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Starke Geistes- und Sozialwissenschaften als Beitrag zu einem prosperierenden Europa

Zehn der in den Geistes- und Sozialwissenschaften führenden europäischen Universitäten haben sich für ein Positionspapier zusammengeschlossen / Interview mit Claudia Siegel, Leiterin des Brüsseler Verbindungsbüros der Freien Universität

13.03.2018

Ob bei Demokratie- und Sicherheitsfragen, bei kulturellen Belangen oder der gesellschaftlichen Akzeptanz von neuen Technologien – geistes- und sozialwissenschaftliche Forschung kann bei der Lösung politischer und gesellschaftlicher Probleme helfen.

Ob bei Demokratie- und Sicherheitsfragen, bei kulturellen Belangen oder der gesellschaftlichen Akzeptanz von neuen Technologien – geistes- und sozialwissenschaftliche Forschung kann bei der Lösung politischer und gesellschaftlicher Probleme helfen.
Bildquelle: Bernd Wannenmacher

Sie sind davon überzeugt, dass starke geistes- und sozialwissenschaftliche Forschung bei der Lösung politischer und gesellschaftlicher Probleme innerhalb der Europäischen Union helfen können: Freie Universität Berlin, Ghent University, Sapienza Università di Roma, Tilburg University, Universitat Oberta de Catalunya, University of Barcelona, University of Glasgow, University of Groningen, Université libre de Bruxelles und Université Sorbonne haben die Europäische Kommission, das Parlament und den Rat aufgefordert, die Forschungs- und Innovationsbedingungen für die Fächer zu verbessern. Schließlich gehörten viele der Herausforderungen und Probleme, vor denen Europa stehe – Arbeitslosigkeit, soziale Ungleichheit, Migration, Sicherheit, Staatsschulden, mangelndes Wirtschaftswachstum und demografischer Wandel – zu den Kernthemen, mit denen sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in geistes- und sozialwissenschaftlichen Fächern beschäftigten. Campus.leben im Gespräch mit Claudia Siegel, die das EU-Verbindungsbüro Brüssel der Freien Universität leitet.

Frau Siegel, auf welche Missstände wollen die Universitäten, unter ihnen die Freie Universität Berlin, mit dem Aufruf aufmerksam machen?

„Missstände“ ist vielleicht ein starkes Wort. Es ist jedoch inzwischen – im Übrigen durch die EU- Kommission selbst – erwiesen, dass das Ziel verfehlt wurde, die Geistes- und Sozialwissenschaften über alle Förderlinien des EU-Rahmenprogramms für Forschung und Innovation adäquat einzubinden. Sie werden oft eher als Hilfswissenschaften denn als eigenständige Disziplinen betrachtet. Dies sollte im nächsten Rahmenprogramm, das derzeit vorbereitet und 2021 in Kraft treten wird, besser werden.

Claudia Siegel leitet das EU-Verbindungsbüro Brüssel der Freien Universität Berlin.

Claudia Siegel leitet das EU-Verbindungsbüro Brüssel der Freien Universität Berlin.
Bildquelle: Bernd Wannenmacher

Was fordern die Universitäten konkret?

Gerade in diesen bewegten Zeiten können die Geistes- und Sozialwissenschaften einen großen Beitrag dazu leisten, wie sich unsere Gesellschaft auf die Herausforderungen der Zukunft vorbereiten kann. Dies gilt sowohl für Demokratie- und Sicherheitsfragen als auch für kulturelle Belange oder die Akzeptanz von neuen Technologien in der Gesellschaft. Die Universitäten fordern in ihrem Papier, dass die EU-Kommission eine Plattform für die Geistes- und Sozialwissenschaften einrichtet, so ähnlich, wie sie es mit ihren Technologieplattformen getan hat. Das könnte ein Raum sein, in dem man interdisziplinär zusammenarbeiten und auch Verständnisbarrieren zwischen den Natur- und Geisteswissenschaften abbauen könnte. Zu den insgesamt fünf Forderungen des Papiers gehört auch, dass die Kommission – wenn sie vom sogenannten impact, den Auswirkungen einer Forschungsarbeit, spricht – nicht nur technologischen Fortschritt anerkennt, sondern auch den sozialen oder akademischen Wert wissenschaftlicher Erkenntnisse. In den vergangenen Jahren ist wohl der Eindruck entstanden, dass nicht alle wissenschaftlichen Disziplinen gleichermaßen zu einem wohlhabenden und inklusiven Europa beitragen, was so nicht stimmt. Die Universitäten fordern deshalb, wieder mehr in exzellente geistes- und sozialwissenschaftliche Forschung zu investieren.

Ist die Situation in der Medizin, den Natur- und Lebenswissenschaften anders? Wenn ja, warum?

Das laufende europäische Forschungsrahmenprogramm zielt noch viel mehr als seine Vorgänger darauf ab, Europas Wohlstand durch solche Innovationen zu steigern, die einen hohen Marktwert haben und gleichzeitig neue Arbeitsplätze generieren. Also sprechen wir von technologischem Fortschritt, den man mit Erkenntnissen aus den natur- und lebenswissenschaftlichen Disziplinen eher erzielen kann. Wenn Sie neue, sichere Methoden zum Schutz von Daten entwickeln, lässt sich dies gut wirtschaftlich verwerten und hat gleichzeitig positive Effekte im Alltag. Neue Medizinprodukte, die bei der Heilung von Krankheiten helfen und die Kosten für Behandlungen senken, sorgen dafür, dass es uns besser geht. Sie entlasten aber auch die Gesundheitsbudgets der Mitgliedstaaten und haben somit einen volkswirtschaftlichen Nutzen.

Wie könnte das in den geistes- und sozialwissenschaftlichen Fächern bestehende Wissen für Europa praktisch besser genutzt werden?

Das in Europa bestehende und auch generierte Wissen durch die Geistes- und Sozialwissenschaften ist einzigartig. Wichtig ist, dass die Kommunikation zwischen den Natur- und Lebenswissenschaften auf der einen Seite und den Geistes- und Sozialwissenschaften auf der anderen Seite weiter verbessert wird. Dies würde auch die interdisziplinäre Forschung weiter stärken. Der Wille hierzu ist bei vielen Forschenden vorhanden, aber das Umfeld ist hierfür noch nicht ideal. Hier könnte das Rahmenprogramm auf europäischer Ebene einen Beitrag leisten.

Die Fragen stellte Christine Boldt