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„Wir erreichen durch digitale Kommunikation Menschen, die wir mit einer konventionellen Psychotherapie nicht erreichen würden“

6. Juni, 17.30 Uhr: Psychologieprofessorin Christine Knaevelsrud spricht in der Urania über Erfahrungen mit Online-Therapie bei Depressionen / Dritte Veranstaltung der Reihe „made in Dahlem: Junge Forschung aus der Freien Universität“

29.05.2019

Fundierte Studien zeigen: Online-Therapie kann bei psychischen Erkrankungen wie Depressionen ebenso wirkungsvoll sein wie ambulante Psychotherapie.

Fundierte Studien zeigen: Online-Therapie kann bei psychischen Erkrankungen wie Depressionen ebenso wirkungsvoll sein wie ambulante Psychotherapie.
Bildquelle: Picture Alliance / Frank May

Man kennt die Kritik: Streit im Netz, in den sozialen Medien etwa, arte häufig deshalb schnell aus, weil die Anonymität die Hemmschwelle sinken lasse. Dass sich gerade die niedrige Hemmschwelle auch positiv nutzen lässt, zeigt die Arbeit von Christine Knaevelsrud. Die Professorin für klinisch-psychologische Intervention an der Freien Universität erreicht durch Online-Therapie nämlich Menschen, die konventionelle Gesprächs-Therapien beziehungsweise den persönlichen Kontakt mit Psychologinnen und Psychologen vermeiden. Ihr Vortrag „Depressionen online therapieren“ ist die dritte Veranstaltung im Rahmen der Reihe „made in Dahlem – Junge Forschung aus der Freien Universität“, eine Kooperation von Freier Universität Berlin und Urania.

Frau Professor Knaevelsrud, wie sind Sie zur Online-Therapeutin geworden?

Ich beschäftige mich schon seit rund 20 Jahren mit Therapieansätzen, bei denen sich Therapeut und Patient auf digitalem Wege miteinander austauschen. Damals habe ich in den Niederlanden studiert, eines der ersten Länder, in dem dieser Ansatz verfolgt wurde.

Mir erschien die Idee, über unpersönliche Digitalkanäle zu therapieren, zunächst abwegig. Aus dieser skeptischen Haltung heraus habe ich mich dann mit den Ergebnissen der Behandlungen genauer auseinandergesetzt und war überrascht: Nicht nur ist Online-Therapie bei psychischen Erkrankungen ebenso wirkungsvoll wie konventionelle Gesprächstherapie, sondern auch die Abbruchrate ist bei der digitalen Methode geringer. Gleichzeitig hat die Online-Therapie den Vorteil, dass der Enthemmungseffekt viel größer ist: Dadurch, dass die Menschen in den häufigsten Fällen visuell anonym bleiben, kommen sie im Rahmen der Therapie deutlich früher auf ihre Probleme zu sprechen.

Die Therapie läuft ausschließlich über digitale Kommunikationswege?

Das ist jedenfalls sehr häufig so. In der Regel führen wir zu Beginn des Kontakts ein Telefonat und kommunizieren dann über einen dafür eingerichteten Online-Dienst oder eine App. Unsere Forschungseinrichtung an der Freien Universität arbeitet hier eng mit dem universitätseigenen IT-Kompetenzzentrum (CeDiS) zusammen. Die Technik ist tatsächlich die Achilles-Verse der Online-Therapie und muss auf dem höchsten Stand sein.

Die Interaktion findet im Wesentlichen schriftlich statt, obwohl es auch möglich wäre per Video-Telefonat zu sprechen. Allerdings verzichten unsere Patienten fast ausnahmslos auf diese Möglichkeit. Viele präferieren die visuelle Anonymität und vermeiden zunächst den unmittelbaren, persönlichen Kontakt. Diese Form der Therapie funktioniert übrigens auch per Brief. Wir haben zum Beispiel ältere Menschen behandelt, die durch ihre Kindheit im Zweiten Weltkrieg traumatisiert wurden. Sie haben uns in Sütterlinschrift verfasste Briefe geschickt.

Christine Knaevelsrud ist Professorin für klinisch-psychologische Intervention an der Freien Universität und erforscht die Wirksamkeit von internetbasierten Interventionen bei psychischen Erkrankungen.

Christine Knaevelsrud ist Professorin für klinisch-psychologische Intervention an der Freien Universität und erforscht die Wirksamkeit von internetbasierten Interventionen bei psychischen Erkrankungen.
Bildquelle: Fotostudio Menarc

Wie gehen Sie damit um, dass bei der digitalen Therapie zwangsläufig Betonung, Gestik und Mimik wegfallen?

Auf den ersten Blick wirkt das wie ein Problem, aber auch in der Schriftsprache gibt es viele Ausdrucksmöglichkeiten. Häufig beobachten wir beispielsweise, dass die Satzstruktur zerfällt, wenn es besonders emotional wird. Die Patienten fangen an, sich zu wiederholen oder nutzen nur noch Satzfetzen. Ich erinnere mich an eine Patientin, die den Namen ihres toten Kindes immer wieder in langgezogenen Großbuchstaben geschrieben hat, als würde sie ihr Leid hinausschreien. Wir Therapeutinnen und Therapeuten passen unsere Schriftsprache an und wiederholen das, was wir den Patienten sagen möchten, in verschiedenen Varianten.

Ohne Gestik und Mimik kommunizieren zu müssen, kann zudem von Vorteil sein, weil so auch der Therapeut keine Signale aussenden kann, die missverstanden werden könnten. Die Kehrseite ist, dass die Therapeutin oder der Therapeut keine direkte Rückmeldung erhält, wenn er oder sie etwa Begriffe verwendet hat, die die Patienten fehldeuten oder ablehnen.

Worum wird es in ihrem Vortrag in der Urania gehen?

Ich möchte vor allem die Akzeptanz für die Online-Therapie steigern. Digital erreichen wir soziale Gruppen, die wir mit dem konventionellen Ansatz nicht erreichen, zum Beispiel ältere Menschen und generell mehr Männer. Und natürlich ist die Online-Therapie auch sehr geeignet für Berufstätige und Menschen, die Kinder oder Angehörige betreuen müssen. Es geht mir grundsätzlich darum, Patientinnen und Patienten eine große Auswahlmöglichkeit an therapeutischen Ansätzen zu bieten.

Weitere Informationen

Vortrag „Depressionen online therapieren“

Zeit und Ort
Donnerstag, 6. Juni 2019, 17.30 Uhr
Urania, An der Urania 17, 10787 Berlin