist die öffentliche Konferenz „Embodied Histories – Entangled Communities“ (auf Deutsch „Verkörperte Geschichten – Verflochtene Gemeinschaften“) Auftakt seiner Tätigkeiten im Bereich des sogenannten Wissenstransfers. Dieser Bereich verfolgt das Anliegen, die Forschungen am Cluster in einen Dialog mit nicht-universitären Institutionen sowie einer vielinteressierten Öffentlichkeit zu bringen. Dazu gehört ein langfristiges Kooperationsprojekt mit dem Hamburger Bahnhof. Lesen Sie ein campus.leben-Interview mit Annette Jael Lehmann, Professorin für Visual Culture und Theater an der Freien Universität und Leiterin des Projekts am Exzellenzcluster, die die zweitägige Veranstaltung gemeinsam mit einem größeren Team von Kuratorinnen und Wissenschaftlerinnen aus Südostasien und Berlin durchführt.

Frau Professorin Lehmann, die Konferenz umfasst Vorträge, aber auch Performances. Warum ist das bei diesem Thema besonders wichtig?

Die Veranstaltung ist für uns anwendungsbezogene Forschungspraxis: „practice based research“. Das bedeutet, dass wir unsere Forschung in engem Kontakt mit den Kunst- und Kulturschaffenden durchführen, die uns wichtige Hinweise auf ihre Arbeitsweisen, ihr Selbstverständnis und ihre Fragestellungen geben. Dadurch vervielfältigen sich nicht nur die Perspektiven auf die künstlerischen Projekte und Prozesse, sondern es findet auch eine Pluralisierung und Multiplizierung der Wirkungsmöglichkeiten statt, denn auch die Forschung wirkt auf die Kunst zurück.

Prof. Dr. Annette Jael Lehmann

Prof. Dr. Annette Jael Lehmann
Bildquelle: Privat

Ganz wichtig in unserem Transferprojekt „Embodied Histories – Entangled Communities“ am Cluster Temporal Communities, zu dem die Konferenz eine Art „Kickstart“ ist, werden auch die verschiedenen Publika sein, die wir ansprechen möchten. Wenn wir dann Performances als Bestandteil der Konferenz sehen und mit den Kulturschaffenden in direktem Kontakt stehen, haben wir den Zugang zu diesen unterschiedlichen Publika – wir betreiben sozusagen Feldforschung.

Der Künstler Arahmaiani, der in verschiedenen Städten das Flaggen-Projekts realisiert hat, wird am Freitag, 14. Juni, an dem Panel Artistic Performative Practices teilnehmen.

Der Künstler Arahmaiani, der in verschiedenen Städten das Flaggen-Projekts realisiert hat, wird am Freitag, 14. Juni, an dem Panel Artistic Performative Practices teilnehmen.
Bildquelle: the artist

In diesem Zusammenhang diskutieren die Kulturschaffenden mit uns Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern vor Ort im Museum eine Reihe von zentralen Fragen: Welche Bedeutung haben Erzählungen für euch in Performances? Wie reflektiert ihr Verkörperung? Mit welchen Theorien des Verlernens arbeitet ihr in eurer Forschung? „Verlernen“, auf Englisch „Unlearning“, das Aufbrechen von Hierarchien des Wissens und des Denkens sowie das Hinterfragen von Forschungsmethoden, ist ein wichtiger Begriff in dieser Diskussion.

Die Konferenz schließt an das Projekt „Hello World“ aus dem Jahr 2017 an, bei dem die Sammlung der Neuen Nationalgalerie – ihre Entstehungsgeschichte und Präsentationsformen – kritisch untersucht wurden. Inwiefern wird dieser Ansatz in der Konferenz weitergedacht?

Ein Ergebnis des Projekts „Hello World“ war, dass es schon in der klassischen Moderne vielfältige Netzwerke und Verflechtungen – wir sprechen von „Entanglements“ – gab. Wie sehen solche Verflechtungen zwischen Kulturschaffenden in Südostasien und in unserer westlichen Welt heute aus? Die teilnehmenden Künstlerinnen und Künstler kommen nicht aus weiter Ferne zu uns, sondern sind „Global Player“. Diesen Verflechtungen wollen wir auf der Konferenz – aber auch in unserem Transferprojekt am Cluster nachgehen, an dem das Museum Hamburger Bahnhof zentral beteiligt ist; unsere Kolleginnen und Kollegen vom Museum, vor allem die Kuratorin Anna-Catharina Gebbers, haben schon viel aufgebaut und bringen dieses Wissen ein.

Das Projekt ist Teil eines Forschungsbereiches des Clusters, in dem wir fragen, wie verschiedene Kunstformen, insbesondere performative Künste andere Formen der Verarbeitung von Texten oder Literatur produzieren. In den Kulturen Südostasiens – also in Ländern wie Brunei, Kambodscha, Indonesien, Laos, Malaysia, Myanmar, den Philippinen, Singapur, Thailand und Vietnam – findet Literatur nicht nur in Form von Büchern statt, sondern die Geschichten werden in anderen Medien wie im Tanz, in Praktiken oder Ritualen aufgeführt. Performance-Kunst spielt zudem eine wichtige Rolle für die Bildung von Gemeinschaften oder die performative Konstitution minoritärer Positionen, etwa von sexuellen oder ethnischen Minderheiten, die häufig in der hegemonialen Kultur oder im Kanon ausgegrenzt werden. Künstlerinnen und Künstler beziehen sich dabei ganz explizit auf alte Mythen, religiöse Texte und verarbeiten sie neu. Auch das ist ein zentrales Anliegen des Clusters insgesamt: der Wirkung von Texten über verschiedene Zeiten und Räume hinweg nachzugehen.

Wie geht es nach der Konferenz weiter?

Wir wollen darüber hinaus zu den Themen forschen, die im Zentrum der Tagung stehen. Dazu gehören die Fragen nach Verkörperung, der Narrativierung und der Zeitlichkeit in performativer Kunst ebenso wie die nach den diversen Publika. Warum ist eine künstlerische Position in einem Land ein Skandal, und in einem anderen bewegt sie kaum jemanden? Wie entfalten spezifische Texte oder Diskurse durch ihre performative Aneignung politische Sprengkraft? Wie verarbeiten Kulturen in den verschiedenen Ländern Südostasiens, aber auch wir hier im ‚Westen‘, die jeweiligen Kolonialgeschichten? Wie werden Narrative weitergegeben? Wie können Performancekunst oder performative künstlerische und soziale Praktiken gesammelt, archiviert, ausgestellt oder vermittelt werden? Auch die Zusammenarbeit mit Kulturschaffenden ist Bestandteil des Vorhabens.

Warum ist Ihnen dieser Dialog so wichtig?

Wir möchten unsere Forschung in direkte Wechselwirkung mit den untersuchten Prozessen stellen und anwendungsbezogen weitergegeben. Dieses Anliegen ist der Kern unseres Transferprojekts „Embodied Histories – Entangled Communities“ in der Research Area „Travelling Matters“ – einem von insgesamt fünf Forschungsbereichen des Clusters. Es ist wichtig, dass Studierende von Anfang an lernen, dass Wissenschaft nichts Eingekapseltes ist, was man an der Universität temporär macht, sondern ein konstanter Prozess der Reflexion im Austausch mit anderen, die sich mit den gleichen Fragen auf andere Weise beschäftigen.

Die Fragen stellte Nina Diezemann

Weitere Informationen

Konferenz „Embodied Histories – Entangled Communities

Mit einem Konferenz- und Performance-Programm am 13. und 14. Juni 2019 im Hamburger Bahnhof werden neue Perspektiven auf performative Künste und Praktiken in Südostasien und im Westen eröffnet. Die Konferenz „Embodied Histories – Entangled Communities“ ist eine Kooperation vom Hamburger Bahnhof – Museum für Gegenwart – in Berlin mit dem Exzellenzcluster 2020 Temporal Communities: Doing Literature in a Global Perspective der Freien Universität Berlin und wird durch die Unterstützung des Goethe-Instituts Südostasien ermöglicht.

Teilnehmende: Arahmaiani, Korakrit Arunanondchai, Cosmin Costinas, Stefan Dreyer, Patrick D. Flores, Gridthiya Gaweewong, Anna-Catharina Gebbers, Ho, Rui An, Gabriele Knapstein, Doris Kolesch, Andrew James Johnston, Annette Jael Lehmann, Kirsten Maar, Helly Minarti, Grace Samboh, Julia Sarisetiati, Simon Soon, Siuli Tan, David Teh, Ferdiansyah Thajib, meLê Yamomo, June Yap

Detailliertes Programm und Anmeldung

Temporal Communities: Doing Literature in a Global Perspektive

Der Exzellenzcluster 2020 „Temporal Communities: Doing Literature in a Global Perspective“ will einen Beitrag zu einer Neukonzeption von Literatur in globaler Perspektive leisten. Die zentrale These ist, dass es die Vernetzung von Literatur über Zeiten hinweg ist, die sie global werden lässt. Der Cluster versteht sich als eine dynamische und flexible Plattform.

Das Forschungsprogramm wird mit einem breit angelegten Fellowship-Programm, einem internationalen Netzwerk akademischer Institutionen sowie lokalen Partnern umgesetzt. Im Bereich des Wissenstransfers arbeitet der Cluster mit Kooperationspartnern der pulsierenden Literatur- und Kunstszene in Berlin zusammen. Dazu gehören das Archiv der Akademie der Künste, das Haus der Kulturen der Welt, das Internationale Literaturfestival, die Lettrétage – Das junge Literaturhaus, das Literarische Colloquium, das Ibero-Amerikanische Institut und die Staatsbibliothek zu Berlin – beide Preußischer Kulturbesitz – sowie die Schaubühne.

Der Exzellenzcluster hat seine Arbeit am 1. Januar 2019 aufgenommen und wird aus Mitteln der Exzellenzstrategie des Bundes und der Länder für sieben Jahre (2019-2025) gefördert.