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Wenn aus einem Post Kunst wird

Ausstellung in Düsseldorf bis 10. März / Auf einer Podiumsdiskussion in der Akademie der Künste in Berlin präsentierten Künstlerinnen und Künstler ihre Arbeiten zu Bildern aus sozialen Medien

08.03.2018

Auf dem Podium zur Diskussion „Expanded: Affect Me“: Julia Höner, Lara Baladi, Sarah Nankivell, Philip Scheffner, Kerstin Schankweiler

Auf dem Podium zur Diskussion „Expanded: Affect Me“: Julia Höner, Lara Baladi, Sarah Nankivell, Philip Scheffner, Kerstin Schankweiler
Bildquelle: Peter Schraeder

Noch nie in der Geschichte waren die Menschen einer solchen Bilderflut ausgesetzt wie heute, im Zeitalter der sozialen Medien. Das ist in vielerlei Hinsicht eine Herausforderung. Auch für jenes Metier, das sich seit jeher mit der Herstellung von Bildern beschäftigt: der Kunst. Denn zwischen all den verwackelten Partyfotos und Katzenvideos finden sich im Internet natürlich auch Abbildungen mit Tiefgang. „Uns ging es in unserer Ausstellung um die künstlerische Aufarbeitung von Beiträgen aus den sozialen Medien“, sagt Kerstin Schankweiler. Die promovierte Kunsthistorikerin und Mitarbeiterin am Sonderforschungsbereich „Affective Societies: Dynamiken des Zusammenlebens in bewegten Welten“ (Sfb 1171) der Freien Universität hat die Ausstellung „Affect Me. Social Media Images in Art”, die noch bis zum 10. März in Düsseldorf zu sehen ist, gemeinsam mit Julia Höner konzipiert.

Viele politische Bezüge

„Affect Me. Social Media Images in Art” ist eine Kooperation der Düsseldorfer Kunstinstitution KAI 10 | Arthena Foundation und des Sonderforschungsbereichs „Affective Societies“ der Freien Universität. Gezeigt werden die Werke von neun renommierten Künstlerinnen und Künstler, die sich vor allem mit politischen Themen beschäftigen: Zu sehen sind Aufnahmen des Terroranschlags auf das World Trade Center im Jahre 2001 bis hin zum sogenannten „Arabischen Frühling“ von 2011.

Zwei der in der Ausstellung gezeigten Projekte wurden am vergangenen Freitag auf einer Podiumsdiskussion in Berlin näher vorgestellt: Die Künstlerin Lara Baladi präsentierte ihre digitale Bildersammlung zur Ägyptischen Revolution im Jahr 2011, und die Forscherin Sarah Nankivell, Mitglied der Londoner Forschergruppe Forensic Architecture, beeindruckte das Publikum mit Architektur-Recherchen auf der Basis von Bildern aus dem Netz, die zur Aufklärung von Menschenrechtsverletzungen beitragen. Außerdem stellte der Filmemacher Philip Scheffner seinen Dokumentarfilm „Havarie“ vor, der auf einen YouTube-Clip zurückgeht.

Aus Rauchwolken lesen

Am 1. August 2014 schlug eine Bombe in Rafah ein, einer Stadt am Südrand des Gazastreifens. Im Auftrag der Menschenrechtsorganisation Amnesty International machte sich Forensic Architecture daran, den Angriff zu dokumentieren. Dafür sammelte die Forschungsgruppe im Internet hunderte Aufnahmen des Einschlags. Das Problem: Die Metadaten, also Informationen über Zeit und Ort der Aufnahme, fehlten oder konnten nicht verifiziert werden.

Forensic Architecture verglich daher die Formation der Rauchwolke auf den Fotos und Videos, um Klarheit über den Hergang der Ereignisse zu erhalten. Mit solchen und ähnlichen Methoden versucht die Forschungsgruppe am Goldsmiths-Institut der University of London das staatliche Bildermonopol zu umgehen. „Früher kontrollierte der Staat die Beweise, heute sind sie für jeden zugänglich“, sagte Sarah Nankivell. Mal sind es architektonische Details, mal die Ausmessung von Blickwinkeln, die die Forschergruppe weiterbringen. Das 3-D-Model eines weiteren Bomben-Angriffs ist in der Düsseldorfer Ausstellung zu sehen.

Archiv des Arabischen Frühlings

Dort werden auch einige der gesammelten Fotos von Lara Baladi gezeigt. Baladi ist Künstlerin und Dozentin mit Wurzeln in Ägypten, Frankreich und dem Libanon. Als 2011 die Proteste in Kairo begannen, begann sie, Fotos und Videos zu sammeln, die im Zusammenhang mit den Demonstrationen standen.

„Ich komme noch aus einer Zeit der analogen Fotografie, es war ungeheuer spannend, die digitale Aufarbeitung der Proteste mitzuverfolgen“, sagte Baladi. Ihre gesammelten Bilder zeigen Karikaturen und Satiren des damaligen ägyptischen Präsidenten Husni Mubarak. Bald möchte die Künstlerin ihr Archiv über eine Online-Plattform öffentlich zugänglich zu machen.

Flüchtlinge aus der Vogelperspektive

Auch für Philip Scheffner waren die sozialen Medien Ausgangspunkt seines künstlerischen Wirkens. Auf YouTube hatte er ein Video mit dem schlichten Titel „Refugees“ gesehen. Zunächst habe er nur blaues Meer gesehen, erklärte Scheffner. Dann einen dunklen Punkt, der sich als Boot herausstellte, in dem sich mehrere Flüchtlinge befanden. Schließlich schwenkte die Kamera nach links und rechts – und Scheffner wurde klar, dass sich der Urheber des Videos auf einem Kreuzfahrtschiff befand. „Da wusste ich: Das ist die Beobachterposition von uns Europäern. Ich fühlte mich unwohl“, sagte Scheffner.

Der Filmemacher wollte mehr wissen und suchte nach der Person, die den Clip ins Netz gestellt hatte – ein Mann aus Irland, der auf dem Mittelmeer Urlaub gemacht hatte. Nach und nach spürte Scheffner auch andere beteiligte Personen auf, etwa die Besatzung des Schiffs oder das angeforderte Rettungsteam. Auch mit Flüchtlingen, die ähnliche Erfahrungen gemacht hatten, kam Scheffner ins Gespräch. Aus dem gesammelten Audiomaterial und dem YouTube-Video machte er einen Film, der so lange dauert, wie die Flüchtlinge in ihrem Boot auf die Nothelfer warten mussten – rund 90 Minuten. Scheffner erklärte seine Arbeit bei der Podiumsdiskussion: „Das ist kein Film über Flüchtlinge, sondern über Menschen, die Flüchtlinge anschauen. Ich wollte klarmachen, dass dieses Anschauen Teil des Problems ist.“

Weitere Informationen

Ausstellung „Affect Me. Social Media Images in Art”

Zeit und Ort

  • Bis zum 10. März 2018, Öffnungszeiten: Dienstag bis Samstag 12.00 bis 17.00 Uhr
  • KAI 10 | Arthena Foundation, Kaistraße 10, 40221 Düsseldorf, Telefon: 0211 / 99434 130, Website: www.kaistrasse10.de